Nachricht 03.08.2015

„Wir stellen fest, dass es einen Wertewandel in der Gesellschaft gibt.“

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, wirft der Politik im foodwatch-Interview totales Versagen in Sachen Tierschutz vor. Seine Forderung: Konsequenter Tierschutz in der Nutztierhaltung, und zwar so schnell wie möglich.

Herr Schröder, warum hat der Deutsche Tierschutzbund ein eigenes Tierschutzlabel aufgelegt?

Wir haben ein zweistufiges Label entwickelt, weil der Gesetzgeber total versagt. Die gesetzlichen Vorgaben sind viel zu niedrig und es gibt keine staatliche Tierschutzkennzeichnung. Um jetzt und sofort für Millionen Tiere erste Verbesserungen zu schaffen, sind wir gestartet. Wichtig ist: Unser Label ist kein zusätzlicher Kaufanreiz. Es ist eine Kaufalternative. Verzicht auf tierische Produkte ist der direkteste Weg zu mehr Tierschutz.

Wie schwierig ist es, Produzenten zu gewinnen, sich den Siegel-Kriterien zu verpflichten?

Für uns als Tierschützer ist es schon belastend, mit Fleischkonzernen zu verhandeln, wie Tiere zum Verzehr verarbeitet werden. Und dann ist da noch die Kritik, dass wir eine Einstiegsstufe haben, die natürlich nicht das ist, was Tierschützer sich wünschen. Aber wir brauchen den Einstieg, um möglichst jetzt und sofort Verbesserungen zu erzielen. Das große Ziel verlieren wir trotzdem nicht aus den Augen.

Tierschutzlabel des Tierschutzbundes

Das Tierschutzlabel des Tierschutzbundes kennzeichnet Produkte tierischen Ursprungs, denen Tierschutzstandards zugrunde liegen, die für die Tiere einen Mherwert an Tierschutz gewährleisten. Das zweistufige Label unterschiedet zwischen der Einstiegsstufe und der strengeren Premiumstufe.

Ist die Premiumstufe als Standard für alle ihr großes Ziel?

Ja, so ist es. Aber es muss auch klar sein, dass im Moment Millionen Tiere weit ab von den Bedingungen der Premiumstufe leben. Deshalb brauchen wir die Einstiegsstufe, um die Landwirte da abzuholen, wo sie stehen. Das ist traurige Realität.

foodwatch verfolgt das Ziel, dass nur tiergerecht gewonnene Produkte verkauft werden und fordert einen EU-weiten gesetzlichen Mindeststandard für Haltungsverfahren und Tiergesundheitsparameter. Ein Ansatz, den der Deutsche Tierschutzbund mitgehen kann?

Wir wären alle froh, wenn wir kein Label bräuchten, weil es den Tieren so geht, wie es die Gesellschaft erwartet und es der Tierschutz auch erfordert. Davon sind wir weit ab. Aber jeder, der hohe Standards fordert, hilft mit und bewegt die Gesellschaft. Deshalb ist der foodwatch-Ansatz wichtig – und wird in der Diskussion sehr hilfreich sein.

Was müssen die Verbraucher für tiergerecht erzeugte Lebensmittel bezahlen?

Nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsminister würden sich die Verbraucherpreise für tierische Lebensmittel aus einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung lediglich um  drei bis  sechs  Prozent erhöhen, sofern die Politik alle Fördersysteme – wie zum Beispiel Subventionen – darauf ausrichtet. Das muss machbar sein und zeigt: Die Politik ist in der Bringschuld! Für das Tierschutzlabel wissen wir, dass die Einstiegsstufe etwa ein Drittel mehr kostet als Standardware und die Premiumstufe noch mal ein Drittel teurer ist. Aber die Kosten hängen am Ende auch vom Einkaufsverhalten des Verbrauchers ab. Wer noch Fleisch isst und nur die „Edelstücke“ will, muss sich klar sein, dass die Edelstücke den Rest des Schlachtkörpers mitfinanzieren. Und manchmal muss man auch mal wieder daran erinnern, dass ein Schnitzel auf dem Teller vorher ein Mitgeschöpf war, das verdrängen viele.

Wie optimistisch sind Sie, dass irgendwann Tiergerechtigkeit zur Normalität in den Ställen werden wird?

Wir stellen fest, dass es einen Wertewandel in der Gesellschaft gibt. Den können weder die Agrarlobby noch Fleischindustrie oder Handelskonzerne mit Presseerklärungen, hübschen Bildern und „Tierwohlinitiativen“ aufhalten. Und klar ist, dass der Gesetzgeber diesen Wertewandel in einen passenden Rahmen für konsequenten Tierschutz setzen muss.

Thomas Schröder ist seit Oktober 2011 Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. In verschiedenen Bündnissen mit dem Schwerpunkt einer tiergerechteren Landwirtschaft setzt er sich aktiv für eine bessere Tierhaltung ein. Darüber hinaus ist er unter anderem auch im Beirat von Transparency International Deutschland aktiv.