Nachricht 09.03.2015

Stellungnahme zu den „sieben Mythen“ der Wirtschaftswoche

Die Wirtschaftswoche befasst sich heute mit dem Buch „Die Freihandelslüge“ von foodwatch-Gründer Thilo Bode. Die Lektüre konnte das Blatt offenbar nicht überzeugen – das ist schade, aber nicht weiter schlimm. Allerdings behauptet die „Wiwo“, im Buch würden „Mythen“ verbreitet. Die Beweisführung scheitert jedoch: Angebliche Thesen werden von Thilo Bode gar nicht vertreten, vermeintliche Zitate stammen nicht von ihm oder sind in ganz anderem Zusammenhang gefallen. Fazit: Der Wiwo-Text ist unseriös und manipulativ. Eine Stellungnahme.

„Sieben Mythen über TTIP“ ist der Artikel überschrieben, den die Wirtschaftswoche heute in ihrer Printausgabe sowie online veröffentlicht hat. Im Text, so scheint es, geht ausschließlich um das am selben Tag erschienene Buch „Die Freihandelslüge“ von foodwatch-Gründer Thilo Bode. „Wie stichhaltig sind seine Argumente?“, fragt das Redakteursteam – um in der Folge sieben angebliche Mythen zu entlarven.

Doch wie stichhaltig ist die Recherche der Wirtschaftswoche? Leider nicht sehr: Die Redakteure stellen Zitate aus dem Buch in einen ganz anderen Zusammenhang, sie schieben Thilo Bode Zitate unter, die nicht von ihm stammen und sie enthalten ihren Lesern wichtige Informationen zur Einordnung der Thematik vor.

Eine Stellungnahme zu den sieben vermeintlichen „Mythen“:

Vermeintlicher Mythos 1: „TTIP schafft kein nennenswertes Wachstum“

Die Wiwo schreibt: „Optimisten, wie das ifo Institut, hoffen auf einen Zuwachs des realen Pro-Kopf-Einkommens von rund 4,7 Prozent in Deutschland in den nächsten zehn bis 15 Jahren. Bis zu 110.000 neue Jobs könnten entstehen. Pessimisten, wie das Londoner Centre for Economic Policy Research, sehen nicht einmal einen BIP-Zuwachs in Europa von 0,5 Prozent bis 2027. foodwatch-Gründer Thilo Bode glaubt den Zweiflern und sagt: ‘Die erwarteten Vorteile sind mickrig.‘“

Richtig ist: Naturgemäß sind alle Studien über die wirtschaftlichen Effekte eines Abkommens zu einem Zeitpunkt, zu dem dieses Abkommen noch verhandelt wird, spekulativ. Da die Ökonomen die Ausgestaltung von TTIP noch nicht kennen können, haben sie hypothetische TTIP-Szenarien entwickelt und diese durchgerechnet. Die Studien sagen also nicht aus, was TTIP bringt – sondern was es bringen könnte, wenn bestimmte Annehmen einträfen. Es geht insofern weniger um „Optimisten“ und „Pessimisten“ unter den Ökonomen: Die Forscher haben einfach behelfsweise unterschiedliche hypothetische Szenarien zur Grundlage ihrer Berechnungen gemacht. Entsprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse. 

Thilo Bode schlägt hierbei sich nicht auf die eine oder andere Seite oder schenkt nur den Studien Glauben, die zu niedrigeren Ergebnissen führen. Er ordnet die Berechnungen ein.

Leider gibt die Wirtschaftswoche nicht wieder, dass schon die zitierten knapp 0,5 Prozent BIP-Effekt in zehn Jahren aus der Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR) Ergebnis der Berechnung für ein besonders ambitioniertes TTIP-Szenario sind. Das CEPR kommt in seiner von der Europäischen Kommission beauftragten Studie für den Fall eines weniger ambitionierten Abkommens zu entsprechend niedrigeren Werten.

