Nachricht 14.02.2018

Rewes Kampf mit den Pfründen

Warum der Puddingtest des Handelskonzerns mehr ist als ein harmloser PR-Gag und wir es den Unternehmen nicht so einfach machen dürfen, kommentiert foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker.

Es ist ja neidlos anzuerkennen: Mit seinem Puddingtest ist Rewe ein PR-Coup gelungen. „Wie viel Zucker brauchst du noch?“, fragt der Handelsriese omnipräsent und bietet einen Schokoladenpudding in vier Variationen an, deren Rezepturen sich lediglich im Zuckergehalt unterscheiden. Mehr noch: Rewe ruft die Kundschaft auf zur vermeintlich basisdemokratischen Wahl, welcher Pudding (Original-Rezeptur oder mit 20, 30 und 40 Prozent weniger Zucker) künftig im Regal stehen soll – Aktionswebsite, TV-Spot und der unvermeidliche Fußballstar inklusive.

Der Test-Gewinner ist Rewe

Es ist eine Abstimmung, deren Gewinner wohl schon vorher feststehen soll: Rewe. Die tun schließlich was gegen zu viel Zucker, was im Umfeld von Regulierungsdebatten, Übergewichtsbekämpfung, horrenden Diabeteszahlen und, und, und ja nicht verkehrt sein kann. Und wenn der Pudding letzten Endes doch nicht oder nur ein bisschen weniger süß daher kommt: Tja, was soll man machen, die Kunden wollten es halt so. Wirklich smart. Aber natürlich viel mehr als ein harmloser PR-Gag.

Machen wir erst einmal selbst die Puddingprobe. Natürlich war ich neugierig und habe die Puddings gelöffelt. Alle. Eine solche Vergleichsmöglichkeit bei praktisch gleichbleibender Rezeptur bietet sich einem schließlich selten. Ich lege jedoch offen: Ich habe gegen die Spielregeln verstoßen. „Erst Original-Rezeptur und dann die Puddings mit niedrigerem Zuckergehalt probieren“, gibt Rewe vor – und lenkt damit natürlich schon die Versuchsanordnung. Ich habe mit dem am wenigsten gezuckerten Pudding begonnen, schließlich wollte ich wissen, ob der noch als Pudding durchgeht. Fazit: Für meinen Geschmack eindeutig süß genug. Nur: Er schmeckt fad, anders als die Original-Rezeptur, die allerdings aufgrund ihrer heftigen Süße im direkten Anschluss für mich nicht mehr genießbar ist.

Hierin besteht schon das manipulative Element von Rewes PR-getriebener Feldforschung: Niemand kann ernsthaft so tun, als habe Zucker in Lebensmitteln allein die Funktion, für Süße zu sorgen. Zucker wirkt vielmehr wie ein Geschmacksverstärker, und billig ist er noch dazu. Hersteller setzen ihn ein und sparen gleichzeitig an der Rohware, die eigentlich den Geschmack mitbringt – die aber zumeist deutlich teurer ist. In Rewes Original-Pudding übertüncht der viele Zucker die Schwächen der Rezeptur. Und der „zuckerreduziertesten“ Variante fehlt es nicht an Zucker, sondern an Kakao. Wer aber Rezepturen, die auf der Basis von viel, viel Zucker entwickelt wurden, nur beim Zucker korrigiert, ansonsten aber unverändert lässt, verzerrt Geschmack und Eindruck.

Süßprägung ist eine langfristige Entwicklung

Es darf also stark bezweifelt werden, dass es Rewe vor allem um die Erkenntnis ging, wie Varianten im Geschmackstest ankommen. Ganz abgesehen davon, dass Geschmacks- und damit Süßprägung langfristige Entwicklungen sind, die mit dem Abziehen eines Puddingbecherdeckels nicht plötzlich verschwinden. So oder so, und auch wenn sich eine Mehrheit der Rewe-Kunden für einen mehr oder weniger stark zuckerreduzierten Pudding entscheiden sollte: Allzu ernst nehmen sollte das Ergebnis niemand. 

Welche Chancen gesunde Ernährung beim Einkauf hat, hängt von zwei Dingen ab: Von der Nachfrage – und vom Angebot. Hier setzt die Verantwortung von Handelsunternehmen an, und die Verantwortung für das Angebot kann nicht vollständig auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abgewälzt werden.

Die Verantwortung der Handelsunternehmen ist groß

Die Handelsunternehmen sind gefragt: Wie viel Zucker mischen sie in ihre Eigenmarkenprodukte (nicht nur in Pudding, der Definition nach eine Süßigkeit, sondern in Ketchup, Müsli oder Gemüsekonserven)? Wie kennzeichnen sie den Zuckergehalt? Verzichten sie darauf, mit irreführend kleinen Portionsangaben ihren Zuckergehalt kleinzurechnen? Welche Produkte dienen sie kleinen Kindern in der Quengelzone vor den Kassen an? Halten sie sich zurück mit Werbung, Sponsoring und Unterrichtsmaterialien in Schulen? Vermarkten sie durch Werbung, Verpackungsdesigns und Aktionen weiterhin unausgewogene Produkte gezielt an kleine Kinder? Hier zählt es, was Handelsunternehmen tun. Und, sagen wir es wie es ist: Rewe ist da nicht unbedingt ein Vorbild. Auch deshalb wird der Ruf nach gesetzlicher Regulierung lauter: Eine Ampelkennzeichnung für Nährwerte, Werbebeschränkungen, Abgaben für Süßgetränke – früher oder später wird all dies kommen, und das zu Recht.

15 Prozent der Kinder in Deutschland gelten als übergewichtig, 6 Prozent sogar als fettleibig (adipös). Diabetes und Folgeerkrankungen gehören zu den häufigsten Todesursachen. Das alles ist seit Jahren bekannt, und schon seit Jahren sprechen Experten von einer „Adipositas-Epidemie“.

Verbindliche Ziele bei der Zuckerreduktion fehlen noch immer

Dass man diese nicht mit einem Puddingtest bekämpft, weiß auch ein Handelsunternehmen. Nur: Schon seit vielen Jahren hätte sich Rewe ganz konkret mit Zuckerreduktion befassen können. Bis heute sind jedoch nur die Werbekampagnen ausgereift. Zwar gibt es ein schwurbeliges „Strategiepapier“ zur Reduktionsstrategie, über ernstzunehmende, verbindliche Ziele für die Zuckergehalte aber schweigt sich das Unternehmen aus. Rewe will sich hier nicht festlegen. Ein Pudding lässt sich schließlich auch nicht an die Wand nageln – egal, wie viel Zucker drin steckt.