15-Punkte-Plan gegen Etikettenschwindel

Über einen Barcode wird eine Konservendose "gescannt", sichtbar wird dadurch der Aufdruck: "Mogelpackung"

Etiketten führen Verbraucher ganz legal in die Irre, das hat mittlerweile auch die Politik erkannt. Doch nach wie vor mangelt es an klaren Informationspflichten und an Gesetzen, die verbieten, was heute noch erlaubt ist. Der 15-Punkte-Plan von foodwatch zeigt, was sich ändern muss.

Das Problem ist erkannt – deshalb hat die Bundesregierung schließlich im Sommer 2011 das Internetportal lebensmittelklarheit.de geschaltet, auf dem über den alltäglichen Etikettenschwindel informiert wird. Doch außer Aufklärung ist nichts passiert, auch aus den Erfahrungen des Portals wurden keine Lehren gezogen.

Regierungsstudie sieht Handlungsbedarf

Dabei bestätigt selbst die vom Bundesverbraucherministerium in Auftrag gegebene Begleitforschung zum Portal den enormen Handlungsbedarf. In der Studie unter dem Titel „Trends in der Lebensmittelvermarktung“ empfahlen die Agrifood Consulting GmbH und Prof. Dr. Achim Spiller von der Georg-August-Universität Göttingen im Januar 2012, „Rahmenbedingungen auf dem Lebensmittelmarkt zu schaffen die den Kunden, aber auch den Mitbewerbern Schutz vor opportunistischem Verhalten einzelner Unternehmen bieten. “ Zudem müsse vor diesem Hintergrund „auch bestehende rechtliche Regelungen und Begriffsfassungen kritisch hinterfragt werden.“

foodwatch legt Aktionsplan vor

Um die Diskussion über Lösungen des vielfältig beschriebenen Problems der legalen Verbrauchertäuschung voranzubringen, hat foodwatch einen Aktionsplan für nationale wie europäische Regelungen vorgelegt – verbunden mit der Forderung an die Bundesregierung, diesen 15-Punkte-Plan für mehr Lebensmittelklarheit durchzusetzen.

Das Problem: Wichtige Produktinformationen werden oft nur auf der Rückseite oder im Kleingedruckten genannt, während werbliche Auslobungen den Großteil von Lebensmittelverpackungen und insbesondere der Schauseite blockieren. Verbraucherinnen und Verbraucher werden deshalb häufig durch die Schauseite in ihrer Erwartung getäuscht.

Die Lösung: Die wichtigsten objektiven Produktinformationen  über ein Lebensmittel müssen gut lesbar in einem einheitlichen Schema angegeben werden. Werbung darf den Produkteigenschaften  und der Produktionsweise nicht widersprechen.

Das Problem: Die Pflichtangaben auf Lebensmitteln sind für viele Menschen, insbesondere mit Sehschwäche, kaum lesbar, da die EU-weit definierte Mindestschriftgröße lediglich 1,2 Millimeter beträgt (bei kleinen Verpackungen sogar nur 0,9 Millimeter, jeweils bezogen auf das kleine „x“). Zum Teil ist die Lesbarkeit auch durch schwache Kontraste zwischen Schriftfarbe und Untergrund, Zeichen- oder Zeilenabstand eingeschränkt – all dies ist nicht hinreichend gesetzlich definiert.

Die Lösung: Alle Pflichtangaben müssen deutlich sichtbar und auch für Menschen mit Sehschwäche gut lesbar sein. Der Gesetzgeber muss hierfür die Empfehlungen für Nutzerfreundliche Printmedien (Schriftgröße, Zeichen- und Zeilenabstand sowie Farbkontrast) von Seniorenorganisationen  zur Vorgabe für Lebensmittelverpackungen machen. 

Das Problem: Auf der Schauseite werden häufig durch Abbildungen und Produktbezeichnung falsche Mengenverhältnisse von enthaltenen Zutaten vermittelt oder sogar Zutaten abgebildet, die im Produkt gar nicht enthalten sind.