Die Wirtschaftswoche-Redakteure stellen leider ebenfalls nicht dar, dass auch das ifo-Institut verschiedene TTIP-Szenarien durchgerechnet hat und sie lediglich den Best Case aus einer ifo-Studie für das Bundeswirtschaftsministerium zitieren. Über das dieser Einschätzung zugrunde gelegte Szenario schreibt das ifo-Institut selbst: „Hier handelt es sich um ein sehr optimistisches Szenario, welches erhebliche Unsicherheiten involviert. […] Das Binnenmarktszenario unterstellt eine sehr starke gegenseitige Absenkung der Marktzutrittsbarrieren zwischen den USA und der EU. Hinsichtlich der Handelsbarrieren erscheinen diese beiden Märkte für deutsche Firmen als fast identisch (der einzige Unterschied besteht in den höheren Transportkosten für weiter entfernte Märkte).“

Diese – von den Studienautoren selbst formulierten – Unsicherheiten hätten zumindest erwähnt werden können. Für ein Wirtschaftsmedium wie die Wirtschaftswoche wäre auch eine Einordnung darüber hilfreich gewesen, wie realistisch ein solches Szenario ist. Im Verlag der Wirtschaftswoche erscheint auch das Handelsblatt; dessen Kolumnist Norbert Haering hat eine solche Einschätzung bereits vorgenommen: „Es ist das Szenario, in dem die USA faktisch ein Mitglied der EU werden und alle sprachlichen, rechtlichen und kulturellen Handelshindernisse beseitigt sind und die gleiche Währung benutzt wird.“ Mit anderen Worten also: ziemlich unwahrscheinlich.

Für andere hypothetische Szenarien für TTIP kommen die ifo-Forscher in derselben Studie zu deutlich niedrigeren Einschätzungen über die wirtschaftlichen Effekte. Schade, dass das unerwähnt bleibt.

Selbst die als optimistische Variante genannten (hypothetischen) Effekte schrumpfen erheblich zusammen, wenn man sich vor Augen hält, dass es sich um einen langfristig nach 10 bis 15 Jahren eintretende Einmaleffekte handelt. Die Rede ist nämlich nicht von 110.000 zusätzlichen Stellen durch TTIP pro Jahr, sondern als Gesamteffekt nach 10 oder 15 Jahren – pro Jahr könnten also in diesem schon unrealistisch ambitionierten Falle gerade einmal so viele Jobs entstehen, dass dies den Stand der Beschäftigung in Deutschland kaum merkbar beeinflusst. Die Wirtschaftswoche stellt richtig dar, dass die Effekte nicht sofort oder gar jährlich eintreten sollen, sondern langfristig – sie unterlässt jedoch jede Einordnung. So kann der falsche Eindruck entstehen, es gebe hier ein Institut, das besonders große Beschäftigungszuwächse vorhersagt.

Thilo Bode schlägt sich nicht auf die Seite derjenigen Studienautoren, die die kleineren Effekte vorhersagen, wie es die Wirtschaftswoche unterstellt. Vielmehr ordnet er ein, dass selbst die Studien, die besonders ambitionierte TTIP-Szenarien durchgerechnet haben, nicht zu besonders großen Effekten kommen. Das gilt auch den zitierten „Zuwachs des realen Pro-Kopf-Einkommens von rund 4,7 Prozent“, der in einem hypothetischen Szenario des ifo-Instituts ebenfalls nach zehn bis 15 Jahren eintreten könnte. Wie würden es die Wiwo-Redakteure bewerten, wenn ihnen eine Lohnerhöhung von 4,7 Prozent versprochen würde – aber erst in zehn bis 15 Jahren und nur, wenn vorher die Wirtschaftswoche mit der Financial Times fusioniert? Wäre das dann wirklich ein großer Schluck aus der berühmten Lohnpulle?

Eine Einordnung der genannten Zahlen durch die Wirtschaftswoche hätte klar gemacht, dass die Einschätzung Thilo Bodes über die vorhergesagten wirtschaftlichen Effekte seine Bewertung widerspiegelt, der die Wirtschaftswoche ja nicht folgen muss – aber dass es sich sicherlich nicht um einen „Mythos“, also eine Erfindung handelt.

