Pressemitteilung 13.03.2015

Presse-Statement: foodwatch zu Lebensmittelbuch-Kommission/Evaluierungsbericht – Ministeriumsgutachten bestätigt: Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission ist gescheitert

Zu dem heute vom Bundesernährungsministerium nach drei Monaten endlich veröffentlichten Evaluationsbericht über die Arbeit der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission erklärt Lena Blanken, Expertin für Lebensmittelkennzeichnung der Verbraucherorganisation foodwatch:

Das Gutachten des Ministeriums belegt: Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission ist gescheitert. Für verschiedene Szenarien listen die Gutachter Pro- und Contra-Punkte auf – für eine Fortsetzung der Kommission in der bisherigen Form spricht demnach nur ein einziges Argument, und das heißt: ‚Kein Restrukturierungsaufwand‘. Das ist eine schallende Ohrfeige für die jahrelange Politik der Bundesregierung, die es zugelassen hat, dass die geheim tagende Lebensmittelbuch-Kommission viele irreführende Produktbezeichnungen legalisiert.

Folgt Minister Christian Schmidt den Vorschlägen der industrienahen Gutachter, dürfte die staatlich legitimierte Verbrauchertäuschung weiter gehen. Denn an den entscheidenden Konstruktionsfehler gehen sie nicht ran: Den Einfluss der Hersteller auf die Produktbezeichnungen, die eben nicht für die Unternehmen da sind, sondern die Verbraucher über die Beschaffenheit von Lebensmitteln verständlich informieren sollen. Wer Klarheit und Wahrheit verspricht, darf nicht diejenigen maßgeblich an der Entscheidung über Kennzeichnungsstandards beteiligen, die von Unklarheit und Etikettenschwindel profitieren.

Minister Schmidt muss die bisherige Lebensmittelbuchkommission abschaffen. Stattdessen sollten rechtsverbindliche Leitsätze für die Produktbezeichnung in einem demokratisch legitimierten Verfahren von einer Bundesbehörde erarbeitet werden und sich zuvorderst an Erwartungen und Verständnis der Verbraucher orientieren, nicht an den ökonomischen Interessen der Hersteller. Die Angaben der Hersteller über Herstellungsweisen müssen natürlich einfließen – am Ende jedoch muss auf dem Etikett eine Angabe stehen, die Verbraucher verstehen können und die ihren Erwartungen gerecht wird.

Link:

Eine E-Mail-Aktion von foodwatch für die Abschaffung der Lebensmittelbuch-Kommission wird bereits von rund 47.000 Verbrauchern unterstützt:  www.foodwatch.de/aktion-lebensmittelbuch  

Redaktionelle Hinweise:

Hintergrund:

Die geheim tagende, beim Bundesernährungsministerium (BMEL) angesiedelte Lebensmittelbuch-Kommission erarbeitet sogenannte Leitsätze zur Produktkennzeichnung und -zusammensetzung. Diese sind zwar formal unverbindlich, doch weil sich Hersteller, die amtliche Lebensmittelüberwachung und auch Gerichte an ihnen orientieren, haben sie eine mit Gesetzen vergleichbare Wirkung. Acht der 32 Mitglieder der Kommission stammen aus der Lebensmittelwirtschaft. Die Geschäftsordnung sieht vor, dass sie mit ihren Stimmen alle Entscheidungen blockieren können. In der Kritik steht das Gremium, weil es für zahlreiche irreführende Produktbezeichnungen verantwortlich ist – zum Beispiel Schokoladenpudding, der nur einen Mini-Anteil Kakao enthält, Kirschtee ohne Kirschen oder Lachs-Imitat, das unter dem Namen „Alaska-Seelachs“ verkauft wird. Der Bayreuther Staatsrechtler Prof. Stephan Rixen hatte das Konstrukt einer quasi normsetzenden, aber demokratisch unzureichend legitimierten Instanz zuletzt als verfassungswidrig bezeichnet.

Das Bundesernährungsministerium hatte im Jahr 2013 auf die Kritik an der Lebensmittelbuch-Kommission reagiert und eine externe Evaluation angestoßen. Dabei sollte laut Ausschreibungstext die „gesamte Struktur“ des umstrittenen Gremiums „auf den Prüfstand“ kommen. Nach der Ausschreibung durch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) erhielt die zur industrienahen AFC Consulting Group gehörende AFC Public Services GmbH den Zuschlag – gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfgang Voit von der Philipps-Universität Marburg, dessen Forschungsstelle u.a. von Ferrero und Dr. Oetker unterstützt wird. Im April 2014 begannen sie mit der Arbeit an dem Gutachten. Auch foodwatch wurde um eine Einschätzung gebeten. Mitte Dezember 2014 wurde der Evaluationsbericht dem Ministerium überstellt, zunächst jedoch nicht veröffentlicht. Ende Februar 2015 hatte foodwatch hat Bundesernährungsminister Christian Schmidt aufgefordert, den Evaluationsbericht unverzüglich und vollständig zu veröffentlichen. Am 13. März schließlich erfolgte die Veröffentlichung.