Die Lösung: Die Abbildung eines Lebensmittels auf der Verpackung muss dem tatsächlichen Lebensmittel entsprechen. Geschönte Abbildungen und „Serviervorschläge“ müssen untersagt werden. Werden einzelne Zutaten eines Produktes werblich in Bild oder Text hervorgehoben, muss der Hersteller gut sichtbar direkt bei der werblichen Hervorhebung nennen, welchen Anteil (in Prozent) diese Zutat im Produkt ausmacht. Generell sollten für alle Zutaten im Zutatenverzeichnis die jeweiligen Gewichtsanteile angegeben werden.

Das Problem: Verbraucher erfahren bei den allermeisten Lebensmitteln nichts über die Herkunft der Zutaten. Begriffe wie „Heimat“ oder „regional“ sind zudem gesetzlich nicht geschützt, so dass Hersteller diese in erster Linie als Marketinginstrument einsetzen, bei denen die tatsächliche Herkunft der Zutaten nicht mit dem Beworbenen übereinstimmen muss.

Die Lösung: Hersteller müssen verpflichtet werden, die Herkunftsländer der Hauptzutaten  ihrer Produkte anzugeben. Mit Herkunftsangaben darf nur dann geworben werden, wenn das Versprechen durch die tatsächliche Herkunft der Hauptzutaten gedeckt ist und die Ursprungsregion (zum Beispiel für Deutschland mindestens bundeslandgenau) für alle Zutaten angegeben wird. Bei Produkten mit Zutaten von außerhalb der EU genügt das Land als Herkunftsangabe.

Das Problem: Die Nährwerte eines Lebensmittels müssen bisher nur im Kleingedruckten auf der Verpackungsrückseite angegeben werden. Bei der GDA-Kennzeichnung (Guideline Daily Amount) auf der Schauseite rechnen Hersteller mithilfe unrealistischer Portionsgrößen und irreführender Richtwerte die Nährwerte schön.

Die Lösung: Verbraucherinnen und Verbraucher müssen schon auf der Schauseite von Verpackungen leicht verständliche und gut lesbare Nährwertinformationen erhalten, damit sie Produkte auf einen Blick miteinander vergleichen können. Aus Sicht von foodwatch verwenden die besten Kennzeichnungssysteme Farbsignale – zum Beispiel die Ampelkennzeichnung nach dem ursprünglichen Muster der britischen Food-Standards-Agency (FSA)  oder das französische Nutri-Score-Modell („5 C“). Ein solches System muss verbindlich vorgegeben werden.


Das Problem: Die derzeitige Aromen- und Zusatzstoff-Kennzeichnung (E-Nummern) ist missverständlich. Aromen aus lebensmittelfremden Rohstoffen imitieren Geschmacksrichtungen, häufig ohne, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher davon erfahren. Auch gesundheitlich umstrittene Zusatzstoffe dürfen von Herstellern verwendet werden.  Lebensmittel mit „Clean Label" (z.B. „ohne Geschmacksverstärker") werben mit der Abwesenheit bestimmter Zusatzstoffe, obwohl andere enthaltene Zutaten (z.B. Hefeextrakt) eine sehr ähnliche Funktion oder Wirkung haben.

Die Lösung: Der Einsatz von Aromen und Zusatzstoffen muss transparent sein. Werden  Aromen aus Zutaten im Sinne des Lebensmittelrechts verwendet, müssen diese als „natürliches Aroma“ unter Nennung des Rohstoffs in der Zutatenliste stehen – alle anderen Aromen müssen dort als „lebensmittelfremdes Aroma“ deklariert werden.  Alle gesundheitlich umstrittenen Zusatzstoffe müssen verboten werden. Wird mit einem „Clean Label“ die Abwesenheit von bestimmten Stoffen beworben (z.B. Geschmacksverstärker, Farbstoffe), so darf keine anderer Stoff zum Einsatz kommen, der diese oder eine ähnliche Wirkung hat. 

