Freihandelsabkommen TTIP und CETA: Wie die Bundesregierung täuscht

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Angesichts der wachsenden Kritik an dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und Europa versucht die Bundesregierung die Öffentlichkeit zu beruhigen. Doch die Argumente der Regierung entpuppen sich als Täuschungsmanöver.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wollen die TTIP-Kritiker beschwichtigen – doch sie zerstreuen nicht die Bedenken, sondern streuen den Bürgern Sand in die Augen. Im Folgenden werden die wichtigsten Täuschungsmanöver im Hinblick auf TTIP analysiert.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel versichert, dass es nur ein Abkommen geben kann, dessen Ergebnis „tatsächlich im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Europas“ sei. „Sollten die Verhandlungsergebnisse diesem Anspruch nicht gerecht werden, ist ein gemeinsames Abkommen aus unserer Sicht nicht möglich, denn am Ende entscheiden Europäisches Parlament, Europäischer Rat und die nationalen Parlamente über die Annahme eines sogenannten gemischten Abkommens.“

Ob die nationalen Parlamente das Abkommen tatsächlich ratifizieren müssen, ist gegenwärtig aber noch gar nicht entschieden. Die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente ist dann erforderlich, wenn es sich tatsächlich um ein „gemischtes“ – und damit um ein durch die EU-Mitgliedsstaaten zu ratifizierendes – Abkommen handelt. Dies kann jedoch erst festgestellt werden, wenn der fertige Vertragstext vorliegt. Im Streitfall obliegt die Feststellung, ob es sich um ein „gemischtes Abkommen“ handelt, allein dem Europäischen Gerichtshof, nicht der Bundesregierung oder einer anderen nationalen Regierung. Zudem kann das Abkommen auch dann vorläufig in Kraft treten, wenn der Europäische Rat einen entsprechenden Beschluss fasst. Das Abkommen kann dann seine Wirkung entfalten, auch wenn der Ratifizierungsprozess durch die nationalen Parlamente noch nicht abgeschlossen ist.

Darüber hinaus suggeriert die Aussage der deutschen Bundesregierung, man würde ein Abkommen, das man ablehne, „nicht unterzeichnen“, dass also allein die deutsche Regierung durch ein „NEIN“ dieses Abkommen verhindern könnte. Auch dies ist falsch. Die Regierungen stimmen im Europäischen Rat über das Abkommen ab. Dazu ist meistens eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Das Abkommen könnte also gegen die Stimme Deutschlands angenommen werden. Zwar ist in bestimmten Fällen Einstimmigkeit für Entscheidungen im Europäischen Rat erforderlich. Doch ob Einstimmigkeit auch in dieser Frage verlangt wird, kann ebenfalls erst nach Vorliegen des Vertragstextes entschieden werden.

Fazit: Die Bundesregierung täuscht die Bürger, wenn sie behauptet, die deutsche Regierung könnte das Abkommen verhindern, wenn der Inhalt des Abkommens nicht den Interessen der Bürger bzw. den Erwartungen der Regierung entspräche.

Die Bundesregierung schildert die positiven wirtschaftlichen Folgen des Abkommens in rosigen Farben. Der Wirtschaftsminister hebt hervor, dass das „TTIP zur Stärkung unserer Exportfähigkeit, zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie zur Erreichung niedriger Verbraucherpreise beitragen kann“. Bundeskanzlerin Angela Merkel versichert, „ein freier Handel mit einem so großen Markt wie den USA werde positive Auswirkungen auf deutsche Exporte haben und Arbeitsplätze schaffen.“

Fakt ist: Die in den vorliegenden Studien ermittelten Wachstumseffekte sind extrem begrenzt. Die von der EU-Kommission beim Wirtschaftswissenschaftlichen Institut „Center for Economic Policy Research (CERP)“  in Auftrag gegebene Studie errechnet errechnet eine Niveauanhebung des pro Kopf Einkommens in Europa von 125 Euro – und das erst im Jahr 2027. Die im Auftrag von Bertelsmann erstellte Arbeit des Ifo-Instituts kommt zwar auf eine Niveauanhebung von 4,5 Prozent, doch auch diese soll sich erst im Jahr 2027 materialisieren und ist, auf einen Zeitraum von über 10 Jahren gerechnet, ebenfalls bescheiden.

Im Übrigen ist folgendes zu berücksichtigen: diese Prognosen sagen nichts darüber aus, wer denn von diesen Wachstumseffekten profitiert. Wenn tatsächlich Wachstumsgewinne anfallen, dann vornehmlich bei den großen internationalen Konzernen, die ihre Kosten durch Rationalisierungsmaßnahmen senken können. Weil damit aber Arbeitsplatzverluste verbunden sein können, kommt auch die Ifo- Studie zu dem Ergebnis, dass wesentliche Beschäftigungseffekte nicht zu erwarten sind.

