Nachricht 09.11.2011

VIG-Entwurf schützt Gammelfleisch-Verkäufer

Das Verbraucherinformationsgesetz wird aktuell überarbeitet – auch als Konsequenz aus dem Dioxin-Skandal Anfang des Jahres. In dem Entwurf, den Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner vorgelegt hat, sind zwar einige langjährige Forderungen von foodwatch umgesetzt. Doch Gammelfleischverkäufer werden weiterhin geschützt, eine schnelle Antwort auf Anfragen wird nicht garantiert und das Smiley-System zur Veröffentlichung von Kontrollergebnissen bleibt außen vor. Das kritisierte foodwatch heute bei einer öffentlichen Anhörung im Bundestag.

Nach den Dioxin-Funden/typo3/ in Eiern und Schweinefleisch Anfang 2011 versprachen Bund und Länder auch, das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) so zu ändern, dass Verbraucher in Zukunft umfassend und schnell über Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz informiert werden. Der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung, zu dem foodwatch bei einer öffentlichen Anhörung im Verbraucherausschuss am 9. November 2011 Stellung genommen hat, enthält denn auch in der Tat einige Verbesserungen – diese sind aber vielfach durch die aktuelle Rechtsprechung erzwungen oder gehen auf Prozesse zurück, die Verbraucherorganisationen geführt haben. Trotzdem ist der VIG-Entwurf nach wie nicht der ursprünglich angekündigte „Meilenstein“, denn:

  • Gammelfleischverkäufer werden weiterhin geschützt. Neben dem VIG soll auch Paragraph 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches geändert werden. Dieser regelt, wann Behörden vor gesundheitsschädlichen oder irreführenden Lebensmitteln warnen müssen. Überfällig ist die Änderung, dass Behörden die Öffentlichkeit zukünftig ohne Ermessenspielraum informieren müssen, wenn Produkte Grenzwerte oder Höchstmengen überschreiten. Bei Gammelfleisch und anderen so genannten „ekelerregenden“ Lebensmitteln, die nicht als gesundheitsgefährdend eingestuft werden, gibt es jedoch weiterhin Ermessensspielräume – Ross und Reiter müssen nicht zwingend genannt werden. Information über Hygieneverstößen und Täuschungsfälle sollen zudem an ein „zu erwartendes“ Bußgeld von mindestens 350 Euro gekoppelt werden. Aber nicht nur, dass es schwer nachvollziehbar ist, wie häufig Bußgelder in dieser Höhe tatsächlich verhängt werden. Die Behörden können zu Beginn eines Verfahrens oft auch nur schwer abschätzen wie hoch ein Bußgeld sein wird – und informieren dann im Zweifelsfall eben nicht. Deshalb werden auch künftig viele Informationen über Hygieneverstöße und Täuschungsfälle unter Verschluss bleiben. foodwatch fordert: Auch bei Gammelfleisch, Täuschung oder Hygieneverstößen muss ohne Ermessensspielräume informiert werden. Schon allein, damit Behörden endlich Rechtssicherheit für die Veröffentlichung der Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen haben.
  • Eine schnelle und umfassende Beantwortung von Anfragen nach dem Verbraucherinformationsgesestz ist immer noch nicht ausreichend sichergestellt. Weiterhin gibt es Hürden und Auslegungsspielräume, die dazu führen können, dass Anfragen erst sehr spät beantwortet werden. Das betrifft zum Beispiel die Frage, wann Unternehmen angehört werden müssen. Außerdem sollen Behörden auch künftig nur dann verpflichtet sein, Informationen zu veröffentlichen, wenn gesetzliche Grenzwerte überschritten wurden. Gibt es solche Grenzwerte nicht – wie zum Beispiel bei dem krebsverdächtigen Acrylamid, wo nur sogenannte „Signalwerte“ festgelegt sind, bei deren Überschreitung die Behörden aktiv werden sollen – wären Behörden also auch nicht verpflichtet, zu informieren.
  • Die Arbeit von Verbraucherorganisationen wird erschwert. Umfangreiche Anträge, die nach Ermessen der Behörde ihre Arbeit „beeinträchtigen“, soll eine Behörde abgelehnen können. Das zielt besonders auf Anfragen von Journalisten und Verbraucher- bzw. Umweltschutzorganisationen wie foodwatch, Greenpeace oder Deutsche Umwelthilfe. Dabei spielen Organisationen wie diese und Medien nicht nur eine wichtige Rolle, weil sie Informationen verbreiten. Sie haben auch mit Praxistests und Klagen dafür gesorgt, das Gesetz zu verbessern und Lücken aufzuzeigen. Das soll nun offenbar unterbunden werden.
  • Hohe Kosten wirken abschreckend. Waren Informationen zu Rechtsverstößen der Lebensmittelunternehmen bislang grundsätzlich kostenfrei herauszugeben, soll dies künftig nur noch bis zu einem Verwaltungsaufwand von 1.000 Euro gelten (bei allen anderen Anfragen bis 250 Euro). Eine Obergrenze für die Gebühren will das Ministerium nicht festlegen. Das heißt: Wenn die Verbraucher zur Kasse gebeten werden, wird es richtig teuer – und dass die Kosten unkalkulierbar sind, wirkt abschreckend und kann vom Stellen einer Anfrage abhalten.

