Nachricht 13.10.2016

Thilo Bode: „Wir haben vieles erreicht, wenn auch nicht alles“

Unsere Kritik an dem demokratieschädlichen Handelsabkommen CETA hat es bis vor das Bundesverfassungsgericht geschafft. Gestern kam es zum Showdown mit Vizekanzler Sigmar Gabriel im Gerichtssaal, heute folgte ein folgenreiches Urteil. Lesen Sie den Erlebnisbericht von foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode aus Karlsruhe.

Ein Erlebnisbericht von Thilo Bode von foodwatch. 

Seit Jahrzehnten schon bin ich Aktivist – und habe sowohl Niederlagen als auch Erfolge erlebt. Doch beim Bundesverfassungsgericht war ich jetzt zum ersten Mal. Heute Morgen, kurz vor zehn Uhr, ich kann die Spannung im Plenarsaal buchstäblich mit Händen greifen. Unterstützt von mehr als 125.000 Menschen haben wir Verfassungsbeschwerde gegen das europäisch-kanadische Handelsabkommen CETA eingereicht. Ungeduldig warte ich auf das erste Urteil, das sich zunächst mit unserem Eil-Antrag befasst: Mit diesem Antrag wollen wir die „vorläufige Anwendung“ stoppen, die CETA in Kraft setzen würde, lange bevor der Bundestag über den Vertrag abgestimmt hat. 

Um Punkt zehn Uhr öffnet sich die Tür in der holzverkleideten Wand hinter der Richterbank. Ein uniformierter Beamter tritt heraus und ruft laut: „Das Bundesverfassungsgericht!“ Schlagartig verstummen alle Gespräche, wie alle im Saal stehe ich auf. Während die acht Richter in ihren scharlachroten Satin-Roben und dem weißem Jabot-Kragen zu ihren Plätzen gehen, lasse ich in der Stille noch einmal den gestrigen Tag Revue passieren...

...Mittwoch, 10 Uhr, derselbe Ort. Ich sitze vorne in der zweiten Reihe, neben meinen Kollegen von Campact und Mehr Demokratie, mit denen wir gemeinsam die Klage gegen CETA eingereicht haben, und unseren Prozessvertretern. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals: Vizekanzler Sigmar Gabriel.

Erfolg: Es wird ein Hauptsacheverfahren geben

Dann, nach wenigen Minuten, die erste positive Überraschung: Bereits in seinen Eingangsworten sagt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle: „Es steht bereits jetzt fest, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen in einem späteren Hauptverfahren geprüft werden müssen.“ Klasse! Sigmar Gabriel, die gesamte Bundesregierung, die Europäische Kommission – sie alle hatten versucht, unsere Kritik einfach vom Tisch zu wischen, sie als "Hirngespinste" und "Verschwörungstheorien" ab zu tun. Und jetzt das: Das Höchste Gericht der Republik hält unsere Bedenken gegen CETA offenbar für schwerwiegend. Unsere Verfassungsbeschwerde soll also angenommen werden! Die Bundesregierung hatte noch beantragt, dies als „offensichtlich unbegründet“ und „unzulässig“ abzuweisen…  Damit steht fest: Wir haben einen ersten Erfolg erzielt! Aber auch: Wir werden einen langen Atem brauchen, denn es wird noch ein Hauptsacheverfahren geben. Ob politisch oder vor Gericht: Der Widerstand gegen das Abkommen wird in den nächsten Monaten weitergehen und alle unsere Kraft erfordern. Bitte helfen Sie uns bei unserem Kampf gegen demokratieschädliche Handelsabkommen und werden Sie jetzt Förderer/Förderin von foodwatch! 

Gabriel: Schaden für das Ansehen der Bundesregierung droht

Dann die Ausführungen Gabriels: Was er sagt, macht mich fassungslos. Er malt ein Schreckensbild an die Wand, was alles passieren würde, wenn CETA scheitert: „Der Schaden für das Ansehen der Bundesregierung und der EU wäre gigantisch“. Ich denke: Was ist das nur für eine ignorante Argumentation? Gabriel ist mitverantwortlich dafür, dass jetzt ein schlechtes Abkommen auf dem Tisch liegt. Ein Abkommen, dass die Interessen von Verbrauchern und Arbeitnehmern den Interessen mächtiger Großkonzerne unterordnet. Und jetzt droht er mit einem Schaden für das Ansehen der Bundesregierung, um ein demokratieschädliches, vielleicht sogar verfassungswidriges Abkommen durchzuwinken? Und was ist mit dem Schaden für unsere Demokratie? Schließlich werden bei CETA die Handlungsspielräume unserer Parlamente beschnitten und gleichzeitig der Einfluss der  Konzerne verstärkt! 