Noch nicht berücksichtigt ist bei diesen Prognosen zudem, dass die Studien zum Teil auf kritikwürdigen theoretischen Modellen und Annahmen beruhen. Zum Beispiel geht die Arbeit des Ifo-Institutes davon aus, dass sämtliche sogenannten „nicht-tarifären Handelshemmnisse“ durch TTIP beseitigt werden. Also damit auch solche, die wichtig für Umwelt- und Verbraucherschutz sind. Man würde sich also einerseits höchst magere Wirtschaftsgewinne erkaufen, aber niedrigere Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz einhandeln.

Fazit: Die Bundesregierung täuscht die Bürger, wenn sie ihnen wirtschaftliche Vorteile verspricht. Gewinner sind, wenn überhaupt, die internationalen Konzerne.

Die Mitglieder der Bundesregierung überbieten sich bei der Zusicherung, dass es zu keiner Erosion von Umwelt- und Verbraucherschutzstandards kommen darf. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel versichert: „Das bestehende Schutzniveau im Gesundheits-, Lebensmittel- oder Verbraucherbereich steht […] nicht zur Disposition“. Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Ich kann den Deutschen versichern, dass es weder Genmais noch Chlorhühnchen bei uns geben wird.“

Diese Zusicherungen stehen im Widerspruch zum Verhandlungsmandat, das der Europäische Rat der Europäischen Kommission gegeben hat.  Beispielhaft lässt sich am Chemikaliensektor die große Gefahr belegen, dass Standards im Laufe der Zeit sinken. Es ist erklärtes Ziel des TTIP, durch sogenannte „gegenseitige Anerkennung“ von US- und EU-Standards nicht-tarifäre Handelshemmnisse zu überwinden. Was im Automobilbau bei unterschiedlichen technischen Sicherheitsmaßnahmen, die aber den gleichen Zweck erfüllen, eine sinnvolle Kosteneinsparung darstellt, kann beispielsweise im Chemikalienbereich zu einem Abbau des Schutzniveaus für Verbraucher führen. Die Standards in der Risikobewertung und Zulassung von chemischen Stoffen könnten auf US- und EU-Seite unterschiedlicher nicht sein. Europa schreibt im Rahmen der Chemikalien-Verordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals) vor, dass bei der Zulassung von Stoffen das sogenannte „Vorsorgeprinzip“ anzuwenden sei. Das Vorsorgeprinzip hat in der EU Verfassungsrang (Art. 191 Abs. 2 AEUV), es ist nicht nur für die Umwelt- sondern auch für die Agrar- und Lebensmittelpolitik bestimmend. Kern des Vorsorgeprinzips ist, dass der begründete wissenschaftliche Verdacht ausreicht, einen riskanten Stoff zu verbieten. Zudem gilt die Umkehr der Beweislast: Den Herstellern von Chemikalien obliegt die Beweislast dafür, dass eine Chemikalie unschädlich ist. In den USA unterliegen die Hersteller dagegen keiner Verpflichtung, die Unschädlichkeit einer Chemikalie zu belegen. Vielmehr darf diese solange im Verkehr bleiben, bis die die Kritiker deren Schädlichkeit wissenschaftlich nachgewiesen haben.

Bei diesen völlig unterschiedlichen Systemen wird das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der Zulassungsverfahren von chemischen Stoffen zwangsläufig dazu führen, dass sich im Laufe der Zeit aus Wettbewerbsgründen die für Unternehmen zweifellos günstigeren US-Zulassungsverfahren durchsetzen bzw. die EU-Verfahren entsprechend geschwächt würden.

Die Gefahr einer gegenseitigen Anerkennung von Standardverfahren kann auf andere Sektoren übertragen werden, z.B. auf den Lebensmittelbereich bei der Zulassung von Zusatzstoffen. Schon heute entspricht das angewendete Zulassungsverfahren seitens der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nicht den Grundsätzen des Vorsorgeprinzips. Eine Anwendung der US-Verfahren würde hier, wie bei den Chemikalien, eine tendenzielle Schwächung der Zulassungsverfahren von Zusatzstoffen auslösen. (Die Bundesregierung behauptet, das Vorsorgeprinzip stehe „nicht zur Disposition“. Allerdings mit der dürftigen Begründung, die EU-Kommission habe dies mehrfach bestätigt.)

