Übersicht über den Pferdefleisch-Skandal

Der Skandal um nicht-deklariertes Pferdefleisch ist ein gigantischer Betrugsfall, in den Handelskonzerne und Lebensmittelfirmen in halb Europa verstrickt sind. Der Fall offenbart die Schwachstellen im europäischen Lebensmittelmarkt. Eine Übersicht über die Ereignisse.

Am Abend des 14. Februar 2013 gab die für Betrugsbekämpfung zuständige Fachkommission des französischen Verbraucherministeriums den Stand ihrer Erkenntnisse in der Pferdefleischaffäre bekannt.  Demnach war aus Rumänien stammendes Pferdefleisch mit dem korrektem Warencode für gefrorenes Pferdefleisch gehandelt worden. Auf den Rechnungen eines holländischen Zwischenhändlers war eindeutig von Pferdefleisch die Rede. Erst auf Handelsdokumenten des französischen Unternehmens Spangero taucht nach Angaben der Behörden die Bezeichnung Rindfleisch auf. Die Behörden gehen davon aus, dass Spangero – aufgrund des im Vergleich zu Rindfleisch deutlich niedrigeren Kaufpreises – wusste, was es gehandelt hat.

750 Tonnen Pferdefleisch – 550.000 Euro Gewinn

Das Ausmaß des Betrugs umfasst insgesamt 750 Tonnen Pferdefleisch, die von August 2012 bis Ende Januar 2013 ohne Deklaration in Lebensmittelverpackungen millionenfach verarbeitet bzw. ausgeliefert wurden. Damit soll ein Gewinn von rund 550.000 Euro erzielt worden sein. 550 Tonnen sollen an das in Luxemburg produzierende Tochterunternehmen „Tavola“ des Metzer Unternehmens „Comigel“ gegangen sein, 200 Tonnen wurden direkt unter der Marke „La table de Spangero“ weiterverarbeitet. Dem Unternehmen soll die Produktionslizenz mit sofortiger Wirkung entzogen worden sein. Den Verantwortlichen drohen bis zu zwei Jahren Gefängnis und als Individuen bis zu 40.000 Euro Strafe. Aufgrund des französischen Unternehmensstrafrechts können zudem 180.000 Euro Strafe verhängt werden. Die französischen Behörden werfen auch Comigel vor, spätestens nach dem Auftauen erkannt haben zu müssen, dass es sich aufgrund von Geruch und Farbe nicht um Rindfleisch gehandelt haben könne.

Seit Mitte Januar Hinweise auf systematischen Betrug

Am 15. Januar 2013 bereits veröffentlichte die irische Lebensmittelsicherheitsbehörde FSAI die Ergebnisse einer Untersuchung von 27 Rindfleisch-Burgern,  in 37 Prozent der Fälle fanden die Beamten Pferdefleisch und in 85 Prozent der Fälle Schweinefleisch. Die betroffenen Unternehmen riefen die Produkte in Irland und Großbritannien zurück. Am nächsten Tag beschloss die britische Lebensmittelsicherheitsbehörde FSA, ähnliche Untersuchungen durchzuführen und zu ermitteln, wie das Pferde- und Schweinefleisch in die Rindfleischprodukte gelangen konnte. Am 18. Januar lagen erste Ergebnisse vor, mehrere Fleischverarbeitungsbetriebe in Großbritannien wurden untersucht, und am 4. Februar berief die Behörde ein Treffen mit allen großen Handelsunternehmen und Fleischlieferanten ein. Dabei wurde festgelegt, dass die Unternehmen ihre verarbeiteten Rindfleischprodukte wie Lasagne und Burger auf Pferde-DNA testen und die Ergebnisse anschließend gemeinsam mit der FSA vollständig veröffentlichen sollen. Gleichzeitig setzte auch die Behörde selbst ihr Test- und Ermittlungsprogramm fort.

Am 4. Februar rief das erste Unternehmen (der Tiefkühlproduktehersteller Findus) Lasagne zurück, die Pferdefleisch enthält. Der französische Lieferant der Lasagne, Comigel, hatte Findus bereits am 2. Februar darüber informiert, dass seit dem 2. August 2012 gelieferte Lasagne Pferdefleisch enthalten könnte. Am 7. Februar lagen Tests vor, die bestätigten, dass die Findus-Lasagne zu mehr als 60 Prozent aus Pferdefleisch besteht. Auch Aldi bestätigte, dass die von Comigel gelieferten Lasagnen zwischen 30 und 100 Prozent Pferdefleisch enthielten.

