Die eigenen Kinder für eine ausgewogene Ernährung begeistern – für viele Eltern eine enorme Herausforderung. Wie kann ein gesunder Start ins Leben gelingen?
Kinderarzt Dr. Nibras Naami antwortet:
Viele Eltern wünschen sich, ihre Kinder möglichst gesund zu ernähren – stoßen dabei aber im Alltag schnell an Grenzen: Gemüse wird verschmäht, Weißbrot geht immer, und der Supermarktbesuch endet im Süßigkeiten-Streit. Muss man sich Sorgen machen, wenn das Kind monatelang nur Nudeln ohne Soße isst?
„Picky eating“: bei Kindern ganz normal
Nicht sofort. Viele Kinder essen sehr selektiv und lehnen vieles ab, was sie früher mochten. Das ist in einem gewissen Alter ganz normal. Evolutionär gesehen war es sogar sinnvoll, dass Kinder erstmal misstrauisch gegenüber unbekannten Lebensmitteln sind. Die meisten wachsen da mit der Zeit raus.
Solange ein Kind insgesamt gesund, fit und gut entwickelt ist, besteht kein Grund zur Panik. Der Körper ist erstaunlich gut darin, kleinere Defizite auszugleichen. Erst wenn eine stark einseitige Ernährung über längere Zeit anhält – etwa wenn dauerhaft gar kein Obst oder Gemüse gegessen wird – sollte man das im Blick behalten.
Was gehört zu einer gesunden Kinderernährung?
Es geht nicht um das perfekte einzelne Lebensmittel, sondern um die Ernährung als Ganzes. Grundsätzlich empfehle ich:
- Sattmacher mit Qualität: Also gute Kohlenhydrate wie Vollkornprodukte, auch gern aus Hülsenfrüchten – etwa Nudeln aus Linsen oder Kichererbsen.
- Viel Obst und Gemüse: Bei vielen klappt Obst besser als Gemüse, das ist okay. Wichtig ist, dass überhaupt etwas Frisches dabei ist.
- Nicht zu viel Zucker: Besonders gesüßte Getränke sind ein echtes Problem, auch weil sie Kinder an Süßes im Alltag gewöhnen.
Und: Ernährung betrifft die ganze Familie. Wenn Eltern mit gutem Beispiel vorangehen, wirkt das oft mehr als jede Diskussion am Esstisch.
Mitmachen lassen, statt nur auftischen
Kinder essen mit, wenn sie mitmachen dürfen. Deshalb mein wichtigster Tipp: Beziehen Sie Ihre Kinder in die Ernährung mit ein – nicht nur beim Essen, sondern schon bei der Planung, beim Einkaufen und Kochen. Wer mit entscheidet, schnippelt oder umrührt, hat meist mehr Interesse daran, das Ergebnis auch zu probieren.
Außerdem hilft es, Alternativen auszuprobieren: Statt klassischer Hartweizennudeln mal Hülsenfruchtpasta. Statt rohes Gemüse zu zwingen, lieber eine pürierte Gemüsesoße machen. Und was auch immer gut klappt – der „Nudeltrick“: Man nimmt zum Beispiel Muschelnudeln und lässt „das Gute“ in die Nudel reinrutschen, so dass es von außen gar nicht zu sehen ist. Auch Tortellini und Ravioli eignen sich dazu hervorragend. Also: Es muss nicht immer das Brokkoli-Röschen sein, das auf dem Teller liegt und pur gegessen werden muss.
Geht’s auch vegan?
Eine pflanzenbasierte Ernährung kann auch bei Kindern gut funktionieren – wenn sie bewusst geplant ist. Wichtig ist zum Beispiel: Wer sich vegan ernährt, muss Vitamin B12 supplementieren, denn dieser Nährstoff steckt nicht in pflanzlichen Lebensmitteln. Vegetarisch geht auch ohne.
Was viele nicht wissen: Auch Eisen lässt sich gut pflanzlich decken, etwa über Hülsenfrüchte. Und wer regelmäßig verschiedene pflanzliche Eiweißquellen kombiniert, bekommt auch alle notwendigen Aminosäuren.
Übrigens: Der Mythos, dass Tofu ungesund sei, hält sich hartnäckig – ist aber wissenschaftlich nicht haltbar. Normale Mengen Soja sind für Kinder unbedenklich.
Welche Rolle spielt Werbung bei der Kinderernährung?
Eine sehr große. Viele Produkte, die sich gezielt an Kinder richten – etwa durch bunte Verpackungen oder Influencer – sind hochverarbeitet, zuckrig oder nährstoffarm. Und leider ist es kein fairer Wettbewerb: Eltern kämpfen im Supermarkt gegen eine milliardenschwere Marketingmaschinerie.
Ich höre oft das Argument: „Eltern müssen doch einfach Nein sagen.“ Aber das greift zu kurz. Wer Kinder gezielt beeinflusst – etwa durch YouTuber, die Zuckergetränke anpreisen – trägt Verantwortung. Deshalb braucht es aus meiner Sicht klare Regeln:
Werbung für ungesunde Lebensmittel darf sich nicht an Kinder richten. Punkt.
Weniger Druck, mehr Spaß
Eine gesunde Ernährung muss alltagstauglich sein – und darf auch Spaß machen. Kleine Veränderungen, mehr Einbindung der Kinder und weniger Druck helfen oft mehr als starre Essensregeln. Eltern brauchen dafür aber auch Unterstützung – nicht noch mehr Hürden durch irreführende Werbung und fragwürdige Produktversprechen.
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