Nachricht 21.12.2012

Unsachliche Kritik an Bundespräsident Gauck

In einem Offenen Brief an Bundespräsident Joachim Gauck kritisieren insgesamt 40 Wissenschaftler, vorwiegend Agrarökonomen, die Rede des Bundespräsidenten und seine kritischen Worte zu exzessiven Nahrungsmittelspekulationen. Keiner der Wissenschaftler, die den Brief unterzeichnet haben, ist jedoch bisher durch qualifizierte wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema hervorgetreten.

Anlässlich des Festakts zum 50-jährigen Bestehen der Welthungerhilfe am 14. Dezember hatte Bundespräsident Joachim Gauck vergangene Woche Kritik an den exzessiven Nahrungsmittelspekulationen geübt und die Politik zum Handeln aufgefordert. In einem am 19. Dezember 2012 verbreiteten Offenen Brief reagierten nun 40 Wissenschaftler, vorwiegend Agrarökonomen, auf die Rede des Bundespräsidenten und seine kritischen Worte.

Kritik an Spekulation entspricht nicht dem „wissenschaftlichen Stand“?

Die Unterzeichner des Offenen Briefes behaupten,  „diese Kritik an der Finanzspekulation (entspräche) nicht dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand“, die Forderung nach Regulierung sei in der Sache unberechtigt und könne „für die Bekämpfung des Hungers kontraproduktiv sein“. Die Autoren bezeichnen die unter anderem von foodwatch kritisierten Exzesse der vergangenen Jahre bei Rohstoffspekulationen als „verstärkte(s) Engagement von Finanzinvestoren auf den Terminmärkten für Agrarrohstoffe“ und behaupten, „dass die Wissenschaft bei diesem wichtigen und sensiblen Thema für Positionen in Anspruch genommen wird, die wissenschaftlich schlichtweg nicht haltbar sind.“

Wichtige Studien nicht beachtet

Die in dem Offenen Brief an den Bundespräsidenten aufgestellte Behauptung, Wissenschaft würde instrumentalisiert und die Kritik entspräche nicht dem Stand der Wissenschaft, ist definitiv falsch. Es gibt in diesem relativ jungen Forschungsgebiet eine intensive wissenschaftliche Debatte, in der qualifizierte wissenschaftliche Studien einen Zusammenhang zwischen Spekulationsexzessen und Preisblasen bzw. Nachteilen für Hungernde und Arme nachweisen, genauso wie es gegenteilige Studienergebnisse gibt. Die Autoren des Briefes unterschlagen wichtige Arbeiten, die einen Zusammenhang zwischen Spekulation und Hungerkrisen fördernden Preiserhöhungen feststellen, und geben zudem den Inhalt von ihnen nicht genehmen Studien nicht korrekt wieder.

Die schädliche, exzessive Spekulation muss verboten werden

Anders als von den Autoren des Offenen Briefes behauptet, zielt die Kritik von foodwatch an den exzessiven Agrarspekulationen ausdrücklich nicht darauf, Preisabsicherungen für Agrargüter zu erschweren oder zu unterbinden. Vielmehr fordert foodwatch die (Wieder-) Einführung von Regeln, die eine schädliche, exzessive Spekulation verhindern.  Auch der Bundespräsident hatte in seiner Rede am 14. Dezember 2012 die wichtige Preisabsicherungsfunktion der Rohstoffbörsen betont  und auf die Frage, wann die Grenze zur Spekulation auf Kosten Hungernder überschritten sei, eine eindeutige Antwort gegeben: „Wenn dann schwankende Preise armen Menschen sprichwörtlich die Mittel zum Leben abschöpfen, ist Handeln aus politischer, sozialer und natürlich auch aus ethischer Notwendigkeit dringend geboten.“

461 Wissenschaftler fordern wirksame Regulierung

In der wissenschaftlichen Debatte gibt es zahlreiche Stimmen, die diese Einschätzung des Bundespräsidenten stützen, nicht zuletzt jene 461 Ökonomen, die im Oktober 2011 an die Finanzminister der G20-Staaten appellierten, den Spekulationsexzessen an den Rohstoffmärkten einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Zudem sind die Verhandlungen über die notwendige Regulierung sowohl in den USA als auch in der EU schon weit voran geschritten. Auf Europäischer Ebene hat sich bereits im September das EU-Parlament in einer ersten Abstimmung über die Finanzmarktrichtlinie MiFID für die Wiedereinführung von Positionsgrenzen zur Begrenzung der Spekulation an den Rohstoffbörsen ausgesprochen.

Dass 40 deutsche Professoren unter Verweis auf ihre Expertise dem Bundespräsidenten alle diese Informationen vorenthalten – und eine „deutliche Anhebung des Informationsniveaus und der Diskursstandards“ fordern – spricht für die Unseriosität dieser Aktion.

E-Mail-Aktion an Bundesfinanzminister Schäuble

In einer E-Mail-Aktion fordert foodwatch – gemeinsam mit einem breiten Bündnis anderer Organisationen – endlich umfassende Maßnahmen gegen die unmoralische Zockerei. Unterstützen Sie unseren Protest und schreiben Sie direkt an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble – fordern Sie ihn auf, sich für eine wirksame Regulierung ohne Schlupflöcher einzusetzen!