Da es aber einerseits ausdrückliches Ziel des TTIP ist, eine Angleichung der Gesetzgebung und eine regulatorische Kohärenz zu erreichen und andererseits sich zwei konträre Ansätze (Vorsorge/Nachsorge) gegenüberstehen, so bedeutet das zwangsläufig, dass das Vorsorgeprinzip als Handlungsmaxime der Europäischen Union geschwächt werden müsste, um das Ziel des TTIP zu erreichen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die USA ihrerseits das Vorsorgeprinzip in dem oben dargestellten Sinne in ihrem Rechtssystem verbindlich verankerten. Dafür indes gibt es keine Anzeichen.

Fazit: Die Bundesregierung täuscht die Bürger, wenn sie zusichert, dass bestehende Verbraucher- und Umweltschutzstandards durch das TTIP nicht gesenkt werden.

Schon die Zusicherung der Regierung, bestehende Standards würden nicht abgeschwächt werden, stellt sich als Täuschung der Bürger heraus (siehe „Täuschungsmanöver Nr. 3“). Noch gravierender ist jedoch, dass diese (nicht zutreffende) Behauptung suggeriert, bestehende Standards wären positiv zu beurteilen, bedürften also keiner weiteren Stärkung bzw. Verbesserung. foodwatch hat in einem kürzlich veröffentlichten Report dokumentiert, dass beispielsweise die Verbraucherschutzstandards im Ernährungsbereich mangelhaft sind. Die grundlegenden Prinzipien des Europäischen Lebensmittelrechts, nämlich der Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefahren und vor Täuschungen, sind in der Praxis nur unzureichend umgesetzt. Gesundheitliche Risiken von Lebensmitteln in weiten Bereichen des Lebensmittelmarkts, Täuschung und Irreführung sowie „legaler Etikettenschwindel“ sind ein alltägliches Phänomen. Der im Lebensmittelrecht verankerte präventive Schutz der Verbraucher wird in der gesetzlichen Praxis durch den Einfluss der Lobbyorganisationen der Lebensmittel- und Agrarindustrie auf ein nur nachsorgendes Rechtssystem reduziert.

Der beste Beleg dafür: Wann immer Lebensmittelskandale, wie z. B. der Betrug mit Pferdefleisch in der Lasagne oder Gesundheitsgefahren durch Dioxinkontaminationen von Eiern und Fleisch öffentlich werden, ist das jeweilige Lebensmittel in den meisten Fällen schon verzehrt. Es ist nachweisbar, dass die Lobby der Agrar- und Lebensmittelindustrie maßgeblich die gesetzgebenden Institutionen sowie die Regulierungsbehörden beeinflusst und erfolgreich für die Unternehmen nachhaltige, weil präventiv wirkende, Regulierungen abwehrt bzw. zu vermeiden hilft.

Fazit: Mit der Versicherung, bestehende Standards würden nicht angetastet, täuscht die Regierung die Bürger. Denn ein Einfrieren der Standards ist kein Erfolg, sondern eine Bankrotterklärung.

Die Bundesregierung verkauft das TTIP als einen Weg, weltweit Akzente für eine nachhaltige Entwicklung, eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte sowie für eine Stärkung des Verbraucher- und Umweltschutzes zu setzen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel: „[...] die normsetzende Kraft des Abkommens kann und soll zum Hebel einer politischen Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung werden […]. Die Bundesregierung will im Einklang mit dem Mandat (Verhandlungsmandat; Anmerkung d. Verfassers) u.a. die nachhaltige Entwicklung als umfängliches Verhandlungsziel durchsetzen.“

Dieses Ansinnen der Regierung ist durch das Verhandlungsmandat nicht gedeckt. Im Gegenteil: Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung im Verhandlungsmandat ist reine Kosmetik. Es ist lediglich vorgesehen, zu dokumentieren, inwieweit das Abkommen die „Nachhaltigkeit“ beeinflusst – allerdings ohne den Begriff der Nachhaltigkeit überhaupt zu definieren. In Anbetracht der Tatsache, dass mittlerweile der Begriff der Nachhaltigkeit in vielfältigster Weise von Industrieinteressen verwässert und pervertiert worden ist, ist dieses vermeintliche Verhandlungsziel völlig wertlos.

