Pressemitteilung 28.09.2015

Versteckter Lobbyismus: Presserat wertet Pro-TTIP-Beitrag eines Wirtschaftsfunktionärs auf Focus Online als Verstoß gegen Pressekodex

Berlin, 28. September 2015. Mit einem versteckten Lobbybeitrag bei Focus Online hat ein bayerischer Wirtschaftsfunktionär Stimmung für das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP gemacht. Der Deutsche Presserat sieht darin einen Verstoß gegen den Pressekodex, weil die Leser im Unklaren über die berufliche Funktion des Autors gelassen wurden. Mit seinem Beschluss gab der Presserat nun einer Beschwerde der Verbraucherorganisation foodwatch gegen den im November 2014 veröffentlichten Text statt.

„Lasst uns bei TTIP endlich über Chancen reden!“, war der Artikel überschrieben – ein TTIP-freundlicher Beitrag, erschienen in redaktionellem Gewand wie ein journalistischer Kommentar. Doch der Text des lediglich als „Focus-Online-Experte“ titulierten Autors war ein Beitrag von interessierter Seite. Verfasser ist Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer gleich dreier Wirtschaftsverbände: des Bayerischen Unternehmensverbandes Metall und Elektro, des Verbandes der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft – Brossardt ist also schon qua Amt für TTIP. Über seine Funktionen erfuhren die Leser von Focus Online allerdings nichts. „Dies wäre jedoch notwendig, um dem Leser aus Transparenzgründen zu verdeutlichen, wer genau der jeweilige Focus-Experte ist und welchen beruflichen Hintergrund er hat“, begründete der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses 1 beim Deutschen Presserat seine Entscheidung. Wegen eines Verstoßes gegen die Sorgfaltspflicht im Pressekodex sprach er einen „Hinweis“ gegenüber der Focus-Online-Chefredaktion aus.

„Selbstverständlich haben Wirtschaftsvertreter das Recht, ihre Argumente auf den Tisch zu legen - aber bitteschön offen und nicht mit interessensgeleiteten Beiträgen, die als Journalismus getarnt daherkommen“, erklärte foodwatch-Sprecher Martin Rücker, der die Beschwerde beim Presserat eingereicht hatte. „Wo Interessen vertreten werden, müssen sie transparent sein.“

Erschwerend kommt hinzu, dass der Text inhaltlich falsch ist und die von TTIP zu erwartenden wirtschaftlichen Effekte stark überhöht. „Viele wissenschaftliche Studien haben inzwischen die verschiedenen positiven Effekte quantifiziert“, behauptet Bertram Brossardt. Tatsächlich wurden in den Studien unter spekulativen Annahmen lediglich vage Prognosen erstellt. Von denen zitiert Brossardt lediglich die langfristigen Einschätzungen für besonders optimistische Szenarien, die von den Studienautoren selbst zum Teil mit erheblichen Unsicherheiten gekennzeichnet werden. Herr Brossardt verschweigt nicht nur die Einschränkungen, sondern stellt die vagen Prognosen wie Fakten dar („Die Auswirkungen sind...“).

foodwatch forderte Herrn Brossardt sowie die Focus-Online-Chefredaktion auf, den Beitrag zu korrigieren oder von der Internetseite zu nehmen. „Der Text hätte nie erscheinen dürfen. Weder stimmen die Angaben, noch wurde die Interessenlage des Autors kenntlich gemacht. Hier versucht ein Wirtschaftslobbyist mit unlauteren Methoden, Stimmung pro TTIP zu machen“, so foodwatch-Sprecher Martin Rücker.