Pressemitteilung 19.09.2022

Appell: Mehr als 300 Kinder- und Jugendärzt:innen fordern umfassende Regulierung von Junkfood-Werbung

+++ Appell der Mediziner:innen im Wortlaut: www.kinderaerzte-gegen-junkfoodwerbung.de +++

334 Kinder- und Jugendärzt:innen haben sich mit einem Appell an Bundesernährungsminister Cem Özdemir gewandt und ein Gesetz gefordert, das Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel umfassend beschränken soll. „Die Zeit drängt“, heißt es in dem Appell, den der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ) gemeinsam mit der Verbraucherorganisation foodwatch und der Deutschen Allianz für Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) am Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt hat.

Ungesunde Ernährung sei eine der Hauptursachen für die Ausbreitung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen und werde durch „aggressive Marketingpraktiken der Junkfood-Industrie“ befeuert, so die Pädiater:innen. Obwohl die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag Maßnahmen gegen Junkfood-Marketing angekündigt hatten, hat Minister Cem Özdemir knapp ein Jahr nach der Bundestagswahl noch kein Gesetz eingebracht. Deshalb ruft der Appell dazu auf, noch in diesem Jahr ein Gesetz für wirksame Werbebeschränkungen auf den Weg zu bringen.

Dr. Thomas Fischbach, Präsident des BVKJ, betonte: „Ob im TV, im Supermarkt oder über Social-Media-Influencer direkt aufs Handy: Die Lebensmittelindustrie macht auf allen Kanälen Werbung für Zuckerbomben und fettige Snacks. Mit ihrem Marketing torpedieren die Hersteller das Bemühen vieler Eltern, ihre Kinder gesund zu ernähren. Mit der Corona-Pandemie hat sich die Lage drastisch zugespitzt. Die Zahl der übergewichtigen Kinder ist noch einmal deutlich angestiegen – mit fatalen gesundheitlichen Folgen.“

Als zentrale Maßnahme fordern die Mediziner:innen eine Werbepause für ungesunde Lebensmittel im TV, Internet und Radio tagsüber zwischen 6 und 23 Uhr. Ungesunde Produkte sollten zudem grundsätzlich nicht mehr direkt an Kinder beworben werden dürfen, etwa mit Comicfiguren, verspielter Produktaufmachung oder Spielzeugbeigaben. Die Bewertung, ob ein Lebensmittel an Kinder beworben werden darf, sollte auf Basis des für diesen Zweck entwickelten Nährwertprofils der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfolgen. 

Luise Molling, Campaignerin bei der Verbraucherorganisation foodwatch, erklärte: „Mit millionenschweren Werbe-Etats vermarktet die Lebensmittelindustrie vor allem ungesunde Produkte, denn die bringen am meisten Profit. Junge Menschen essen mehr als doppelt so viel Süßigkeiten und nicht mal halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen – daran trägt die Lebensmittelindustrie mit ihrem aggressiven Junkfood-Marketing eine Mitschuld.“

Allein die Süßwarenindustrie hat 2021 eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben – so viel wie in keinem anderen Jahr zuvor. Laut einer Studie der Universität Hamburg sieht jedes Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten.

Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), einem Zusammenschluss von 21 wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften, Verbänden und Forschungseinrichtungen, forderte: „Die Bundesregierung muss endlich handeln und das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen: Ernährungsminister Cem Özdemir muss mit einem starken Gesetz Kinder umfassend vor der Werbung für ungesunde Produkte schützen.“

Aktuell sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Erste Untersuchungen belegen, dass sich die Lage in den vergangenen zwei Jahren verschärft hat. Laut einer repräsentativen Eltern-Umfrage, die die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und das Else Kröner-Fresenius-Zentrum (EKFZ) für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München durchgeführt hat, ist jedes sechste Kind in Deutschland seit Beginn der Corona-Pandemie dicker geworden, fast die Hälfte bewegt sich weniger als zuvor, etwa ein Viertel isst mehr Süßigkeiten. Den betroffenen Kindern drohen im späteren Lebensverlauf Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der OECD auf ungesunde Ernährung zurückzuführen. Fehlernährung ist damit etwa genauso tödlich wie das Rauchen.

Foto: foodwatch/Jörg Farys