Die Logik des TTIP-Abkommens entwertet das Versprechen, es könne der Nachhaltigkeit und der gemeinwohlorientierten Gestaltung der Globalisierung dienen. Die multinationalen Konzerne betreiben das Abkommen und ihre ökonomischen Interessen liegen auf der Hand: die EU-Konzerne haben kein Interesse daran, neue nicht-tarifäre Handelshemmnisse, wozu eine Verschärfung von Umwelt- und Verbraucherschutzregulierungen gehört, einzuführen, denn die Existenz dieser Hemmnisse ist ja gerade das Motiv für das Abkommen. Vielmehr liegt ihr Interesse darin, Regulierungen abzubauen. Den in den USA ansässigen Konzernen kommt es anderseits entgegen, wenn strikte EU-Standards teilweise abgeschwächt oder zumindest nicht verschärft werden. Auch wenn EU-Konzerne wegen bereits getätigter Investitionen an bestehenden Standards, z.B. Zulassungsverfahren, festhalten wollen: Eine weitere Verschärfung von Regulierungen wollen sie mit Sicherheit im Einklang mit den US-Konzernen verhindern.

Dieser betriebswirtschaftlichen Interessenkongruenz dienen zwei zentrale Elemente des TTIP. Das vorgesehene private Schiedsgerichtsverfahren ISDS (Investor-State Dispute Settlement) sowie die sogenannte „regulatorische Kooperation“. Mit der Einführung des ISDS-Schiedsgerichtsverfahrens und der „regulatorischen Kooperation“ werden zusätzliche Ebenen in die Regulierungsprozesse eingewoben, die eine gemeinwohlorientierte Regulierung durch den Staat noch mehr als bisher erschweren oder verhindern und den Einfluss der organisierten wirtschaftlichen Interessen stärken. Die im fertiggestellten CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada enthaltenen Vorschriften über das ISDS-Verfahren – das als Blaupause für das TTIP-Abkommen gilt, denn das dort geregelte Schiedsverfahren würde für das TTIP-Abkommen Vorbildcharakter haben – entkräften nicht die Befürchtung, dass Unternehmen gegen den Staat klagen können, wenn sie ihre Gewinne durch allgemeinwohlorientierte Regulierungen bedroht sehen. (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 20.8.14)

Die „regulatorische Kooperation“ zwischen den Regulierungsbehörden der USA und der EU sieht eine Vor-Verabredung und ein Vor-Einvernehmen der beiden Wirtschaftsblöcke bei neuen Regulierungen vor. Dadurch wird der Regulierungsprozess erschwert und es besteht die reale Gefahr, dass durch den Einfluss der Industrielobby die Regulierungsintentionen des Staates von vornherein geschwächt oder sogar verhindert werden. Der ohnehin viel zu große Einfluss von Lobbyverbänden auf die Regulierungsbürokratie und auf gesetzgebende Institutionen droht damit die demokratischen Prozesse der Normierung und der Gesetzgebung weiter zu paralysieren. Die Bundesregierung hat sich zwar aufgrund des öffentlichen Protests gegen ein privates Schiedsgerichtsverfahren ausgesprochen („Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass wir zwischen zwei entwickelten Demokratien und Rechtsstaaten, Europa und den USA, keine besonderen Investitionsschutzabkommen brauchen […]“ ). Doch zeichnet sich ab, dass auch dieses Versprechen eine Täuschung der Bürger ist. Mit der grundsätzlichen Zustimmung zum CETA-Abkommen hat die Regierung ein Präjudiz geschaffen, hinter das sie kaum mehr zurückfallen kann.

Fazit: Die Regierung verkauft die Bürger für dumm, wenn sie ihnen verspricht, das Abkommen würde die nachhaltige Entwicklung fördern und zu einer Stärkung von Verbraucherrechten führen Das Gegenteil ist der Fall: Private Schiedsgerichte und die sogenannte „regulatorische Kooperation“ werden die notwendige, demokratisch legitimierte Weiterentwicklung und Stärkung von Verbraucher- und Umweltschutzregulierungen sowie Arbeitnehmerrechten verzögern, schwächen oder verhindern.

Der Justiz- und Verbraucherminister Heiko Maas versichert uns: „Die Bundesregierung wird sich für ein (…) Abkommen einsetzen, das die hohen in der EU und in Deutschland geltenden Schutzstandards unter anderem in den Bereichen des Umwelt-, Verbraucher- und Sozialschutzes nicht nur sichert, sondern auch den politischen Gestaltungsspielraum in diesen Bereichen wahrt.“

Abgesehen von der Tatsache, dass private Schiedsgerichtsverfahren und die vorgesehene „regulatorische Kooperation“ zukünftige Regulierungen zur Stärkung des Gemeinwohls verwässern oder verhindern können (siehe Täuschungsmanöver Nr. 5), wird auch das Recht der EU, derartige gesetzliche Maßnahmen zu beschließen, also ihr Gestaltungsspielraum, entscheidend geschwächt.

