Vitamine und Naschen?

Joghurt gegen Erkältung, zuckrige Soft Drinks als Sport-Getränk und salzige Wurst als vermeintlich gesunder Snack für Kinder: Lebensmittelhersteller suggerieren häufig, ihre Produkte wären geradezu Wundermittel für die Gesundheit. Doch Verbraucher werden mit der Gesundheitswerbung regelmäßig in die Irre geführt.

Das hat auch die „Health-Claims-Verordnung“ der EU, mit der Verbraucher vor falschen Gesundheitsaussagen geschützt werden sollten, nicht geändert. In einer mehr als zehn Jahre andauernden Lobby-Schlacht hat die Lebensmittelindustrie dafür gesorgt, dass nun selbst Süßigkeiten ganz legal mit Gesundheitseigenschaften beworben werden dürfen, sobald ihnen zum Beispiel Vitamine zugesetzt sind.

Ungesunde Produkte mit gesundem Anstrich

Die Lebensmittelindustrie steht in Industrienationen vor einem Wachstumsproblem: Die Märkte für Nahrungsmittel sind im wahrsten Wortsinne gesättigt. Um dennoch den Umsatz steigern zu können, denken sich die Marketing-Abteilungen der Hersteller immer neue Tricks und Werbemaschen aus, um ihre Produkte im harten Konkurrenzkampf mit möglichst hohen Gewinnmargen verkaufen zu können. Das gestiegene Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher macht sich die Lebensmittelindustrie dabei geschickt zunutze: Tausenden Produkten in Europa wird mit Vitaminen und Mineralstoffen ein gesunder Anstrich verpasst, obwohl sie nach ernährungswissenschaftlichen Kriterien ungesund sind, das heißt zu viel Fett, Zucker und Salz enthalten. So wird eine ausgewogene Ernährung eher verhindert als gefördert. Die im Jahr 2007 in Kraft getretene europäische „Health-Claims-Verordnung“ sollte das ändern – wurde aber von den um ihre Gewinne bangenden Branchenriesen systematisch ausgehöhlt.

Health Claims: Tausende Werbesprüche verboten – aber 250 erlaubt

Die Health-Claims-Verordnung unterscheidet zwischen sogenannten Health-Claims (z.B. "Vitamin C unterstützt die normale Funktion des Immunsystems") und Nutrition-Claims (z.B. "reich an Vitamin C", "ballaststoffreich"). Alle gesundheitsbezogenen Angaben (Health-Claims) müssen von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA wissenschaftlich geprüft werden - ohne Genehmigung dürfen sie nicht verwendet werden. Aus den mehr als 40.000 zur Zulassung eingereichten Werbesprüchen identifizierte die EFSA rund 4.600 Hauptaussagen. Davon wurden bisher ungefähr 2.500 beurteilt. Ergebnis: Nur etwa jeder zehnte Health-Claim hielt einer wissenschaftlichen Überprüfung stand - die meisten davon zur Wirkung von Mineralstoffen und Vitaminen. Was im Umkehrschluss bedeutet: Etwa 90 Prozent der überprüften Gesundheitsaussagen waren nichts anderes als Werbelügen. Schon im Vorfeld der EFSA-Prüfung hatten einige Unternehmen Anträge mangels wissenschaftlicher Belege wieder zurückgezogen oder langjährig eingesetzte Werbeaussagen gar nicht erst zur Prüfung vorgelegt. So sind echte Werbelügen-Klassiker - wie Danones "Actimel activiert Abwehrkräfte" - nunmehr (Werbelügen-)Geschichte. Auch Konkurrent Yakult behauptet nicht mehr, sein probiotischer Joghurt unterstütze die "Darmgesundheit" und fördere ein "intaktes Immunsystem". Abgelehnt wurden zudem Aussagen, nach denen Hopfen den Busen vergrößere, Granatapfelsaft gegen erektile Dysfunktion und Cranberrysaft gegen Blasenentzündungen helfe sowie schwarzer Tee die Aufmerksamkeit steigere.

Auch für den Gebrauch von nährwertbezogenen Angaben („Nutrition Claims“) gibt es in der Health-Claims-Verordnung Vorgaben. So wurde beispielsweise definiert, was „leicht“, „reduziert“ oder „fettarm“ bedeutet.

Health-Claims-Verordnung schützt Verbraucher nicht vor Täuschung

Um Gesundheitswerbung auf ungesunden Lebensmitteln zu verhindern, ist in der Health-Claims-Verordnung der Einsatz von „Nährwertprofilen“ verankert. Solche Profile stellen Mindestanforderungen an die Nährwertzusammensetzung von Lebensmitteln, welche mit gesundheits- und nährwertbezogenen Angaben beworben werden dürfen. Laut Verordnung sollten diese Nährwertprofile bis 2009 eingeführt werden. Doch das ist noch immer nicht geschehen. Auf Druck der Lebensmittellobby erwägt die EU sogar, die Profile ganz aus der Verordnung zu streichen.

Für die Lebensmittelhersteller geht das einträgliche Geschäftsmodell also weiter: Sie mischen einfach billige Vitamine oder Mineralstoffe in Zuckergetränke, Süßigkeiten oder Wurst und verpassen diesen so einen gesunden Anstrich – ganz legal. Dass damit falsche Verzehranreize gesetzt und eine unausgewogene Ernährung gefördert wird, kümmert offenbar weder die EU noch die Bundesregierung. Und – natürlich – erst recht nicht die Lebensmittelindustrie.

foodwatch fordert: Schluss mit dem Gesundheitsschwindel!

Gesundheitswerbung auf Süßigkeiten, Junkfood und Co. torpediert das Bemühen von Verbraucherinnen und Verbrauchern sich gesund zu ernähren – damit muss Schluss sein! Das im März 2015 veröffentlichte „Nährwertprofilmodell“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Europa teilt Lebensmittel anhand ihrer Nährwertzusammensetzung in ausgewogen und unausgewogen ein. Dabei spielen unter anderem die Anteile von Fett, Zucker und Salz, aber auch der Kaloriengehalt oder zugefügte Süßstoffe eine Rolle. Als ausgewogen gelten etwa Joghurts, wenn sie nicht mehr als zehn Prozent Zucker enthalten. Gesüßte Getränke gelten hingegen grundsätzlich unausgewogen. Die WHO hat das Nährwertprofilmodell ursprünglich für die Beschränkung von Kindermarketing entwickelt, empfiehlt den Einsatz von Nährwertprofilen jedoch auch in anderen Zusammenhängen zur Förderung einer gesunden Ernährung.

foodwatch fordert: Die EU-Kommission muss endlich die in der Health-Claims-Verordnung festgeschriebenen Nährwertprofile umsetzen, so dass nur ausgewogene Lebensmittel mit nährwert- oder gesundheitsbezogenen Angaben werben dürfen. Mit dem WHO-Nährwertprofilmodell steht hierfür ein sofort anwendbares Modell zur Verfügung.