Nachricht 19.02.2015

Unterernährung trifft Fettleibigkeit – Forscher mahnen

Während in vielen Ländern der Welt Kinder unterernährt sind, steigt die Zahl der Fettleibigen stark an. Forscher zeichnen in einer Serie von Studien ein dramatisches Bild und fordern neue Strategien. Sie plädieren dafür, dass sich auch die Marketingpraktiken von Lebensmittelunternehmen ändern müssen.

Die Zahl der übergewichtigen Kinder ist in den vergangenen 30 Jahren drastisch angestiegen – auch in Ländern, in denen Kinder nach wie vor von Unterernährung gebeutelt sind. Das stellt ein internationales Team von Wissenschaftlern in einer Serie von Studien fest, die in der britischen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht wurden.

US-Kinder wiegen heute 5 kg mehr als vor 30 Jahren

Kinder in den USA wiegen im Schnitt fünf Kilogramm mehr als ihre Altersgenossen vor dreißig Jahren, wie neue Schätzungen der Forschergruppe um Boyd Swinburn von der University of Auckland ergaben. Im Vergleich zu den 1970er Jahren nehmen US-Kinder täglich durchschnittlich 200 Kilokalorien mehr zu sich. Davon profitiere vor allem die Nahrungsmittelindustrie. „Dicke Kinder sind eine Investition für künftige Umsätze“, sagte Ko-Autor Tim Lobstein von World Obesity Federation in London.

In einer ihrer Arbeiten fügten die Forscher die Ergebnisse von Studien zusammen, die zwischen 1972 und 2012 veröffentlicht wurden. Dabei wird deutlich: In Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen wie Indien, Mexiko oder Südafrika sei ein Teil der unter Fünfjährigen nach wie vor unterentwickelt und -ernährt. Gleichzeitig steige die Zahl an fettleibigen Kindern dort rasch an. In Brasilien etwa stieg die Zahl der übergewichtigen inklusive der fettleibigen Kinder von etwa 7 Prozent Anfang der 1970er Jahre auf über 25 Prozent um 2010.

Forscher fordern: Marketingmethoden müssen sich ändern!

Aus ihren Ergebnissen leiten die Wissenschaftler die Forderung nach neuen Ernährungsrichtlinien ab, die die Verfügbarkeit, den Preis und Standards bei der Angabe von Nährwerten regeln. Sie plädieren dafür, dass sich Marketingpraktiken von Unternehmen ändern sollten. Kinder bräuchten Ernährungssicherheit und gesunde Angebote. Der Konsum von gesundem Essen dürfe nicht durch die Bewerbung von konkurrierenden, weniger nahrhaften Produkten gefährdet werden.


Regierungen müssen „Adipositas-Epidemie“ stoppen

Außerdem müssten die Regierungen der Länder stärker mit in den Kampf gegen die Fettleibigkeit einbezogen werden, damit der „Adipositas-Epidemie“ endlich Einhalt geboten werden könne. Als fettleibig gilt, wer als Ergebnis der Body-Mass-Index-Formel „Gewicht durch Körpergröße in Metern zum Quadrat“ einen Wert von mehr als 30 erreicht. Übergewichtig ist, wer einen Wert von 25 überschreitet.

Dabei werde weltweit mehr Obst und Gemüse gegessen als noch vor zwanzig Jahren, stellen Forscher einer Studie zur Essensqualität in 187 Ländern heraus. Der vermehrte Konsum von ungesunden Produkten wie verarbeitetem Fleisch oder gesüßten Getränken steche diese positive Entwicklung aber aus, schildert die internationale Forschergruppe um Fumiaki Imamura von der University of Cambridge im Journal „The Lancet Global Health“. In wohlhabenden Ländern wie den USA und Kanada sowie in Westeuropa ernährten sich die Menschen am schlechtesten.

15 Prozent der deutschen Kinder übergewichtig

In Deutschland ist dem Statistischen Bundesamt jeder zweite Erwachsene übergewichtig. 1999 brachten 48 Prozent zu viel auf die Waage, 2013 waren es schon 52 Prozent. Eine Studie (Kiggs) hatte von 2003 bis 2006 Daten zur Gesundheit von Kindern in Deutschland erhoben. Demnach galten in dem Zeitraum 15 Prozent der Sieben- bis Zehnjährigen als übergewichtig. Bei den 14- bis 17-Jährigen waren es sogar 17 Prozent. Der Anteil von Fettleibigkeit lag bei 6,4 und im höheren Alter bei 8,5 Prozent.

Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) hatte sich im November 2014 in einem offenen Brief an die Weltgesundheitsorganisation WHO gewandt und gewarnt: Das Problem der Fettleibigkeit werde weltweit massiv unterschätzt. Die Adipositas-Epidemie mittels freiwilliger Maßnahmen einzudämmen, müsse als gescheitert betrachtet werden.

(dpa)