Nachricht 16.06.2010

Industrie investierte 1 Milliarde Euro in Kampf gegen die Ampel

Mehr als eine Milliarde Euro hat sich die Lebensmittelindustrie ihre Kampagne gegen die Ampel bereits kosten lassen, heißt es im Bericht der Anti-Lobby-Organisation Corporate Europa Observatory. Damit wurde vor allem das Gegenmodell zur Ampel beworben, die von der Industrie entwickelte GDA-Kennzeichnung (Guideline Daily Amounts).

Bei der GDA wird der Gehalt an Zucker, Fett und Salz in Bezug zur empfohlenen Tageshöchstmenge gesetzt und durch Prozentangaben bewertet. Studien haben gezeigt, dass eine solche Kennzeichnung mit Zahlen wesentlich schlechter verstanden wird als die schnell zu erfassenden Signale der Ampelfarben. Die Ampelkennzeichnung würde viele Produkte, die uns die Industrie heute als gesunde Zwischenmahlzeiten unterjubeln kann, auf den ersten Blick als zu fett- und zuckerlastig entlarven. Deshalb haben Nestlé, Unilever, Coca Cola und Co immense Lobby-Anstrengungen unternommen, um eine farbliche Nährwertkennzeichnung zu verhindern.

Historische Spitze beim Lobby-Aufgebot der Industrie

Europäische Abgeordnete vergleichen in dem Bericht die Lobbyanstrengungen der Lebensmittelindustrie in Sachen Nährwertkennzeichnung mit denen der Autoindustrie, als Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Autos festgelegt wurden, oder denen der Chemie-Industrie, als die neue europäische Chemikalien-Verordnung REACH verabschiedet wurde. 90 bis 95 Lobbyisten der Industrie kommen in solchen Spitzenzeiten auf fünf bis zehn Vertreter öffentlicher Interessen, schätzt der EU-Angeordneten Carl Schlyter (Die Grüne Fraktion) in einem Interview. Das übliche Verhältnis liege sonst niedriger, wenn auch immer noch bei 84 zu 16.

150 E-Mails pro Tag

Die holländische EU-Abgeordnete Kartika Liotard, Schatten-Berichterstatterin im zuständigen Umweltausschuss, berichtet: Als im März 2010 der zuständige Umweltausschuss des Europaparlaments über die Ampelkennzeichnung abstimmte, habe sie am Tag bis zu 150 E-Mails von Vertretern der Lebensmittelindustrie bekommen, mit Gesetzesvorlagen und Abstimmungsempfehlungen. Der Ausschuss hatte über Hunderte Anträgen zu entscheiden. Viele von diesen waren direkt von Lobbyisten an Abgeordnete herangetragen und von diesen teils gänzlich übernommen worden, heißt es in dem Bericht.

Griechische Regierung zahlt Werbekampagne für GDAs

Den Industrie-Lobbyisten sei es sogar gelungen, die GDAs von der inzwischen abgewählten griechischen Regierung bewerben zu lassen: Diese habe einen Werbespot und eine TV-Kampagne finanziert, mit der die von der Industrie entwickelte Kennzeichnung im November 2009 öffentlich beworben wurde.

Wie die Lebensmittel-Lobbyisten scheinbar unabhängige wissenschaftliche Studien in Auftrag gaben und die Abgeordneten mit Preisauschreiben von den Vorzügen der GDA-Kennzeichnung zu überzeugen versuchten, lesen Sie in dem vollständigen Bericht (PDF) der "Corporate Europa Observatory" (Juni 2010) in englischer Sprache sowie in einem Interview mit Carl Schlyter, grüner EU-Abgeordneter aus Schweden.