TTIP ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der zwischen der Europäischen Union und den USA geschlossen wird. Von der Europäischen Union geschlossene völkerrechtliche Verträge binden gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV die Organe der Union und die Mitgliedstaaten. Daraus leitet sich ein Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor dem Sekundärrecht der Europäischen Union ab. Daraus wiederum folgt: Nach dem Abschluss und dem völkerrechtlichen Inkrafttreten des geplanten TTIP gingen dessen Regelungen entgegenstehendem europäischen Sekundärrecht vor. Vorgaben etwa der REACH-Verordnung würden durch mit der REACH-Verordnung nicht in Einklang stehende im Rahmen des TTIP festgelegte Vorgaben verdrängt werden. Verbleibende, nicht von vornherein verdrängte sowie neue unionsrechtliche Regelungen müssten künftig stets im Sinne des TTIP ausgelegt und angewendet werden, sollte das Abkommen abgeschlossen werden. Stoffverbote auf der Grundlage der REACH-Verordnung müssten auf ihre Vereinbarkeit mit nicht auf der Basis des Vorsorgeprinzips im Rahmen des TTIP getroffenen Regelungen geprüft werden usw.

Vor diesem Hintergrund ist es zwar zutreffend, wenn es im Verhandlungsmandat der Kommission heißt, die regulatorische Kompatibilität lasse das Recht unberührt, Vorschriften nach Maßgabe des von der jeweiligen Seite für angemessen erachteten Schutzniveaus in den Bereichen Gesundheit, Verbraucher und Umwelt zu erlassen oder auf andere Weise legitime Regulierungsziele zu erreichen.  Was das Mandat bemerkenswerter Weise verschweigt, ist die Tatsache, dass derartige seitens der Europäischen Union neu erlassene Vorschriften, auf Grund des Vorrangs völkerrechtlicher Verträge vor dem Sekundärrecht, automatisch unter dem Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit dem Regelungen des TTIP stünden.

Wenn also im Rahmen von TTIP z.B. vereinbart wird, dass weitergehende, „lenkende“ Nährwertkennzeichnungen von Lebensmitteln nicht eingeführt werden sollen, könnte die EU die von der Bevölkerung gewünschte Nährwertampel nur unter Bruch eines völkerrechtlichen Vertrages beschließen!

Fazit: Die Bundesregierung täuscht die Bürger, weil sie ihnen verschweigt, dass TTIP entscheidend das Recht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten einschränkt, autonom gemeinwohlorientierte Gesetze z.B. im Umwelt- und Verbraucherschutz zu beschließen.

Zusammenfassung

Das TTIP-Abkommen zwischen den USA und der Europäischen Union dient vornehmlich den großen internationalen Konzernen und der Agrarindustrie. Verbraucher und Bürger haben kaum wirtschaftliche Vorteile davon – und wenn, dann stehen diese in keinem Verhältnis zu den Risiken des Abkommens. Die Wachstumseffekte sind minimal, das trifft ebenso für Beschäftigungseffekte zu.

Die Regierung weist auf die Chancen und wirtschaftlichen Vorteile des Abkommens hin, die möglichen negativen Auswirkungen des TTIP-Abkommens werden den Bürgern jedoch vorenthalten.

Anders als die Regierung behauptet, besteht die reelle Gefahr, dass die nationalen Parlamente und nationalen Regierungen die Annahme dieses Abkommens, auch wenn es negativ ist, nicht werden verhindern können. Die Zusicherung, verbraucher- und umweltpolitische Standards würden nicht gesenkt, ist unhaltbar. Das TTIP ist darauf angelegt, durch eine „Annäherung der Gesetzgebung“ technische, aber auch gesellschaftspolitische Standards des Umwelt- und Verbraucherschutzes zu harmonisieren. Dies ist gleichbedeutend mit einer Schwächung der Europäischen Standards.

Zudem wird verschwiegen, dass der Erhalt bestehender Standards kein Erfolg, sondern eine Bankrotterklärung ist. TTIP jedoch gefährdet und verhindert die so dringend notwendige weitere Stärkung der Verbraucher- und Arbeitsschutzrechte sowie des Umweltschutzes in Europa. Die dafür erforderlichen Gesetze und Regelungen erlangen nämlich nur Gültigkeit, wenn sie TTIP-konform sind. Die EU macht damit gesellschaftspolitische Weiterentwicklungen von der Zustimmung eines Handelspartners – den USA – abhängig und entmachtet auf diese Weise ihre eigenen Bürger.