Das Problem: Viele Lebensmittel werden mithilfe von Zutaten, Zusatzstoffen oder technischen Hilfsstoffen tierischen Ursprungs hergestellt – ohne, dass dies für die Verbraucherinnen und Verbraucher sofort erkennbar ist. Bei Fleisch- und Fischerzeugnissen werden nicht immer alle enthaltenen Tierarten auf der Schauseite genannt. Das schränkt die Wahlfreiheit etwa von Vegetariern, Veganern oder Menschen, die religiöse Speisegesetze befolgen wollen, erheblich ein.

Die Lösung: Wo Zutaten, Zusatzstoffe oder technische Hilfsstoffe tierischen Ursprungs eingesetzt werden, muss dies inklusive Angabe der Tierart gekennzeichnet sein. Das gilt auch für tierische Bestandteile in Aromen oder bekannte produktionsbedingte Verunreinigungen. Wer vollständig auf Lebensmittel tierischen Ursprungs verzichten möchte, muss die Möglichkeit dazu haben. Zudem sollten bei Fleisch- und Fischerzeugnissen immer alle verwendeten Tierarten mit Mengenangabe in Prozent auf der Schauseite stehen.

Das Problem: Der Großteil der Menschen in Europa lehnt den Einsatz von Agrar-Gentechnik in der Landwirtschaft ab. Trotzdem erfahren Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf nicht, ob Produkte wie Fleisch, Milch oder Eier von Tieren stammen, die mit gentechnisch veränderten Futterpflanzen gefüttert wurden.

Die Lösung: Verbraucherinnen und Verbraucher müssen selbst entscheiden können, ob sie beim Lebensmittelkauf den Einsatz von Gentechnik auf dem Acker unterstützen wollen. Tierprodukte, bei deren Erzeugung gentechnisch veränderte pflanzliche Futtermittelbestandteile zum Einsatz kamen, müssen als solche gekennzeichnet werden.

Das Problem: Mit Begriffen wie „traditionell“, „natürlich“ oder „handwerklich“ suggerieren viele Hersteller eine besondere Qualität, obwohl es sich um Standard-Industrieware handelt. In anderen Fällen werden Lebensmittel wie Käse, Schinken oder Garnelen durch billige Ersatzstoffe imitiert – die Kennzeichnung ist jedoch häufig unzureichend.

Die Lösung: Wenn die Herstellungsweise eines Produktes beworben wird, muss diese mit konkreten Angaben belegt werden. Industriell hergestellte Lebensmittel dürfen nicht mit Begriffen wie traditionell, natürlich oder handwerklich beworben werden. Lebensmittel-Imitate müssen auf ihrer Schauseite Produktbezeichnungen tragen, durch die eindeutig erkennbar ist, dass ihre Zusammensetzung von den Originalprodukten abweicht.

Der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen und Tiere muss kenntlich gemacht werden. Dies gilt auch für Tierprodukte, bei deren Erzeugung gentechnisch veränderte Futtermittel zum Einsatz kamen – die bestehende Kennzeichnungslücke muss geschlossen werden, damit Verbraucher echte Wahlfreiheit haben.

Das Problem: Alkoholgehalte von Lebensmitteln müssen nicht immer angegeben werden. Wird ein Getränk als „alkoholfrei“ beworben, sind bis zu 0,5 Volumenprozent Alkohol erlaubt.

Die Lösung: Wird einem Produkt Alkohol zugesetzt oder die Bildung von Alkohol durch die Her-stellungsweise gefördert, muss der Alkoholgehalt ausgewiesen werden. Produkte, die Alkohol auch in geringen Mengen enthalten, dürfen nicht als „alkoholfrei“ bezeichnet werden.

Das Problem: Große Packung, wenig Inhalt – mit diesem Trick wird Verbrauchern das Geld aus der Tasche gezogen. Bislang ist lediglich ein „Richtwert“ von maximal 30 Prozent Luftanteil in der Verpackung vorgegeben – es existieren jedoch mehrere Ausnahmen.

