Die Millionen-Schweine-Frage

Hallo und guten Tag,

ein gleichermaßen ätzendes und verharmlosendes Wort macht die Runde: der „Schweinestau“. Hunderttausende Tiere, so heißt es, stünden in diesem „Stau“ – oder, wie es ein Lobbyverband formulierte: Sie „warten auf ihre Schlachtung“. Bis Weihnachten sollen gar eine Million Schweine im „Schweinestau“ stecken.

Wenn ein Begriff fast alles zum Ausdruck bringt, was in der Fleischindustrie falsch läuft, dann ist es diese zynische Wortschöpfung. Zwei folgenschwere Ereignisse – die Corona-Pandemie und die Afrikanische Schweinepest – bringen gerade ein gnadenlos durchrationalisiertes System ins Wanken, das im Normalfall darauf ausgelegt ist, allein in Deutschland Jahr für Jahr mehr als 50 Millionen Schweine zu schlachten, in Schinken und Koteletts zu zerteilen und zu Bratwurst zu verarbeiten. Doch weil jetzt große Schlachthöfe nur eingeschränkt oder gar nicht arbeiten, herrscht echte Not: Mastbetriebe wissen nicht, wohin mit schlacht„reifen“ Schweinen – und Ferkelerzeuger nicht, wohin mit ihren Ferkeln. In vielen Ställen drängen sich deshalb viel zu viele, viel zu groß gewordene Tiere auf ohnehin schon viel zu engem Raum, und neue Ferkelwürfe stehen bevor. Weil Abnehmer fehlen und die Preise im Keller sind, kämpfen Bauernfamilien um ihre Existenz. Ein Drama für Mensch und Tier – dieser „Stau“ ist also wahrlich kein technisches Problem.

Aber wissen Sie, was uns dabei am meisten zu denken geben sollte? Dass uns ausgerechnet die Riesen-Schlachtfabriken von Tönnies & Co. als Lösung für dieses Problem verkauft werden. Tönnies, jener milliardenschwere Fleischkonzern, der wie kaum ein zweiter in der Kritik steht, jede Gesetzeslücke auszunutzen, um seine Massenware auf Basis von fragwürdigen Arbeitsbedingungen zu Billigst-Preisen in den Markt zu drücken. Allen Klagen über Ausbeutung von Menschen und miserable Tierhaltungsstandards zum Trotz: Als der Konzern seinen größten Schlachthof aufgrund von Corona-Fällen vorübergehend schließen musste, sah ein NRW-Staatssekretär absurderweise den Tierschutz in Gefahr, wenn Tönnies nicht bloß schnell seine Tore wieder öffnen könnte. Fehlte nur noch der Zusatz: Um die ungeduldig auf ihre Schlachtung wartenden Schweine reinzulassen…

Ich meine: Wenn der Tierschutz von den Fließbandschlachtungen des Tönnies-Konzerns abhängen soll, dann läuft etwas gewaltig schief. Das müssen und das wollen wir ändern! Bitte unterstützen Sie uns dabei, dass jetzt nicht einfach Tönnies & Co. als Lösung des ganzen Problems dargestellt werden – und dann alles weiter läuft wie bisher: Unterstützen Sie unsere Arbeit als Förder-Mitglied! 

Doch wie kam es zu dem Schlamassel? Wegen Corona dürfen viele der Riesen-Schlachthöfe unter den nötigen Hygieneauflagen nur noch eingeschränkt arbeiten, nach massenhaften positiven Testergebnissen unter Arbeitern mussten sie teilweise ganz schließen. Und wegen der Afrikanischen Schweinepest haben rund um den Globus wichtige Absatzländer wie China den Import von deutschem Schweinefleisch gestoppt. Niemand kann etwas für diese Ereignisse, doch sind sie eben auch nur der letzte Teil der Wahrheit, liebe foodwatch-Interessierte – und der andere Teil ist hausgemacht. Denn die Folgen dieser Ereignisse zeigen schonungslos, wie krank unser System ist – wie krankhaft abhängig vom Wachstumszwang großer Massenbetriebe und vom Exportgeschäft. Denn die Schweinehaltung in Deutschland orientiert sich nicht an unserem „Bedarf“ an Schweinefleisch. Sie dient vor allem den Profit- und Wachstumszielen einiger weniger Fleischbarone. Wenn Sie das genauso verwerflich finden, wie wir, dann unterstützen Sie bitte unsere Arbeit und werden Sie Förderin/Förderer von foodwatch!


Heute mästen wir Schweine mit Futter, das wir importieren müssen, um Fleisch zu produzieren, das wir gar nicht brauchen. Und ganz nebenbei ertrinken wir in Unmengen von Gülle, die unsere Grundwasserspeicher verdreckt. Doch vor gerade einmal 20 Jahren musste Deutschland noch Schweinefleisch importieren, um den Bedarf zu decken. Dieses rasante Wachstum hin zum Massenexporteur wurde politisch gefördert, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste: Ausbeuterische Leiharbeitsverhältnisse wurden erlaubt, tierquälerische Bedingungen wie die grausamen Kastenstände für Muttersauen selbst dann noch geduldet, als diese Praxis längst schon gerichtlich als rechtswidrig abgeurteilt war. Um billig und immer billiger produzieren und damit auf dem Weltmarkt „erfolgreich“ sein zu können, braucht dieses fatale System Dumping beim Tierschutz, Dumping bei den Arbeitnehmerstandards, Dumpingpreise für Bauern. Doch nur durch Exporte können die Gewinne der Schlachtindustrie weiter wachsen, denn in Deutschland aßen die Menschen zuletzt immer weniger Schweinefleisch

Wir meinen: Das kranke Billig-System der Fleischindustrie muss beendet werden! Statt Exportüberschüssen in den Taschen der Fleischbarone brauchen wir endlich Regeln, die verlässlichen Tierschutz bieten und Menschen vor der Ausbeutung bewahren. Dafür setzen wir uns bei foodwatch ein – bitte unterstützen Sie uns dabei mit Ihrem Beitrag als Fördermitglied!

Als Antwort auf den so genannten „Schweinestau“ sprechen Agrarfunktionäre technisch-distanziert davon, dass es „einfach nur“ darum gehe, „den Abfluss an Ferkeln zu organisieren“ – oder notfalls gesunde Tiere vorzeitig „zu töten und zu entsorgen“

Die makabre Wortwahl, die weder sprachlich noch inhaltlich dem Problem gerecht wird, zeigt: Es wird Zeit, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher uns in diese Debatte einmischen. Mit einer Mitgliedschaft bei foodwatch helfen Sie uns bei dem Ziel, dass endlich die gesamte Ausrichtung der Fleischwirtschaft hinterfragt wird – seien Sie jetzt dabei!

Vielen Dank und herzliche Grüße
Ihr     
Martin Rücker
Geschäftsführer foodwatch