Fazit: Wenn die Wiwo schreibt, Thilo Bode glaube den einen Studien und den andern Studien nicht, ist dies eine haltlose Unterstellung. Thilo Bode hat sich in dieser Form nicht geäußert. Vielmehr ordnet er die Studien insgesamt ein und bewertet selbst die für die ambitioniertesten TTIP-Szenarien berechneten Effekte als verhältnismäßig gering. Mit einem genauen Blick auf die Studien hätten die Redakteure selbst zu dem Schluss kommen können, dass auch in den Best-Case-Szenarien keine besonders großen wirtschaftlichen Effekte vorausgesagt werden.

Vermeintlicher Mythos 2: „Die Verhandlungen sind intransparent“ 

Die Wiwo schreibt: „Tatsächlich aber ist die Mehrheit der Verhandlungsunterlagen öffentlich zugänglich. Das Europäische Parlament wird regelmäßig von der EU-Kommission unterrichtet, die Nationalstaaten ebenfalls. Von einem ‚geheimen Deal‘ zu sprechen, wie es Bode tut, ist übertrieben und unseriös.“ 

Richtig ist: Die Verhandlungen begannen unter höchstem Maße an Intransparenz. Das Verhandlungsmandat, das die Handelsminister der 28 EU-Staaten der Europäischen Kommission erteilt haben und das bereits Vorfestlegungen enthält, wurde noch eine ganze Zeit, nachdem es bereits an die Öffentlichkeit durchgesickert war, nicht offiziell publiziert. Erst großer öffentlicher Druck – aus der Zivilgesellschaft, aber auch von den Europaabgeordneten – hat die Europäische Kommission dazu bewegt, transparenter zu werden. Seitdem wird in der Tat – so beschreibt es Thilo Bode auch in seinem Buch – eine Reihe von Dokumenten publiziert. 

Dennoch hat die Öffentlichkeit keinen Überblick über den Verhandlungsstand. Denn dafür kommt es nicht auf die Anzahl der veröffentlichten Unterlagen an, sondern auf deren Qualität. Die Wirtschaftswoche schreibt selbst korrekt: „Es gibt eine Reihe von Dokumenten, die sogenannten konsolidierten Texte, die vertraulich sind. Nur ein kleiner Kreis von Parlamentariern darf diese Dokumente einsehen. In den Unterlagen findet sich der aktuellen Verhandlungsstand: die Ziele beider Seiten, Kompromissvorschläge, Anmerkungen.“ 

Damit jedoch ist die Sachlage genauso, wie von Thilo Bode beschrieben: Die Position der US-Verhandler und der aktuelle Verhandlungsstand sind also unbekannt. Die Wirtschaftswoche bestätigt selbst, was sie aus der Feder von Thilo Bode zuvor als „übertrieben und unseriös“ bewertet hat. 

Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob es „gute Gründe“ für die Geheimhaltung wesentlicher Dokumente gibt, wie die Wiwo-Autoren finden. Hier mag es verschiedene Meinungen geben, die jedoch eine Bewertung darstellen, die jedem unbenommen ist. Weil es bei TTIP aber nicht nur um eine Harmonisierung technischer Normen (wie Blinkerfarben, Schraubenlängen etc.) geht, sondern um viele gesellschaftspolitische Fragen und eine weitreichende regulatorische Kooperation, die Auswirkungen auf künftige Gesetzgebungsverfahren und den Einfluss von Parlamenten haben wird, hat jedenfalls foodwatch den Anspruch, dass die Verhandlungen sehr viel transparenter geführt werden als dies auch heute noch der Fall ist. 

Unabhängig von der Bewertung bleibt es Fakt, dass der „Deal“ im „Geheimen“ verabredet wird.

Fazit: Die Wiwo mag eine andere Position über die Notwendigkeit der Geheimhaltung vertreten. Die Fakten, dass nämlich wesentliche Informationen über die TTIP-Verhandlungen der Öffentlichkeit vorenthalten bleiben, bestätigen die Redakteure. Es bleibt ihr Geheimnis, weshalb sie es als „übertrieben und unseriös“ darstellen, wenn Thilo Bode dasselbe behauptet. 

