Nachricht 23.02.2015

Schluss mit Schleichwerbung in der Schule

Vor dem Beginn der Bildungsmesse Didacta hat foodwatch eine kostenlose Abgabe von staatlich finanzierten Unterrichtsmaterialien an Lehrer und Schulen gefordert. Zwar gibt es für die Ernährungsbildung über alle Klassenstufen hinweg längst hervorragendes, unabhängig erstelltes Material. Dies können Lehrer jedoch in der Regel nur gegen Gebühr bestellen. Lebensmittelhersteller und Wirtschaftsverbände geben ihre Broschüren hingegen kostenfrei ab – versteckte Werbebotschaften inklusive.

Gerade in der Ernährungsbildung müssen sich Lehrer ihre Unterrichtsmaterialien oft selbst organisieren und nötigenfalls aus eigener Tasche bezahlen. Für Lebensmittelfirmen ist das eine Einladung für Schleichwerbung: Sie bieten Unterrichtsblätter gratis an und schleichen sich so in die Klassenzimmer. Durch die kostenlosen Unterlagen von Lebensmittelfirmen werden schon kleine Kinder in den Schulen direkten oder subtilen Werbe- und Lobbyeinflüssen ausgesetzt. Eltern sind gegen solche Einflüsse machtlos.

foodwatch fordert werbefreie Unterrichtsmaterialien

Für foodwatch ist klar: Erste Stunde Bio mit Ritter Sport, zweite Stunde Kochunterricht mit Dr. Oetker – so darf Schule nicht funktionieren. foodwatch forderte die Kultusminister der Länder auf, werbliche bzw. von Lebensmittelunternehmen und Lobbyverbänden gesponserte Materialien an ihren Schulen zu verbieten. Bund und Länder müssen zudem eine Lösung dafür finden, dass die staatlich finanzierten Materialien kostenfrei abgegeben werden. Von der vom Bundesernährungsministerium geförderten Organisation aid Infodienst gibt es zum Beispiel hervorragendes Lehrmaterial für alle Altersstufen.

Über eine E-Mail-Protestaktion unter www.schule-aktion.foodwatch.de kann jeder die Forderung an die zuständigen Minister der Bundesländer unterstützen.


Eine Analyse des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) hatte 2014 ergeben, dass Unterrichts-Materialien von Wirtschaftsunternehmen nachweislich schlechter sind als die der öffentlichen Hand. Es käme zu verkürzten oder einseitigen Darstellungen, wenn die Herausgeber bestimmte Interessen verfolgen, zudem  seien Produkt- und Markenwerbung enthalten. Von 453 untersuchten Materialien erhielten 27 die Note „mangelhaft“. Davon stammten 20 aus der Wirtschaft (74 Prozent).



Bildungsprojekte als Feigenblatt für die Industrie

Mit ihren Werbemaßnahmen an Schulen binden Lebensmittelhersteller schon die kleinsten Kunden an sich und machen ihnen dabei vor allem Süßigkeiten oder Snacks schmackhaft; gleichzeitig wird diese Form der Absatzförderung als „Engagement“ für die Bildung dargestellt. Dabei sind Bildungsprojekte für Lebensmittelfirmen nicht mehr als ein Feigenblatt, um von der eigenen Verantwortung für Fehlernährung und Übergewicht bei Kindern abzulenken: Auf der einen Seite versucht die Lebensmittelindustrie mit perfiden Marketingmethoden sogar an Schulen, Kindern möglichst viel Junkfood anzudrehen. Auf der anderen Seite inszenieren sich die Hersteller als verantwortungsvolle Unternehmen, indem sie vermeintlich uneigennützig Ernährungsbildung in der Schule unterstützen.

foodwatch hat suggestives Unterrichtsmaterial der Lebensmittelbranche zusammengetragen – einige Beispiele:   

  • Ritter Sport vertreibt eine Mappe, die etwa für den Biologie- oder Geschichtsunterricht in Grundschulen geeignet sein soll. Schokolade wird darin als „ein Stückchen Energie“ dargestellt, das „schmerzlindernd“ und „gut für Herz und Kreislauf“ sei. „Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Schokolade glücklich macht. Vielleicht hast du ja auch schon davon gehört“, heißt es unter anderem. In den „Hinweisen zur Verwendung“ für Lehrer wird empfohlen: „Hierfür bitte in ausreichender Menge Schokoladenstückchen für die Schüler zur Verfügung stellen, am besten auf Servietten, um das Schmelzen bzw. ‚Schokoladenfinger‘ zu vermeiden.“
  • Die Firma Brandt hat für ihre Unterrichtsmappe eigens die Figur „Zwiebra“ entwickelt, die Kindern „viele lustige Spiele zeigen“ soll: „Weißt du, woher mein Name kommt? Richtig! Ich knabbere am liebsten den ganzen Tag Zwieback von Brandt – das gibt ein Zwiebra!“
  • Dr. Oetker lädt beispielsweise mit seiner Unterrichtsmappe „Komm, Back mit!“ Kinder zum gemeinsamen Backen ein, damit „Sozialverhalten, Zahlen- und Mengenverständnis, methodisches Vorgehen und Küchenwissen“ vermittelt werden. Auf den Arbeitsblättern für Erst- und Zweitklässler ist das Marken-Logo aufgedruckt, die abgebildeten Kinder tragen Dr.Oetker-Schürzen, in den Rezeptvorschlägen werden Dr.Oetker-Produkte empfohlen.
  • Kellogg’s bietet unter anderem eine Malvorlage „für Kinder zwischen 4 und 6 Jahren“ an, bei der eine Ernährungspyramide ausgemalt werden soll. Mit dabei auf einer Stufe mit Brot, Nudeln oder Reis: Eine Schüssel Kellogg’s Cerealien. Der Hersteller empfiehlt die Malvorlage „für die allgemeine Ernährungserziehung sowie begleitend zur Therapie bei übergewichtigen Kindern.“ Dabei enthalten Kinderprodukte des Herstellers im Mittel 32 Gramm Zucker pro 100 Gramm, wie ein Marktcheck von foodwatch in 2012 ergab.
  • Auch der Lobbyverband BLL (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) ist in Schulen aktiv. Er vertreibt unter anderem die Broschüre „Mit Sicherheit lecker“, die helfen soll, „mit sachlichen Informationen zum Abbau von Ängsten im Bereich der Lebensmittel-Verarbeitung beizutragen“. Unter der Überschrift „Immer up to date: unsere Lebensmittelsicherheit“ heißt es dort: „Durch (…) wissenschaftliche Entwicklungen sind unsere Lebensmittel immer sicher. Neue Erkenntnisse werden zudem zügig in die Praxis umgesetzt. Die Lebensmittelunternehmen entwickeln immer neue Produktionstechniken, damit unsere Lebensmittel immer die beste Qualität haben.“