Nachricht 01.02.2011

Konzeptänderung: Aigner rudert zurück

Mit der Internetseite „Klarheit & Wahrheit“ wollte Ministerin Ilse Aigner dem Etikettenschwindel der Lebensmittelindustrie den Kampf ansagen. Nun könnte das Portal selbst zum Etikettenschwindel werden. Ein geändertes Konzept sieht vor, dass viele irreführende Produkte gar nicht namentlich veröffentlicht werden sollen – sondern anonym als „Dummys“ ohne Hinweis auf Marke oder Hersteller.

Seit Jahren bereits veröffentlicht foodwatch Beispiele für den ganz legalen Etikettenschwindel auf der Internetseite abgespeist.de. Dass es diesen „legalen Betrug“ regelmäßig gibt – also eine Irreführung mit Produkten, bei denen die Hersteller alle gesetzlichen Vorgaben für die Kennzeichnung eingehalten haben –, ist inzwischen auch bei der Politik angekommen. Die Werbepraktiken der Lebensmittelindustrie sind spätestens seit der „Themenwoche Ernährung“ der ARD-Sender im Herbst 2010 Gegenstand breiter öffentlicher Debatten. Und auch Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) reagierte: Im Oktober 2010 kündigte sie eine eigene Internet-Plattform an, die 2011 an den Start gehen soll.

„Produkt-Dummys“ statt echter Beispiele

Die Idee: Verbraucher sollen Täuschungen bei Lebensmittel melden können. Die genannten Produkte werden auf der Seite veröffentlicht, eine Redaktion der Verbraucherzentrale Hessen bringt ihr Fachwissen ein und der Hersteller wird zur Stellungnahme aufgefordert. Ausnahme: Produkte, bei denen ein Hersteller ganz offensichtlich gegen Kennzeichnungsvorgaben verstößt. Diese sollten nicht im Portal veröffentlicht, sondern den Kontrollbehörden übergeben werden – so weit, so gut. Alle übrigen Beschwerden über Produkte „werden prinzipiell online gehen“, hieß es. Soweit das ursprüngliche Konzept, wie es noch in einem Papier des Aigner-Ministeriums vom 5. November 2010 vorgesehen war.

Rückschlüsse auf Marken sollen ausgeschlossen sein

Doch jetzt gibt es eine entscheidende Änderung, noch bevor die Plattform unter dem Arbeitstitel „Klarheit & Wahrheit“ ins Netz gestellt ist. Ein neues, noch unveröffentlichtes Ministeriumskonzept vom 13. Dezember 2010 wurde bekannt – und darin ist eine weitere Ausnahme geplant: Auch Produkte, die nach geltender Rechtslage eindeutig zulässig gekennzeichnet sind, dürfen nur noch als anonyme „Produkt-Dummys“ veröffentlicht werden. Weiter heißt es: „Hierbei werden weder Marken-/Herstellernamen oder Verpackungsaufmachungen verwendet, die Rückschluss auf einen konkreten Anbieter geben könnten.“

Im Namen der Hersteller

Hatte sich Verbraucherministerin Ilse Aigner mit der Ankündigung des Portals erstmals ernsthaft mit der Lebensmittelindustrie angelegt, ist sie nun offenbar bereit, ihre Initiative zur Farce verkommen zu lassen. Denn eine Täuschung findet immer durch ein konkretes Produkt und die konkreten Angaben des Herstellers zu diesem Produkt statt – also müssen die Beispiele auch beim Namen genannt werden.

Dies jedoch soll für viele Lebensmittel, die in der Kritik stehen, nicht mehr gelten. Schreibt ein Hersteller „ohne Geschmacksverstärker“ auf die Verpackung, obwohl er glutamathaltigen Hefeextrakt einsetzt, ist das für viele irreführend – aber eindeutig legal. Denn die Kennzeichnungsregeln besagen, dass Hefeextrakt nicht als Zusatzstoff und damit nicht als Geschmacksverstärke" gilt, obwohl er genau dies ist. Ein solches Produkt dürfte also nicht namentlich auf der Aigner-Seite veröffentlicht werden. Absurd, denn genau solche Produkte waren Anlass für die Ministerin, die Plattform einzurichten, Frau Aigner selbst hatte den Einsatz von Hefeextrakt als irreführend kritisiert. Und noch absurder, wenn man bedenkt, dass Frau Aigner mithilfe der Produktbeispiele im Portal evaluieren wollte, ob die gesetzlichen Kennzeichnungsvorgaben ausreichen oder nicht.

Klarheit und Wahrheit verschleiern

Offen bleibt die Frage, wie viele und welche Produkte überhaupt in den „Graubereich“ zwischen eindeutig zulässig und eindeutig unzulässig fallen und demnach namentlich veröffentlicht werden dürften.

Die Lebensmittelindustrie war von Anfang an Sturm gelaufen gegen das Internetportal. Doch wenn ihre Lobbyisten „Klarheit & Wahrheit“ schon nicht verhindern können, so erreichen sie offenbar zumindest eines: Das Konzept wird so weit verwässert, dass das Portal gegen Etikettenschwindel selbst ein Fall von Etikettenschwindel wird.

Wo Ross und Reiter genannt werden

foodwatch wird beim bewährten Konzept bleiben: Auf abgespeist.de klären wir weiterhin unabhängig über die Werbelügen der Lebensmittelhersteller auf.
Und wir nennen Ross und Reiter. Versprochen.