Nachricht 14.03.2011

Zahnarzt: „Karies entsteht in Zwischenmahlzeiten“

Der Berliner Zahnarzt Klaus-Peter Jurkat engagiert sich seit vielen Jahren im Kampf gegen Karies und zu zuckerhaltige Lebensmittel. Im foodwatch-Interview spricht er über Werbung für Kinder, den zuckerfreien Vormittag an Schulen und die Frage, warum Chinesen bessere Zähne haben.

foodwatch: Herr Jurkat, wie steht es um die Zahngesundheit in Deutschland?

Klaus-Peter Jurkat: Bei Jugendlichen und Erwachsenen ist Karies in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Allerdings hat nach wie vor jedes zweite Grundschulkind Karies. Und: Diese Zahl ist relativ stabil geblieben.

Woran liegt das?

Es heißt immer: Zähneputzen, Zähneputzen. Sicherlich ist es richtig und wichtig, dass auch kleinere Kinder sich zweimal am Tag – am besten unter Aufsicht – die Zähne putzen. Aber entscheidender ist die Ernährungsweise – und diese Seite wird kaum berücksichtigt.

Können Sie das genauer erklären?

Kinder unter zehn Jahren kriegen das richtige Zähneputzen oft noch nicht so gut hin. Ich bin auch nach 20 Jahren Praxistätigkeit noch auf der Suche nach dem sauberen Zahn…Ein zusätzliches Problem: Kinder können noch keine Zahnseide benutzen. Aber genau in den Zahnzwischenräumen entsteht ja die massive Karies. Der Erfolg vom Zähneputzen ist daher bei kleineren Kindern  nicht immer sonderlich hoch. Wie gesagt: Wichtiger ist demnach die Ernährungsweise.

Was läuft hier falsch?

Historisch gesehen spielte Karies bis vor ein paar hundert Jahren kaum eine Rolle. Erst mit dem stark gestiegenen Zuckerkonsum entstand das Problem. Studien zeigen: In Regionen, in denen die Ernährung weniger zuckerhaltig ist, zum Beispiel im ländlichen China, ist Karies deutlich seltener - und die Menschen dort putzen sich auch nicht den ganzen Tag die Zähne! Aber sie essen in der Pause keinen Schokoriegel oder trinken den ganzen Tag Cola.

Dass Zucker schlecht für die Zähne ist, weiß doch aber sprichwörtlich jedes Kind.

Naja, aber Zucker ist heute billig – und überall verfügbar. Viele Kinder bekommen schon zum Frühstück oder als Pausenbrot Süßigkeiten. Die Werbung der Süßwarenhersteller ist recht massiv: Milchschnitte wirbt mit den Klitschko-Brüdern, Nutella mit den Fußballern der Nationalmannschaft, Gummibärchen mit Thomas Gottschalk… Auf der Homepage von Haribo heißt es sinngemäß: Zucker ist unbedenklich, und man geht kein Risiko ein. Das ist kriminell und eine nicht haltbare Lüge; ein Verkaufstrick, von dem die ganze Zuckerindustrie lebt. Oder nehmen Sie das Beispiel Nimm 2: In Deutschland herrscht kein Vitamin-C-Mangel. Man muss daher aus Süßigkeiten keine Nahrungsergänzungsmittel machen.

Sollten Kinder ganz auf Zucker verzichten?

Nein. Aus zahnärztlicher Sicht ist nicht die Menge an Zucker entscheidend, sondern die Frequenz des Zuckerkonsums. Zu den Hauptmahlzeiten oder zum Nachtisch etwas Süßes: Das ist unproblematisch. Wer aber über den ganzen Tag verteilt immer wieder Süßigkeiten nascht oder süße Getränke trinkt, hat ein Problem – auch wenn die Gesamtmenge nicht so hoch ist. Denn schon bei kleinen Mengen Zucker bilden Bakterien auf den Zähnen zahnschädigende Säuren. Die „Reparatur“ dieser Verätzungen durch den Speichel dauert bis zu drei Stunden. Karies entsteht in den Zwischenmahlzeiten und durch süße Getränke.

Sie engagieren sich für den „zuckerfreien Vormittag in der Schule“. Was steckt hinter dieser Initiative?

Die Idee ist: Kinder verzichten ab dem morgendlichen Zähneputzen bis zum Mittagessen bewusst auf zuckerhaltige Snacks und Softdrinks. Es ist allerdings schwierig, Eltern und Lehrer von dem Projekt zu überzeugen. Karies ist eine chronische Erkrankung, aber es fehlt noch das gesellschaftliche Bewusstsein für die Gefahren – ähnlich wie früher beim Tabakkonsum.

Woran liegt das?

Die Zuckerfrequenz ist verantwortlich für Karies. Das ist vielen Eltern und Lehrern jedoch nicht klar. Viele denken: Ein paar Gummibärchen, das macht doch nichts aus. Aber wenn Kinder den Tag über immer wieder Süßigkeiten naschen, ist das fatal. Wichtig ist nicht die Frage: Wie oft putze ich mir die Zähne? Sondern: Wie oft am Tag sind die Zähne sauber? Auch die Schulmilchprogramme, die von der EU gefördert werden, sind in diesem Zusammenhang ein Problem.

Wieso? Milch ist doch gesund?

Über das EU-Schulmilchprogramm können Schulen Förderungen für die Abgabe von Milch in den Pausen beantragen. Im Prinzip eine gute Sache, aber de facto wird überwiegend Kakao oder Vanillemilch verkauft – mit zehn Prozent Zucker. Dann nuckeln die Kinder den ganzen Tag an diesen zuckrigen Getränken herum.

Warum sind Kinder, was den Zuckerkonsum betrifft, besonders gefährdet?

Kinder gewöhnen sich sehr schnell an den häufigen Zuckerkonsum. Wenn der Körper aber erst einmal daran gewöhnt ist, ist es sehr schwierig, sich das wieder abzugewöhnen. Ich finde, Schulen haben hier auch einen Bildungsauftrag und eine Aufsichtspflicht. Ich höre von Lehrern und Eltern oft: „Mit Verboten kommt man doch nicht weiter.“ Aber bei dem „zuckerfreien Vormittag“ geht es ja nicht darum, die Taschen der Kinder auf Süßigkeiten zu kontrollieren - es soll mehr Bewusstsein geschaffen werden für den Umgang mit Zucker und Süßigkeiten.