Pressemitteilung 16.09.2020

Von wegen „mehr“ Lebensmittelkontrollen: Gutachten widerlegt Klöckner-Versprechen

foodwatch wirft Landwirtschaftsministerium Täuschung von Öffentlichkeit und Parlament vor  

- Rechtsprofessor der Universität Trier: Klöckner-Entwurf „würde im Gegensatz zu den Bekundungen der Bundesregierung aller Voraussicht nach zu einer deutlichen Reduzierung der Gesamtzahl an Kontrollen führen“
- foodwatch: Landesregierungen müssen Reform stoppen
- Bundesrat entscheidet an diesem Freitag 

„Deutlich mehr Lebensmittelkontrollen“ insgesamt und eine „stärkere Ausrichtung der Kontrollen auf neuralgische Punkte“ durch zusätzliche Kontrollen in „Problembetrieben“ – mit diesen Versprechen werben Julia Klöckner und ihr Bundeslandwirtschaftsministerium für eine Reform der Lebensmittelüberwachung, die an diesem Freitag im Bundesrat zur Abstimmung steht. Ein juristisches Gutachten widerspricht den Aussagen jetzt entschieden: „Die Neuregelung würde im Gegensatz zu den Bekundungen der Bundesregierung aller Voraussicht nach zu einer deutlichen Reduzierung der Gesamtzahl an Kontrollen führen“, schreibt Prof. Dr. Ekkehard Hofmann, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Trier, in seiner Analyse des Klöckner-Entwurfs. Angesichts der „massiven Absenkung der Kontrolldichte bei den Regelkontrollen“ sei auch „nicht erkennbar, worin eine stärkere Fokussierung auf neuralgische Punkte liegen könnte“. Den öffentlich genannten Zielen werde der Reformentwurf daher „in keiner Weise gerecht“, so Prof. Dr. Ekkehard Hofmann. 

Die Verbraucherorganisation foodwatch, die die Expertise in Auftrag gegeben hatte, warf Julia Klöckner und ihrem Ministerium eine gezielte Täuschung der Öffentlichkeit und des Bundestages vor. In einer jetzt bekannt gewordenen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali behauptete das Ministerium ebenfalls, dass der Reformentwurf dazu führen werde, „dass nicht weniger, sondern mehr Kontrollen in Deutschland durchgeführt werden“. All diese Aussagen widersprächen dem Inhalt des Entwurfs diametral und seien spätestens mit Veröffentlichung des Gutachtens nicht länger haltbar, kritisierte foodwatch. 

„Julia Klöckner verbreitet systematisch die Unwahrheit über den Inhalt ihres eigenen Entwurfs um zu kaschieren, dass diese Reform eine gravierende Schwächung der Lebensmittelsicherheit in Deutschland bedeuten würde“, sagte dazu foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. „Verbraucherschützer und die Praktiker, also Lebensmittelkontrolleure und Amtstierärzte, haben schon lange vor einer Reduktion der Kontrollen durch den Entwurf gewarnt, nun bestätigt ein juristisches Gutachten die Sicht der Kritiker entgegen der anhaltenden Falschaussagen des Klöckner-Ministeriums. Die Landesregierungen dürfen dieses falsche Spiel nicht mitspielen und müssen die Klöckner-Reform am Freitag im Bundesrat stoppen.“ 

Neben foodwatch hatten auch bereits der Verbraucherzentrale Bundesverband, der Bundesverband der beamteten Tierärzte und der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands die Länder aufgefordert, den Entwurf abzulehnen. Unter www.aktion-lebensmittelkontrollen.foodwatch.de unterstützen zudem bereits fast 150.000 Menschen eine Online-Petition an die zuständigen Länderminister. 

In seinem Gutachten bestätigt Prof. Dr. Ekkehard Hofmann von der Universität Trier, dass der von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner vorgelegte Entwurf zur Änderung der sogenannten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Rahmen-Überwachung („AVV Rüb“) für Lebensmittelbetriebe in Zukunft weniger verpflichtende Kontrollbesuche vorsieht als die derzeit geltende Regelung. Besonders stark gekürzt würde ausgerechnet bei Risikobetrieben. In dem Gutachten heißt es: „Die Anzahl der Regelkontrollen wird in den fünf höchsten Risikokategorien bezüglich der zukünftig vorgesehenen Mindestanzahl zum Teil auf rund ein Viertel der zur geltenden Vorgabe zurückgeführt (etwa 12 statt 52 Kontrollen im Jahr in der Betriebskategorie 2), ohne dass ersichtlich wäre, wie das entstehende Defizit (von 40 Kontrollen im Jahr in der Betriebskategorie 2) durch Anlasskontrollen gefüllt werden könnte oder sollte.“

foodwatch wies darauf hin, dass Betriebe, von denen nach Einschätzung der Behörden das höchste Risiko für die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgehen kann, von arbeitstäglichen auf wöchentliche Regelkontrollen zurückgestuft werden sollen – damit würde für einen solchen Hochrisikobetrieb 200 Kontrollen im Jahr wegfallen. Für ein Unternehmen aus der Kategorie des Wurstherstellers Wilke sind nur noch 4 statt bisher 12 Pflichtkontrollen im Jahr vorgesehen. 

Lebensmittelüberwachung ist in Deutschland Sache der Länder, für die Kontrollen vor Ort sind rund 400 Lebensmittelbehörden in den Kommunen zuständig. Wie oft die Behörden so genannte Plankontrollen in den Lebensmittelbetrieben durchführen müssen, regelt die Allgemeine Verwaltungsvorschrift Rahmen-Überwachung (AVV RÜb). Abhängig von der Risikoeinstufung eines Betriebes ist festgelegt, wie viele Pflichtkontrollen eine Behörde dort durchführen muss. Die Vorschrift wird von Bundesregierung und Bundesrat verabschiedet. Der Bundestag ist in die Entscheidung nicht eingebunden.

Beispiele für die irreführende Kommunikation des BMEL zur Reform:
- „Es wird insgesamt deutlich mehr Lebensmittelkontrollen geben. Und insbesondere gezielter und häufiger dort, wo ein Anlass besteht.“ (twitter, 14.09.2020):  https://twitter.com/bmel/status/1305538844285165571   
- „stärkere Ausrichtung der Kontrollen auf neuralgische Punkte“ (Pressemitteilung, 29.07.2020): https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/130-lebensmittelsicherheit.html   
- zusätzliche Kontrollen in „Problembetrieben“ (Pressemitteilung, 29.07.2020): https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/130-lebensmittelsicherheit.html