Pressemitteilung 11.03.2015

Pressemitteilung: BDI korrigiert sich: Erwartete Wirtschaftseffekte durch TTIP zehn Mal kleiner als behauptet – foodwatch fordert weitere Korrekturen: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft soll ihre TTIP-Broschüre einstampfen

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat Angaben über mögliche Effekte des Freihandelsabkommens TTIP nach unten korrigiert – auf ein Zehntel der bisher genannten Werte. Damit reagiert der BDI auf eine entsprechende Aufforderung der Verbraucherorganisation foodwatch und stellt klar, dass die Einschätzungen aus wissenschaftlichen Studien bislang um ein Vielfaches übertrieben dargestellt wurden.

Der BDI hatte in Verbandspublikationen sowie in einem Interview von BDI-Präsident Ulrich Grillo wiederholt eine von der Europäischen Kommission beauftragte Studie zum transatlantischen Freihandelsabkommen verfälscht dargestellt. Während in der Studie eine nach zehn Jahren eintretende, einmalige Anhebung des Niveaus von Bruttoinlandsprodukt und Haushaltseinkommen vorhergesagt wird, hatte der BDI von einem jährlichen Effekt gesprochen – und über den Zeitraum von zehn Jahren damit das Zehnfache dessen versprochen, was die Studienautoren angeben. In einem Offenen Brief hatte foodwatch BDI-Präsident Ulrich Grillo am Dienstag aufgefordert, die Angaben richtig zu stellen. Am Mittwoch war die Internetseite des Verbands korrigiert.

Andere TTIP-Befürworter hantieren dagegen weiterhin mit falschen Angaben. So veröffentlichte die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) im Februar 2015 eine Broschüre mit „12 Fakten zu TTIP“, von denen wenigstens 5 Fakten fehlerhafte oder verzerrte Darstellungen enthalten. foodwatch forderte die INSM auf, ihre Broschüre zurückzurufen und einzustampfen sowie gleichlautende Angaben auf der INSM-Internetseite zu korrigieren.

Wenn die TTIP-Befürworter bei der Wahrheit bleiben, fallen die zu erwartenden wirtschaftlichen Effekte des Abkommens zusammen wie ein Soufflé im Ofen“, erklärte foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. „Es ist in hohem Maße unseriös, wie die Chancen des Abkommens aufgebauscht und die Risiken negiert werden. Wenn bei den Argumenten pro TTIP dergestalt getrickst und gefälscht wird, dann darf sich niemand wundern, dass immer mehr Menschen contra TTIP eingestellt sind. Wir erwarten, dass die Befürworter endlich eine ehrliche und offene Debatte über das Abkommen beginnen.“  

Details zu den falschen Angaben:

Der BDI hatte sich bei seinen Angaben auf eine Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR) im Auftrag der Europäischen Kommission berufen. Darin wurden hypothetische TTIP-Szenarien durchgerechnet. Den Einschätzungen der Autoren zufolge könnte ein besonders ambitioniertes Abkommen das Bruttoinlandsprodukt der EU um 0,5 Prozent bzw. 119 Milliarden Euro sowie das Jahreseinkommen einer vierköpfigen Familie um 545 Euro anheben – diese Effekte würden zehn Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens eintreten, laut Studie im Jahre 2027. Es handelt sich also hier um einmalige Niveauerhöhungen. Der BDI macht daraus jährliche Effekte – an mindestens drei Stellen: 

  • Im BDI-Außenwirtschaftsreport 3/2014: „Einer Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR) zufolge könnte das jährliche Wirtschaftswachstum in der EU durch die Umsetzung eines umfassenden Abkommens langfristig um 0,5 Prozent steigen.
  • In einem Interview des Deutschlandfunks mit BDI-Präsident Ulrich Grillo vom 6. Mai 2014: „Zwischen Amerika und Europa reden wir über eine Wirtschaftsregion, die 50 Prozent des Welthandels umfasst, und da wollen wir ein umfassendes Handelsabkommen abschließen, weil es wie gesagt viel Potenzial freisetzt. Fachleute haben von bis zu 200 Milliarden Wachstum beidseitig pro Jahr gesprochen.“
  • Auf der BDI-Internetseite (Screenshot vom 3. März): „Eine Studie im Auftrag der EU-Kommission schätzt, dass EU und USA jeweils mit rund 100 Mrd. Euro Wirtschaftswachstum pro Jahr rechnen können.

Seine Internetseite korrigierte der BDI mittlerweile. Dort heißt es jetzt korrekt, wenn auch ohne Einordnung der genannten Zahl: „Eine Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR) im Auftrag der EU-Kommission schätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt in der Europäischen Union zehn Jahre nach Abschluss und Umsetzung eines umfassenden Abkommens sowie nach volkswirtschaftlichen Anpassungen rund 120 Mrd. Euro größer sein wird, als dies ohne TTIP der Fall wäre.

