Nachricht 19.04.2012

Nestlé sieht Verantwortung bei den Eltern

Nestlé sieht bislang offenbar keine Veranlassung, seine an Kinder gerichteten Marketingaktivitäten zu überdenken. In seiner Antwort auf den Offenen Brief von foodwatch schreibt Nestlé-Deutschland-Chef Gerhard Berssenbrügge: „Die Entscheidung, wie häufig Süßigkeiten von Kindern verzehrt werden, liegt bei den Erziehungsberechtigten.“ foodwatch hatte kritisiert, dass das Unternehmen entgegen seines eigenen Kodex überzuckerte Snacks an Kinder vermarktet und mit Grundschulprogrammen für sich wirbt.

Zucker als Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung

Zucker habe „seine Bedeutung innerhalb einer ausgewogenen Ernährung“, schreibt Nestlé in seiner Antwort an foodwatch. „So schmeckt das Frühstück erst oft gut, wenn Zucker enthalten ist (...)“. Nestlé versuche aber, den Zuckergehalt seiner Produkte zu reduzieren.

Offensichtlich ohne großen Erfolg, denn alle Nestlé-Frühstücksflocken für Kinder enthalten mehr als 30 Prozent Zucker. Damit sind sie süße, unausgewogene Snacks, die von Kindern nach Empfehlung des vom Bundesministerium für Ernährung geförderten aid -Infodienstes nur selten und in kleinen Mengen gegessen werden sollten. Daran ändert der Vollkorngehalt nichts, auf den Nestlé in seinem Brief hinweist und der auf den Verpackungen herausgestellt wird, um diese Produkte als gesunden Start in den Tag zu vermarkten.

Werbung an Kinder

„Für die Altersgruppe von sechs bis zwölf Jahren werden nur Produkte beworben, die ein Nährwertprofil aufweist (sic!), das den Bedürfnissen dieser Altersgruppe entspricht. Die Selbstverpflichtung umfasst Werbung in TV- und Printmedien ebenso wie Online-Spiele“, so Nestlé-Deutschland-Chef Berssenbrügge in seiner Antwort an foodwatch.

Tatsächlich bewirbt Nestlé seine Frühstücksflocken für Kinder, die mit durchweg um die 30 Prozent Zuckergehalt schlicht Süßigkeiten sind, sowohl mit TV-Spots, die eindeutig Kinder unter 12 Jahren ansprechen, als auch im Netz, zum Beispiel auf der Internetseite der Kindersendung Toggo (Super RTL, Zielgruppe 7- bis 13-Jährige). Mit Spielzeugbeigaben wie „Hot Wheels“-Spielzeugautos und Prämien für Sammelpunkte schafft Nestlé zudem zusätzliche Anreize zum Kauf überzuckerter Frühstücksflocken, die auch kleinere Kinder ansprechen. Als Werbefiguren für Schöller-Eis beispielsweise locken zudem bei Kindern beliebte Comicfiguren (Donald Duck, Hello Kitty).

Man habe inhaltlich den Anspruch, Kinder nicht „zu übermäßigem Konsum zu animieren“, so Nestlé in seiner Antwort an foodwatch. Wie die Abgrenzung zwischen der grundsätzlichen Zielsetzung von Werbung, die selbstverständlich 'zum Konsum animieren' soll, und einem Animieren zu 'übermäßigem Konsum' aussieht, bleibt dabei allerdings offen.

Grundschulprogramme

Nestlé erklärt, die Bildungsinitiative „Frühstückszeit – Lesezeit“ oder der Wettbewerb „Unsere Klasse is(s)t Klasse“ seien frei von jeglicher Produkt- oder Markenwerbung. Dass hier kein gezieltes Produktmarketing betrieben wird, hatte foodwatch in der Kommunikation auch herausgestellt. Durch solche Aktionen wird jedoch Werbung für den Hersteller Nestlé gemacht und indirekt auch für das im Segment der Kinderlebensmittel wenig ausgewogene Portfolio. foodwatch fordert deshalb, dass Schulen PR- und werbungsfreie Räume sein müssen. Für die Bildung von Kindern sind der Staat und die Eltern zuständig, nicht Lebensmittel-Multis.

Offener Brief von foodwatch an Nestlé

foodwatch hatte sich in einem Offenen Brief an Gerhard Berssenbrügge, Vorstandsvorsitzender von Nestlé Deutschland, gewandt und das Unternehmen aufgefordert, endlich seine eigenen Versprechungen umzusetzen. So verspricht Nestlé in seinen Unternehmensgrundsätzen etwa: „Gegenüber Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren dürfen nur solche Produkte beworben werden, die für die Ernährung dieser Altersgruppe geeignet sind und eine positive Rolle in einer ausgewogenen Ernährung dieser Altersgruppe spielen können.“ Der Konzern verstößt jedoch teilweise ganz offen gegen seine selbst postulierten Grundsätze.

Welche Verantwortung hat die Industrie?

Natürlich ernähren sich Kinder nicht nur von Kinderprodukten, und natürlich haben auch die Eltern eine Verantwortung für die Ernährung ihrer Kinder. Doch gegenüber der geballten Marketing-Macht der Industrie haben es Eltern oft schwer. Die Unternehmen vermarkten vor allem Junkfood gezielt an Kinder, wie der Marktcheck Kinderlebensmittel von foodwatch gezeigt hat. Das trifft auch auf Nestlé zu, dessen Angebot für Kinder zur Hälfte aus süßen, unausgewogenen Snacks besteht.

Durch ihr Angebot und ihre Marketing-Aktivitäten haben die Unternehmen einen großen Einfluss auf das Ernährungsverhalten der Kinder – und sind damit mitverantwortlich für das grassierende Problem mit Übergewicht bei Kindern. Die Zusammenhänge hat foodwatch in einem kürzlich veröffentlichten Report ausführlich dargestellt: „Kinder kaufen – Wie die Lebensmittelindustrie Kinder zur falschen Ernährung verführt, Eltern täuscht und die Verantwortung abschiebt“.