Die Bundesregierung nutzt die Gelegenheit nicht, eine gesetzliche Grundlage für das Smileysystem zu schaffen. Das VIG könnte so gestaltet werden, dass die Bundesländer Rechtssicherheit hätten und mit der Einführung des Smiley beginnen könnten. Doch das will die Bundesregierung offenbar gar nicht. Dabei könnten die Behörden selbst Aufwand und Kosten sparen, wenn sie Informationen aktiv zum Beispiel mit einem Smiley-System und im Internet veröffentlichen würden. Denn dann müssten sie weniger einzelne Anfragen beantworten.

Praxisbeispiele

foodwatch hat bisher mit verschiedenen Anfragen an die Behörden belegt, dass das aktuell geltende Verbraucherinformationsgesetz mangelhaft ist und selbst Informationen über gesundheitsgefährdende Produkte oder Gammelfleisch nur mit sehr langer Verzögerung oder gar nicht herausgegeben werden. Die „schwarzen Schafe“ werden also in den meisten Fällen eben nicht – wie vom damaligen Verbraucherschutzminister Horst Seehofer ursprünglich versprochen – genannt.

  • Drei Jahre keine Auskunft zu Fleisch-Kontrollen: 2008 hatte foodwatch beim Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nach beanstandeten – das heißt auch gesundheitsgefährdenden – Fleischproben der Jahre 2006 und 2007 gefragt. Bis heute hat foodwatch dazu trotz einer Klage von foodwatch keine Auskunft erhalten.
  • Keine Information über behördeninterne Produktwarnungen: Im Mai 2011 fragte foodwatch beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Landwirtschaft (BVL) nach den als „Warnung“ gekennzeichneten, also als gesundheitsgefährdend eingestuften, Meldungen bzw. Produkten aus dem behördeninternen Europäischen Schnellwarnsystem (RASFF) aus dem Jahr 2010. Bis heute ist keine Information erfolgt.
  • Informationen über Acrylamid in Weihnachtsgebäck erst zu Ostern: Seit Jahren verlangt foodwatch ebenfalls vom BVL die Herausgabe der Ergebnisse des Acrylamid-Monitorings. Acrylamid ist ein potenziell krebserregender Stoff, der beim Frittieren oder Backen entsteht und oft in Chips, Spekulatius und Lebkuchen vorkommt. Das BVL gibt die Daten regelmäßig nur mit langer Verzögerung heraus, die auf langwierige Anhörungen von Unternehmen und Widerspruchsverfahren zurückgehen – obwohl Messergebnisse nicht einmal Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen. So kommen die Informationen über krebsgefährliches Weihnachtsgebäck erst dann bei den Verbrauchern an, wenn dieses längst gegessen ist.