Am 8. Februar meldete Großbritannien im Europäischen Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel den „Verdacht auf Betrug bei Lasagne mit Rindfleisch“, die in Luxemburg mit Rohwaren aus Frankreich hergestellt wurden. Es handelte sich um die von Comigel über die luxemburgische Tochterfirma Tavola an Findus gelieferten Produkte. Am 12. Februar wurden über das Schnellwarnsystem schließlich – auch an die deutschen Behörden – ausführliche Listen mit den Empfängern potenzieller Pferdefleisch-Lasagnen von Tavola beziehungsweise Comigel verschickt. In Deutschland betraf dies Kaiser’s Tengelmann (Markant), Edeka, Eismann und Real.

In Deutschland erst ab Februar Produktrückrufe

Am 12. Februar riefen Tengelmann und Real Produkte offiziell zurück – „vorsorglich“, wie betont wird; Testergebnisse lägen noch nicht vor. Allerdings hatte Tengelmann schon am 6. Februar begonnen, Lasagne aus den Regalen zu räumen. Auch das Unternehmen Eismann, das am 13. Februar zugeben musste, möglicherweise Pferdefleischlasagne verkauft zu haben, gab an, schon in der vorangegangenen Woche Lasagne aus dem Sortiment genommen zu haben. Edeka teilte am 14. Februar mit, Pferdefleisch bereits in einigen Stichproben gefunden zu haben.

Die deutschen Handelsunternehmen haben also bis mindestens zum 12. Februar gewartet, um die Verbraucher darüber zu informieren, dass einige ihrer Rindfleischlasagnen Pferdefleisch enthalten könnten. Zu  diesem Zeitpunkt drohte ohnehin öffentlich zu werden, welche Unternehmen betroffen sein würden. Kenntnis vom Problem hatte der Handel schon sehr viel früher. Offenbar wollte man aber möglichst lange vermeiden, den Verdacht bestätigen oder die Verbraucher informieren zu müssen. Denn wenn Tengelmann die Lasagne schon am 6. Februar aus dem Regal geräumt hat, warum lagen dann am 12. Februar angeblich noch keine Testergebnisse vor? Hat Comigel am 2. Februar tatsächlich nur Findus in Großbritannien informiert und alle anderen großen Kunden nicht? Der Handel hat offenbar auf Zeit gespielt.

Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung veröffentlichen!

Und die deutschen Behörden? Die Bundesregierung wusste bereits Ende Januar, dass es in Großbritannien und Irland offenbar massive Betrugsfälle gab und falsch deklarierte Rindfleischprodukte im Umlauf waren, möglicherweise auch in Deutschland. Deshalb wies sie die Bundesländer auch am 30. Januar an, verstärkt darauf zu achten, ob ähnliche Produkte auch in Deutschland auf den Markt gelangt seien. Bis zum 12. Februar waren die Behörden jedoch offensichtlich nicht fündig geworden, Nordrhein-Westfalen gab an, noch auf Ergebnisse zu warten –obwohl DNA-Tests maximal 6 Tage dauern. Später hieß es, es seien keine Pferdefleisch-Funde gemacht worden. Was genau ist jedoch wann untersucht worden? Die Ergebnisse der behördlichen Untersuchungen sind  nicht veröffentlich worden. Die Verbraucher interessiert jedoch, welche Betriebe und Produkte mit welchen Ergebnissen untersucht wurden. Selbstverständlich auch dann, wenn Produkte nicht beanstandet wurden und deshalb guten Gewissens verzehrt werden können. Wie in Großbritannien müssen die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachungsbehörden den Verbrauchern zugänglich gemacht werden.

Handelskonzerne: Opfer oder Täter?

Festzustellen bleibt: Lebensmittelhandelskonzerne aus verschiedenen europäischen Staaten, darunter zahlreiche in Frankreich und Deutschland, bezogen Fertigprodukte von Comigel bzw. dessen Luxemburger Tochter Tavola als so genannte Eigenmarken. Die Handelskonzerne lassen in Lohnfertigung nach ihren Angaben zu ihren Einkaufskonditionen und Spezifikationen Lebensmittel in jeweils hauseigener Verpackung liefern. Mehrere Millionen Packungen von Tiefkühlgerichten dürften in dem Zeitraum zwischen August 2012 und Januar 2013 Pferdefleisch als undeklarierte Zutat enthalten haben. Nach Erkenntnissen der britischen Behörden sollen statt des ausgelobten Rindfleischs bis zu 100 Prozent Pferdefleisch enthalten gewesen sein.

Offenbar hat nicht ein Handelskonzern innerhalb von sechs Monaten auch nur ein einziges Mal überprüft, ob die unter seinem eigenen Namen vermarkteten Produkte gesetzeskonform sind. Umso überraschender ist es, dass der deutsche Lebensmittelhandel „seiner Sorgfaltspflicht umgehend und über die gesetzlichen Vorgaben hinaus nachgekommen“ sein will, wie Friedhelm Dornseifer, der Präsident des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels (BVL) am 15. Februar behauptete.