Nachricht 24.04.2017

CETA: foodwatch fordert Prüfung durch EuGH

In einem Offenen Brief an Angela Merkel und Martin Schulz verlangt foodwatch eine Überprüfung des Ceta-Freihandelsabkommens mit Kanada durch den Europäischen Gerichtshof. Denn entgegen der Behauptungen der Bundesregierung ist das europäische „Vorsorgeprinzip“ in CETA nicht ausreichend geschützt.

Bevor der Europäische Gerichtshof (EuGH) das CETA-Freihandelsabkommen mit Kanada nicht geprüft habe, dürfe der Vertrag nicht in Kraft treten, fordert foodwatch in dem Offenen Brief an Angela Merkel und Martin Schulz. Anders als von der Bundesregierung behauptet, sei das europäische „Vorsorgeprinzip“ in dem Vertragstext nicht ausreichend verankert – Investoren aus Kanada könnten daher die Bundesregierung oder die Europäische Union auf Schadensersatz verklagen, wenn sie ihre Gewinne in Europa durch Verbraucher-, Gesundheits- oder Umweltschutzmaßnahmen gefährdet sehen. Das zeigt ein aktuelles Rechtsgutachten im Auftrag von foodwatch. Demnach drohen klagen in Milliardenhöhe. 

Rechtsgutachten: Vorsorgeprinzip in CETA nicht geschützt

In dem Rechtsgutachten zeigen Prof. Dr. Peter-Tobias Stoll, Direktor der Abteilung Internationales Wirtschaftsrecht und Umweltrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und sein Mitautor Patrick Abel, dass Regierungen in Europa auch nach Inkrafttreten von CETA nach dem vorsorgenden Ansatz Gesetze verabschieden können, etwa zum Verbraucher- oder Umweltschutz. Allerdings schaffe das Handelsabkommen „einen besonderen völkerrechtlichen Investitionsschutz“: Unternehmen könnten daher über den CETA-Investitionsgerichtshof die Europäische Union oder einzelne Mitgliedsstaaten wegen Regulierungen, die sich auf das Vorsorgeprinzip berufen, verklagen.

Unternehmen können Staaten auf Schadensersatz verklagen

„Wird die Europäische Union zur Verwirklichung des Vorsorgeprinzips zum Schutz der Umwelt, der Gesundheit und der Verbraucher regulatorisch tätig, kann dies die (...)  Investitionsschutzrechte der kanadischen Investoren verletzen. Diese können vor dem CETA-Investitionsschutzgerichtshof die Europäische Union auf Zahlung von Schadensersatz verklagen“, heißt es in dem Rechtsgutachten. Denkbar sei beispielsweise der Fall, dass die Europäische Union einen gesundheitlich umstrittenen Lebensmittelzusatzstoff verbiete. Ein kanadischer Investor, der diese Substanz oder Produkte, die sie enthalten, in die EU importiert, dort herstellt oder vermarktet, könnte dagegen auf Entschädigung klagen. Die EU könnte sich dann nur schwer mit Verweis auf das Vorsorgeprinzip verteidigen, so die Autoren.

Vorsorgender- versus nachsorgener Ansatz

Das Vorsorgeprinzip ist in den Verträgen der Europäischen Union festgeschrieben und bildet eine wesentliche Grundlage für die Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherpolitik in Europa. Es unterscheidet sich von dem vielfach nur "nachsorgenden Ansatz" in den USA und Kanada: Während in Nordamerika in vielen Bereichen Substanzen zugelassen werden, bis deren Schädlichkeit nachgewiesen wird, gilt beim Vorsorgeprinzip die Umkehr der Beweislast. Demnach muss ein Unternehmen – beispielsweise bei der Zulassung von Chemikalien – wissenschaftliche Nachweise über die Unschädlichkeit erbringen und diese offenlegen. Regierungen in Europa müssen bei potenziellen Risiken vorsorgend aktiv werden, wenn es begründete Bedenken gibt.

"Investoren aus Kanada können klagen, wenn sie ihre Gewinne zum Beispiel durch neue Umweltgesetze oder schärfere Verbraucherschutzstandards in Europa gefährdet sehen. Das Vorsorgeprinzip zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger wird somit durch CETA ausgehebelt. Frau Merkel und Co. beteuern zwar immer wieder, das Vorsorgeprinzip sei durch CETA nicht in Gefahr – Rechtsgutachten zeigen aber das Gegenteil. Solange der Europäische Gerichtshof diese entscheidende Frage nicht zweifelsfrei geklärt hat, darf das Abkommen nicht in Kraft treten."
Lena Blanken Volkswirtin bei foodwatch

Die Bundesregierung beteuert, dass das Vorsorgeprinzip gewahrt gewahrt bleibe. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen vom Oktober 2016 heißt es: „Aus Sicht der Bundesregierung bleibt das im europäischen Primärrecht verankerte Vorsorgeprinzip von CETA unberührt.“ Doch bereits im Juni vergangenen Jahres kam eine von foodwatch bei einem internationalen Wissenschaftlerteam in Auftrag gegebene Studie zu dem Ergebnis, dass Kanada die EU oder ihre Mitgliedstaaten verklagen kann, wenn diese auf Grundlage des Vorsorgeprinzips regulieren. Das heute vorgelegte Gutachten zeigt, dass zudem auch Investoren klagen können.

Vorläufige Anwendung für 1. Juli geplant

Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada ist ausverhandelt. Die Kanadische Regierung, der EU-Ministerrat und das EU-Parlament haben dem Vertrag bereits zugestimmt. Noch bevor der Deutsche Bundestag und der Deutsche Bundesrat über Zustimmung oder Ablehnung entscheiden, beabsichtigt die EU, große Teile des Vertrags schon vorläufig in Kraft zu setzen. Diese vorläufige Anwendung von CETA ist Medienberichten zufolge für den 1. Juli 2017 geplant.