Dagegen macht die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in ihrer Broschüre „12 Fakten über TTIP“ weiterhin denselben Fehler und bauscht Einmaleffekte zu jährlichen Effekten auf: „Bis zu 119 Milliarden Euro pro Jahr könne [d.h. laut CEPR-Studie, Anmerkung foodwatch] der Zuwachs des BIP in der EU betragen.“ In einer zugeordneten Grafik heißt es weiter: „Geschätztes jährliches BIP-Zusatzwachstum“. (Quelle:  INSM-Broschüre „12 Fakten über TTIP“, „Fakt 7“)

Die INSM-Broschüre ist in hohem Maße verzerrt und manipulativ. foodwatch fordert Korrekturen an wenigstens 5 der 12 Punkte, die die wirtschaftlichen Erwartungen und die möglichen Folgen von TTIP für Entwicklungsländer betreffen:

  • Als „Fakt 1“ beschreibt die INSM: „Handel sichert Wachstum und Arbeitsplätze [...] Von der Globalisierung mit einem liberalisierten Welthandel profitieren aber auch die Entwicklungsländer: Das Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen der am wenigsten entwickelten Länder hat sich zwischen 2004 und 2013 mehr als verdoppelt. [...] Auch die ärmsten Länder gewinnen [...]“ – richtig ist: Alle diese Punkte haben mit TTIP nichts zu tun, sondern beziehen sich auf vergangene Entwicklungen. Die Ausführungen als „Fakt über TTIP“ darzustellen, ist daher unseriös, zumal die bekannten Studien zu TTIP in der Tendenz Verluste für viele Entwicklungsländer durch TTIP erwarten.
  • Unter „Fakt 10“ heißt es zum selben Aspekt: „Ein liberalisierter Handel zwischen der EU und den USA würde auch den übrigen Ländern Vorteile bringen: Das weltweite Einkommen würde durch positive Effekte auf den Handel um knapp 100 Milliarden Euro steigen. [...] Die ganze Welt gewinnt [...]“. Richtig ist: Hier macht die INSM globale Durchschnittswerte zu einem Gewinn für alle. Tatsächlich erwarten die Studien für viele Entwicklungs- und Schwellenländer teils deutliche Einbußen. Dass „die ganze Welt gewinnt“, ist also falsch.
  • „Fakt 7“ wird überschrieben mit „119 Milliarden Euro Gewinne durch TTIP“. Es handelt sich dabei jedoch nur eine Kalkulation auf Basis hypothetischer Annahmen über die Ausgestaltung von TTIP und wird nur für den Fall eines besonders ambitionierten Szenarios erwartet – andere, ebenfalls durchgerechnete Annahmen in derselben Studie kommen zu deutlich niedrigeren Effekten. Insofern ist es falsch und manipulativ, 119 Milliarden Gewinne als „Fakt“ darzustellen. Im weiteren Text macht die INSM, wie oben bereits ausgeführt, aus einem einmaligen Niveaueffekt jährliche Effekte.
  • „Fakt 8“ der INSM lautet „Freihandel bedeutet höhere Einkommen“, im Text heißt es: „Mit dem Bruttoinlandsprodukt steigt auch das Einkommen: Das verfügbare Einkommen einer vierköpfigen Familie in der EU würde laut Centre for Economic Policy Research (CEPR) durch TTIP im Schnitt um 545 Euro jährlich steigen, bei einer vergleichbaren Familie in den USA um 655 Euro.“ Auch das ist falsch: Erneut macht die INSM aus einer einmaligen Niveauanhebung einen jährlichen Effekt.
  • Unter „Fakt 9“ schließlich verspricht die INSM „Hunderttausende neue Arbeitsplätze in der EU […] Nicht nur das Einkommen, auch die Zahl der Arbeitsplätze würde durch ein weitreichendes Freihandelsabkommen steigen: In der EU könnten 400.000 neue Arbeitsplätze entstehen, davon bis zu 110.000 allein in Deutschland.“ Hier bezieht sich die INSM offenbar auf eine Studie des Münchener ifo-Instituts für das Bundeswirtschaftsministerium – pickt sich aus dieser aber lediglich die Einschätzungen für das ambitionierteste der in der Studie durchgerechneten, hypothetischen TTIP-Szenarien heraus. Ein Szenario, das von Experten bereits als völlig unrealistisch kritisiert wurde. Die INSM macht aus hypothetischen Berechnungen Fakten und verschweigt die weitaus niedrigeren Werte für andere Szenarien aus derselben Studie.