Anhörung zeigt, dass bei CETA nichts klar ist

Beeindruckt bin ich von den Richterinnen und Richtern. Sieben von ihnen mischen sich mit Fragen ein, sie wirken extrem gut vorbereitet und aufrichtig an dem Fall interessiert. Der Verlauf der Anhörung zeigt vor allem, dass bei CETA nichts klar ist. Noch nicht einmal, wer bei einzelnen CETA-Artikeln betroffen ist: Deutschland? Die EU? Beide? Keiner weiß es sicher! Kann Deutschland die vorläufige Anwendung beenden, wenn es das will? Oder nur die EU? Keiner weiß es sicher! Das finde ich unglaublich, und es macht mich richtig wütend: Zwei Jahre lang wurde CETA vorbereitet, fünf Jahre lang verhandelt, weitere zwei Jahre lang wird nun der Vertragstext ausgelegt – und noch immer gibt es keine Antworten auf so zentrale Fragen! „Ich verstehe das so“, „Wir interpretieren das so“, „Ich glaube, dass…“, heißt es immer wieder von der Bundesregierung. Glauben? Interpretieren? Das kann nicht sein. Wir wollen Klarheit, wenn es um unsere Demokratie geht!

Eilantrag abgewiesen – aber strenge Auflagen

Heute Morgen dann das Urteil. Die Richter kommen in den Saal, legen ihre roten Barrett-Hüte ab und setzen sich. Das Zeichen auch für mich und alle anderen im Saal, Platz zu nehmen. Es folgt ein kurzer Schock. „Im Namen des Volkes“ verkündet Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle: Unser Antrag wird abgewiesen. Doch in den weiteren Ausführungen des Gerichts wird klar, dass wir doch mehr erreicht haben als im ersten Moment vermutet: Nur unter strengen Auflagen darf die Bundesregierung einer vorläufigen Anwendung von CETA zustimmen. Immerhin! Viele unserer Kritikpunkte wurden aufgenommen: Schiedsgerichte – einer unser Hauptkritikpunkte – und viele andere Teile von CETA werden NICHT vorläufig angewandt!  Bei Entscheidungen der Geheim-Ausschüsse von CETA muss Deutschland mitreden dürfen! Und vor allem muss Deutschland die vorläufige Anwendung einseitig beenden dürfen. All das war vor unserer Klage anders oder noch völlig ungeklärt! Wir haben also etwas bewirkt. Und ich will ehrlich sein: Nach diesen vielen Monaten der manchmal mehr als kräftezehrenden Anstrengungen, wäre eine komplette Niederlage – nicht nur für mich, sondern auch für mein Team – schwer zu verkraften gewesen.

Wir kämpfen weiter!

Aber es ist erfreulicherweise anders gekommen. Ich bin mir sicher: Wir haben vieles erreicht – wenn auch nicht alles. CETA wird nun erst einmal vorläufig in Kraft gesetzt werden. Aber wir haben weiter die große Chance, dieses Abkommen zu kippen: Das Bundesverfassungsgericht wird alle unsere Bedenken prüfen – und nach der Verhandlung gestern scheint es wahrscheinlicher denn je, dass CETA gegen unser Grundgesetz verstößt. So war er doch ein Erfolg, mein erster „Besuch“ beim Bundesverfassungsgericht: Es ist noch nicht vorbei, wir kämpfen weiter – und wir brauchen noch einen langen Atem, denn die Hauptverhandlung kommt erst noch. Neben diesen juristischen Schritten werden wir uns auch weiterhin dafür einsetzen, CETA und TTIP politisch zu verhindern. Bitte helfen Sie uns dabei und werden Sie jetzt Förderer/Förderin von foodwatch!

Thilo Bode ist Geschäftsführer von foodwatch. Nach langen Jahren an der Spitze von Greenpeace Deutschland und Greenpeace international gründete er im Jahr 2002 foodwatch. Auslöser war der Schock der BSE-Krise.