Nachricht 15.04.2016

Diabetes-Experte: "Wir brauchen eine Zucker-Fett-Steuer"

Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 300.000 Menschen an Diabetes, die Dunkelziffer liegt bei etwa zwei Millionen. Welche Rolle spielen zuckerhaltige Getränke dabei? Wir haben nachgefragt bei Diabetes-Experte Prof. Thomas Danne.

Prof. Dr. med. Thomas Danne ist Pädiater und Chefarzt am Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover. Er lehrt zudem an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und ist Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Im Gespräch mit foodwatch warnt Prof. Danne vor den gesundheitlichen Folgen des regelmäßigen Konsums zuckerhaltiger Süßgetränke. Cola sei nicht nur Dickmacher, sondern echter Krankmacher. Die Politik müsse endlich eingreifen. 

Die Zahl der Diabetes-Kranken steigt. Welche Rolle spielt dabei der Konsum zuckerhaltiger Getränke?

Tatsächlich ist von 1998 bis 2011 die Zahl der Diabetes-Kranken in Deutschland um 38 Prozent gestiegen. 14 Prozent sind bedingt durch die Alterung der Bevölkerung, die restlichen 24 Prozent sind durch andere Faktoren der Umwelt und Lebensführung erklärbar. Zuckerhaltige Getränke tragen bei zu dem Problem der steigenden Diabetes-Prävalenz. Dauerhaft eine Dose Limonade pro Tag erhöht das Risiko für Diabetes Typ 2 um 20 Prozent.

Welche weiteren gesundheitlichen Folgen hat der Konsum zuckerhaltiger Getränke?

Der regelmäßige Konsum von Softdrinks erhöht das Risiko für Übergewicht oder schweres Übergewicht. Übergewicht wiederum ist der stärkste Risikofaktor für die Entstehung weiterer chronischer Krankheiten, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, manche Krebsarten, Gelenkerkrankungen oder auch Depressionen.

"Heavy user" von Limonaden sind vor allem Jugendliche. Statt des Werbeslogans "Mach Dir Freude auf" sollte man Ihnen sagen: "Trink Dich nicht dick!" Jungen im Alter von 6-7 Jahren  konsumieren allein durch das Trinken von Limonaden 5 kg Zucker pro Jahr; im Alter von 14-17 Jahren sind das dann bereits 30 kg. Limonade ist Zuckerwasser und man trinkt viele Kalorien ohne dass sich ein Gefühl von Sattsein einstellt. Limonadenkalorien sind deshalb immer zusätzliche und unnötige, sogar schädliche Kalorien. Eltern sollten Kinder an das Trinken von Wasser ohne Zucker gewöhnen oder Saftschorlen im Verhältnis ein Teil Obstsaft, zwei bis drei Teile Wasser mixen.

Nehmen wir die klassische Coca-Cola: Wieviel kann ich davon eigentlich täglich trinken, ohne gesundheitliche Schäden befürchten zu müssen?

Es gibt keine von der Europäischen Lebensmittelbehörde festgelegte Menge, die man täglich ein ganzes Leben lang zu sich nehmen kann, ohne krank zu werden. Für Kinder ist Cola schon wegen des Koffeingehaltes grundsätzlich nicht empfehlenswert. Wir raten generell, zum täglichen Durstlöschen auf zuckergesüßte Getränke zu verzichten. Mal eine Cola zu trinken – am besten zuckerfrei - kann eine Ausnahme sein - wichtig ist, so selten davon zu trinken, dass man sich nicht an den Süßgeschmack gewöhnt.

Braucht es gesetzliche Regelungen um den Konsum in Deutschland zu reduzieren  – und wenn ja, welche?

Ich plädiere für eine Zucker-Fett-Steuer. Das Beispiel Mexiko zeigt: Eine zehn-prozentige Preiserhöhung für zuckergesüßte Limonaden hat innerhalb eines Jahres zu einem Rückgang des Limonadenkonsums von durchschnittlich zwölf Prozent geführt. Ärmere Schichten mit höherem Erkrankungsrisiko profitierten besonders (minus 17 Prozent). Gleichzeitig ist der Konsum von Trinkwasser gestiegen.

