Produkttest Selbstverpflichtung

In einer freiwilligen Selbstverpflichtung versprechen die weltgrößten Lebensmittelhersteller, Werbung an Kinder verantwortungsvoll zu gestalten. Doch eine foodwatch-Studie zeigt: Die Selbstbeschränkung ist wirkungslos. Gesundheitsexperten fordern eine gesetzliche Begrenzung des Marketings an Kinder.
In Deutschland sind 15 Prozent der Kinder übergewichtig, sechs Prozent sogar adipös, also fettleibig – ihnen drohen Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen. Im Vergleich zu den 80er- und 90er-Jahren ist der Anteil übergewichtiger Kinder um 50 Prozent gestiegen. Der wichtigste Grund für das Übergewichtsproblem: Kinder ernähren sich falsch. Sie essen zu viele Süßigkeiten, fettige Snacks und trinken zu viele zuckerhaltige Getränke; Obst und Gemüse kommen dagegen zu kurz.
Freiwillige Beschränkungen bei Kinder-Werbung
Die Rolle der Lebensmittelindustrie in diesem Zusammenhang wird seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Insbesondere in der Kritik: das an Kinder gerichtete Marketing für unausgewogene Lebensmittel. Um der Kritik zu begegnen haben sich die weltweit führenden Lebensmittelunternehmen bereits 2007 im Rahmen einer Initiative der Europäischen Union freiwillig dazu verpflichtet, ihr Marketing verantwortungsvoller zu gestalten. In dem sogenannten „EU Pledge“ haben sie zugesichert, freiwillig Regeln für an Kinder gerichtetes Marketing einzuhalten. So sollen beispielsweise nur noch Lebensmittel, die bestimmte Nährwertanforderungen erfüllen, an Kinder unter zwölf Jahren beworben werden. „We will change our food advertising to children“, lautet das Versprechen des „EU Pledge”.
foodwatch-Studie: 281 Kinderprodukte im Test...
foodwatch hat in einer Studie überprüft, ob diese Selbstverpflichtungserklärung dazu geführt hat, dass tatsächlich nur noch ausgewogene Lebensmittel an Kinder vermarktet werden. Dazu wurden alle in Deutschland an Kinder vermarkteten Produkte derjenigen Hersteller unter die Lupe genommen, die den „EU Pledge“ unterzeichnet haben – unter anderem Kellogg’s, Ferrero, Danone, Nestlé und Coca-Cola. Die Nährstoffzusammensetzung aller Produkte, die sich in Marketing oder Werbung direkt an Kinder richten, wurde mit den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation an ernährungsphysiologisch ausgewogene Lebensmittel abgeglichen. Das WHO-Regionalbüro für Europa (WHO/Europa) hatte Anfang 2015 Empfehlungen für die Beschränkung von Kindermarketing veröffentlicht. In diesem sogenannten nutrient profile model werden Lebensmittel nach Kategorien anhand ihrer Nährwertzusammensetzung dahingehend bewertet, ob sie sich im Marketing an Kinder richten sollten oder nicht. Dabei spielen die Anteile von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz, aber auch der Kaloriengehalt, Zuckerzusätze und zugefügte Süßstoffe eine Rolle. Die Empfehlungen der WHO/Europa: Nur die nach diesem Modell als ernährungsphysiologisch ausgewogen geltenden Produkte dürften an Kinder vermarktet werden.
...und 90 Prozent fallen durch
Das Ergebnis der foodwatch-Studie ist eindeutig: Von insgesamt 281 Produkten im Test erfüllen nur 29 die WHO-Kriterien. 90 Prozent (252) der Lebensmittel sollten nach Meinung der Gesundheitsexperten hingegen nicht an Kinder vermarktet werden. Das deutliche Ergebnis zeigt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie auch acht Jahre nach Unterzeichnung nicht zu einem verantwortungsvollen Lebensmittelmarketing für Kinder geführt hat. Mit der wohlklingenden Selbstverpflichtung inszeniert sich die Lebensmittelbranche zwar als Vorreiter im Kampf gegen Übergewicht und Fehlernährung –vermarktet aber gleichzeitig tonnenweise Süßigkeiten und Junkfood gezielt weiter an Kinder.
Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie wirkungslos
Der freiwillige Selbstverpflichtung EU Pledge ist aus folgenden Gründen ungeeignet, verantwortungsvolles Kindermarketing für Lebensmittel sicherzustellen:
- Die Nährwertgrenzen, wonach ein Produkt als ungesund gilt, sind im Vergleich zu den Nährwertkriterien der WHO/Europa zu lasch!
Insbesondere in Bezug auf den maximalen Zuckergehalt von Frühstücksflocken (30 Prozent beim EU Pledge zu 15 Prozent bei den WHO-Empfehlungen) und Joghurts (13,5 Prozent zu 10 Prozent) sind die EU Pledge-Nährwertkriterien nicht mit denen der WHO/Europa vergleichbar. Auch fettig-salzige (extrudierte) Chips erfüllen die EU Pledge-Nährwertkriterien für ausgewogene Lebensmittel. Das führt dazu, dass beispielsweise Danones Fruchtzwerge, Pombär-Chips von Intersnack sowie zahlreiche Nestlé-Frühstücksflocken, die zu etwa einem Viertel aus Zucker bestehen, trotz Selbstverpflichtung weiter an Kinder beworben werden dürfen. - Zwei der wichtigsten Marketingkanäle (Verpackungsgestaltung und Werbung am Verkaufsort) sind von der Selbstverpflichtung ausgeschlossen. Effektive Marketing-Beschränkungen müssen ausnahmslos alle Marketing-Kanäle betreffen!
Selbst für Produkte die die EU Pledge-Nährwertkriterien nicht erfüllen, beispielsweise Schokolade oder Softdrinks, ist innerhalb der Selbstverpflichtung an Kinder gerichtetes Marketing dennoch möglich. Denn der EU Pledge regelt nicht die Verpackungsgestaltung, Spielzeugbeigaben oder POS-Promotions (Werbeaktionen an den Verkaufsstellen). An den Produktaufmachungen im Supermarkt ändert sich also nichts – hier locken die Süßwaren von Mondelez, Ferrero und Co. weiterhin mit Comicfiguren, Gewinnspielen und Aktionen, die Kinder ansprechen und zum Quengeln bringen sollen. - Die Altersgrenze „bis 12 Jahre“ ist zu gering. Beschränkungen müssen auch für Marketing-Maßnahmen gelten, die sich an Kinder bis 16 Jahre richten!
Die vom EU Pledge gewählte Altersgrenze für Werbung an „Kinder unter 12 Jahren“ ist willkürlich gezogen. Marketing-Beschränkungen sollten sich konsequenterweise auf Kinder und Jugendliche bis mindestens 16 Jahren erstrecken. - Längst nicht alle Lebensmittelunternehmen sind Unterzeichner des EU Pledge!
Zwar haben die weltgrößten Lebensmittelunternehmen die freiwillige Selbstverpflichtung unterzeichnet – zahlreiche Branchengrößen fehlen jedoch: Dr. Oetker, Storck, Katjes, Haribo, KFC, Bahlsen, Deutsche SiSiWerke, Ehrmann, Zott, Hipp – und viele mehr. Ebenso fehlt der Lebensmitteleinzelhandel, der mit seinen Eigenmarken häufig ebenfalls Comicfiguren im Marketing einsetzt. Wenn an Kinder gerichtetes Marketing für ernährungsphysiologisch unausgewogene Lebensmittel verhindert werden soll, ist eine gesetzlich verpflichtende Regelung unausweichlich.
Gesundheitsexperten fordern gesetzliche Regulierung
Zusammen mit medizinischen Fachgesellschaften und Gesundheitsorganisationen fordert foodwatch endlich eine effektive gesetzliche Beschränkung. Die gemeinsame Forderung von foodwatch, der Deutschen Adipositas Gesellschaft, der Deutschen Diabetes Gesellschaft und diabetesDE - Deutsche Diabetes-Hilfe: An Kinder gerichtetes Marketing darf nur noch für Lebensmittel, die den WHO-Kriterien entsprechen, erlaubt sein. Rein freiwillige Maßnahmen der Lebensmittelindustrie reichen nicht aus.