Nachricht 16.12.2013

„Satt-Sein ist nicht genug“

Professor Hans Konrad Biesalski ist Direktor des Institutes für biologische Chemie und Ernährungswissenschaft an der Universität Hohenheim. Im Interview mit foodwatch schildert er die Gefahren von „verborgenem Hunger“ und die verheerenden Auswirkungen der Nahrungsmittelspekulation. Sein Buch „Der verborgene Hunger – Sattsein ist nicht genug“ ist im Springer Spektrum Verlag erschienen. 

Herr Professor Biesalski, was versteht man unter „verborgenem Hunger“?

Man versteht darunter die chronische Unterversorgung an einem oder mehreren essentiellen Mikronährstoffen wie Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen. Verborgen deshalb, weil man die Anzeichen dieses Hungers nicht sofort erkennt. Es gibt lange Zeit kaum eindeutige Symptome.

Wie äußert sich der verborgene Hunger dann – und was sind die Folgen?

Verborgener Hunger entwickelt sich langsam. Gerade betroffene Kinder in den ersten 24 Lebensmonaten sind oftmals kleiner und hinken auch der geistigen Entwicklung von Gleichaltrigen hinterher. Sie sind infektanfälliger und weisen eine sehr viel höhere Sterberate auf. Auch Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt eines Kindes sind stark gefährdet. Von dieser verborgenen Form der  Mangelernährung sind in erster Linie Menschen in armen Ländern betroffen.

Was ist der Unterschied zum herkömmlichen Hunger-Begriff?

Den herkömmlichen Hunger spürt man. Es geht dann nur darum, satt zu werden. 2010 bei der Erdbebenkatastrophe auf Haiti  beispielsweise haben die Leute aus Verzweiflung Kuchen aus Sand gegessen, nur um ein Sättigungsgefühl zu haben. Den verborgenen Hunger hingegen spürt man nicht. Es gibt keinen spürbaren Hunger nach Vitaminen.

Ist Hunger eine Folge von einem zu niedrigen Angebot an Lebensmitteln?

Nein, denn Hunger ist hauptsächlich eine Folge von Armut. Wenn Menschen zu wenig Geld zur Verfügung haben, können sie sich nicht ausreichend ernähren und nehmen dadurch nicht genügend Mikronährstoffe auf. Dies gilt ganz besonders für Vitamin A, Eisen und Zink als weltweites größtes Problem. Die Landwirtschaft muss also nicht in erster Linie die Erträge von Grundnahrungsmitteln wie Reis, Mais oder Weizen steigern um die wachsende Menschheit zu ernähren, sondern die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, insbesondere Protein- und Mikronährstoffreiche, wie Fleisch, Bohnen und Gemüse.

Das genau ist jetzt auch das Problem auf den Philippinen, Reis alleine genügt nicht, die vielen jetzt bedrohten Menschen vor allem Kinder brauchen mehr zum Überleben.

Die exzessive Nahrungsmittelspekulation an den Terminbörsen steht unter starkem Verdacht, Preisschocks auszulösen. Können diese Schocks bei Grundnahrungsmitteln die Hungersituation verschlimmern?

Arme Menschen, die weniger als ein Euro am Tag verdienen (circa eine Milliarde), zahlen bis zu 80 Prozent für Grundnahrungsmittel wie zum Beispiel Reis und es verbleiben dann gerade einmal 20 Prozent für andere Lebensmittel wie beispielsweise Gemüse, beziehungsweise für Aufwendungen für Bildung oder Gesundheit. Wenn dann der Preis für Reis infolge eines Preisschocks plötzlich steigt, reicht das geringe Einkommen oft nur noch für Grundnahrungsmittel. Die Menschen ernähren sich dann ausschließlich von Reis oder Mais – wenn überhaupt. Diese einseitige Ernährung kann bei Frauen und Kindern, die ohnedies schon mangelernährt sind, zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen, bis hin zum Tod führen.

Nach einer extremen Preissteigerung gehen die Nahrungsmittelpreise normalerweise nach kurzer Zeit wieder runter. Kann auch diese kurzfristige Nichtverfügbarkeit von Nahrungsmitteln gefährlich sein?

Gerade die kurzzeitigen Preissprünge sind besonders gefährlich, da keine Zeit bleibt, Gegenmaßnahmen zu treffen. Hinzu kommt, dass kurzfristige Preisschocks gerade in armen Ländern oft zu länger anhaltenden Preisanstiegen führen. Bei ohnehin unterernährten Kindern – wie es bei armen Ländern oft der Fall ist - reichen bereits wenige Tage ohne die nötigen Nährstoffe aus, um schwere Infektionskrankheiten und Tod zu verursachen. Das heißt, der Preisschock führt dazu, dass diese Kinder einfach sterben. 

____________________________________________________________

Dieser Text ist in den foodwatch-Nachrichten 3/2013 erschienen. Die Informationsbroschüre mit aktuellen Themen wird kostenfrei an Mitglieder verschickt. Seien auch Sie dabei und werden Sie Fördermitglied bei foodwatch!