Und auch in anderen Ländern gibt es positive Erfahrungen mit Zucker-Fett-Steuern, so etwa in Dänemark, Frankreich, Ungarn. Es gibt derzeit keine andere derart erfolgreiche, kostengünstige und schnellwirksame Maßnahme, das Konsumverhalten einer ganzen Landesbevölkerung zum Positiven zu verändern. Auch Ernährungserziehung an Schulen, Verbraucherinformation und –aufklärung, so wichtig sie auch sind, kommen da nicht mit.  Zudem erreicht man besonders solche Bevölkerungsgruppen, die von den sonst üblichen Präventionsmaßnahmen nicht erreicht werden.

In England berechnete eine Forschergruppe 2015, dass durch eine 20-prozentige Zusatzsteuer mit nachfolgendem Konsumrückgang bei Limonaden pro Jahr bei einem mittleren Szenario 2.432 Diabetesfälle, 1.657 Schlaganfälle und Herzerkrankungen sowie 435 Krebserkrankungen verhindert werden könnten. Verbrauchssteuern haben ein großes Potential zur Gesundheitsförderung und generieren dabei noch steuerliche Einnahmen, die dazu verwendet werden können, gesunde Lebensmittel im Gegenzug billiger zu machen (Subventionierung). Unterm Strich könnten so die Lebenshaltungskosten für Essen und Trinken gleichbleiben. Und jeder Konsument hat weiter die freie Wahl, eine Steuer kommt ohne Verbote aus.

Ein weiterer Vorteil: Produzenten und Händler erhalten einen ökonomischen Anreiz, ihre Produktrezepturen gesünder zu gestalten. Auch davon profitieren Verbraucher. 

Kritiker meinen, Konzernen treffe keine Schuld – vielmehr seien die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst dafür verantwortlich, wie viele zuckerhaltige Getränke sie trinken.

Natürlich liegt es auch in der Selbstverantwortung erwachsener Konsumenten, wie viel zuckerhaltige Getränke sie zu sich nehmen. Es ist aber auch eine Frage der Befähigung von Verbrauchern und damit eine Frage der Ernährungsbildung und Verbraucheraufklärung, dass ich als erwachsener Konsument ausreichend Informationen zur Verfügung habe, um informierte Entscheidungen zu treffen. Wenn ich aber als Kind damit aufwachse, dass es normal ist, zuckerhaltige Getränke zu trinken, weil mir genau das im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule angeboten wird und mir noch dazu über die Werbung suggeriert wird, dass Limonaden das Kultgetränk meiner Generation sind, und es normal ist, im Kino Ein-Liter-Becher zu bestellen – dann lerne ich im prägenden Alter, dass diese Getränke zu meinem Leben dazu gehören.

Eltern, Regierung und die Getränkeindustrie haben eine geteilte Verantwortung: Eltern dafür, was Kinder zuhause konsumieren, die Regierung dafür, welche Getränke in Bildungseinrichtungen angeboten werden (nämlich möglichst solche, die Kinder gesund erhalten) und nach unserer Auffassung auch, welche Getränke an Kinder beworben werden dürfen. Die Verantwortung der Lebensmittelindustrie liegt darin, erst keine Lebensmittel und Getränke zu produzieren, die ihre eigenen Kunden krank machen, also weniger Teil des Problems zu sein, als sich als Teil der Lösung zu begreifen und ihre Produktrezepturen gesundheitsförderlicher zu gestalten. Wenn es keine gesetzlichen Werbeeinschränkungen gibt, sollten sie freiwillig Werbeeinschränkungen für Werbung an Kinder und Jugendliche vornehmen und sich dabei von den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (Nährwertprofilierung) leiten lassen.