Die Lösung: Grundsätzlich müssen Verpackungen so weit wie möglich gefüllt werden. Hersteller müssen neben der Angabe des Nettogewichts auch die Füllmenge ihrer Verpackungen auf der Schauseite transparent machen – zum Beispiel durch Angabe der Füllhöhe, durch transparente Verpackungen bzw. ein Sichtfenster oder durch nähere Angaben zum Verpackungsinhalt(z.B. die Anzahl einzeln verpackter Bonbons in einer Tüte).

Das Problem: Die Lebensmittelindustrie vermarktet fast ausschließlich zu süße, zu fettige, zu salzige Produkte an Kinder oder als geeignet für Kinder an ihre Eltern. Dadurch trägt sie maßgeblich zur grassierenden Fehlernährung bei. Eine unausgewogene Ernährung ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung von Übergewicht und chronischen Krankheiten wie Diabetes Typ II.

Die Lösung: Der Gesetzgeber muss das Nährwertprofilmodell  der WHO-Europa zur Grundlage von Marketingbeschränkung machen. Nur jene Lebensmittel, die die Anforderungen des WHO-Modells erfüllen, dürfen als Kinderprodukte vermarktet werden. Unausgewogene Produkte dürfen hingegen nicht länger als geeignet für Kinder dargestellt oder mit Comicfiguren oder Spielzeugbeigaben für Kinder attraktiv gemacht werden.

Das Problem: Gesundheitsbezogene (Health Claims) oder nährwertbezogene Werbeaussagen sind häufig irreführend und nicht dazu geeignet, eine ausgewogene Ernährung zu fördern. Die EU erlaubt, dass unausgewogene Lebensmittel wie Zuckergetränke oder Kekse mit Gesundheits-versprechen wie „für das Immunsystem“ oder nährwertbezogenen Angaben wie „zuckerreduziert“ beworben werden. Gemäß EU-Recht hätte dies durch sogenannte Nährwertprofile verhindert werden sollen – die EU ist diese aufgrund des massiven Widerstands der Lebensmittelindustrie seit Januar 2009 schuldig geblieben.

Die Lösung: Die EU muss endlich Nährwertprofile zur Voraussetzung für Gesundheits- und Nährwertwerbung machen: Nur jene Lebensmittel, die die Anforderungen des WHO-Nährwertprofilmodells erfüllen, dürfen mit gesundheits- oder nährwertbezogenen Angaben vermarktet werden. Solange die WHO-Nährwertprofile nicht in Kraft sind, müssen derartige Werbeaussagen grundsätzlich untersagt werden.

Das Problem: „Kirsch“-Tee ohne Kirschen oder „Alaska-Seelachs“ ohne Lachs: Die beim Bunde-sernährungsministerium angesiedelte „Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission“ legt Produktbezeichnungen und Zusammensetzungen fest, durch die Verbraucherinnen und Verbraucher regelmäßig in die Irre geführt werden.

Die Lösung: Verbindliche Vorgaben zur Bezeichnung von Lebensmitteln müssen durch ein transparentes und demokratisches Verfahren festgelegt werden. Die Verbrauchererwartung muss ausschlaggebend sein - nicht die „allgemeine Verkehrsauffassung“ unter Experten.

Das Problem: Nicht alle irreführenden Etikettierungen und Werbepraktiken lassen sich über Kennzeichnungsregeln verhindern. Legale Verbrauchertäuschung wird erleichtert durch die ungenügenden Möglichkeiten, gerichtlich gegen Gesetze vorzugehen.

Die Lösung: Verbraucherverbände müssen das Recht erhalten, durch ein nationales und euro-päisches Verbandsklagerecht gegen lebensmittelrechtliche Bestimmungen zu klagen. Die Verbraucherinformationsrechte dürfen sich nicht länger auf Behörden beschränken: Auch Unternehmen müssen zur Information über Produkte verpflichtet werden.