Vermeintlicher Mythos 3: „Der Widerstand gegen das TTIP-Abkommen ist groß“

Die Wiwo schreibt: „‘Der Widerstand wächst, die Menschen sind misstrauisch geworden‘, schreibt Bode. Fakt aber ist: Die TTIP-Gegner sind eine lautstarke Minderheit. Laut dem neuesten Eurobarometer der EU-Kommission haben die Gegner in Deutschland nur knapp die Oberhand (41 zu 39 Prozent). Europaweit liegen dagegen die TTIP-Befürworter deutlich vorn.“

Richtig ist: Thilo Bode behauptet überhaupt nicht, dass der Widerstand in Europa bereits von einer Mehrheit der Menschen getragen werden. Die in der Zwischenüberschrift als „Mythos“ stigmatisierte Behauptung vom großen Widerstand (schon gar nicht in Bezug auf Europa) ist keine, die von Thilo Bode stammt. Im Text selbst zitiert die Wiwo dann korrekt die These vom wachsenden Widerstand. Diese bezieht Thilo Bode in seinem Buch übrigens ausdrücklich auf Deutschland und belegt sie mit Umfragen. Im Buch heißt es wörtlich: 

Doch der Widerstand wächst: Während nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage im Februar 2014 noch 55 Prozent der Deutschen ihre Zustimmung zu TTIP gaben, sah im Herbst desselben Jahres nicht einmal mehr die Hälfte (48 Prozent) aller Deutschen das geplante Abkommen positiv; im gleichen Zeitraum stieg die Zahl derer, die TTIP für »eine schlechte Sache« hielten, von 25 auf 32 Prozent, und jeder Vierte forderte sogar einen Stopp der Verhandlungen.“

Inzwischen halten übrigens – bei identischer Fragestellung – sogar nur noch 39 Prozent der Deutschen TTIP für „eine gute Sache“. Dass die Debatte über das Abkommen in vielen anderen EU-Ländern dagegen (noch) nicht so intensiv geführt wird und der Widerstand (noch) nicht so groß ist wie in Deutschland, ist ein Fakt, den Thilo Bode an keiner Stelle bestritten hat.

Fazit: Die Wiwo verwendet ein Zitat, das sich ausdrücklich auf Meinungsumfragen in Deutschland bezieht, stellt ihm eine Umfrage aus Europa gegenüber und erweckt damit den haltlosen Eindruck, hier werde falsch informiert. Für ihre Zwischenüberschrift unterstellt die Wirtschaftswoche Thilo Bode sogar eine Behauptung, die er gar nicht aufgestellt hat – um diese dann zu „widerlegen“ und als „Mythos“ darzustellen.  Das halten wir nicht für seriösen Journalismus.

Vermeintlicher Mythos 4: „Vom Freihandelsabkommen profitieren nur Großkonzerne“

Die Wiwo schreibt: „Das TTIP-Abkommen ‚dient nicht der Mehrheit der Unternehmen – sondern fast ausschließlich den großen, weltweit agierenden globalen Konzernen‘, kritisiert Bode. Das sehen Mittelständler in Deutschland durchaus anders. Etwa die Firma Alfred H. Schütte in Köln...“

Richtig ist: Auch wenn die Wiwo von einem „Mythos“ schreibt, kann sie Thilo Bodes These nicht widerlegen. Eine anders lautende Meinung ist legitim, aber kein Beleg für die Unrichtigkeit der These – schon gar nicht, wenn sie von einer einzelnen Firma kommt, die den Wiwo-Redakteuren als Kronzeugin dient. Warum erwähnt die Wirtschaftswoche nicht auch einen Unternehmenschef oder einen Mittelstandsverband, der sich gegen TTIP ausgesprochen hat? An einem Beispiel dafür fehlt es jedenfalls nicht.

Im Weiteren führt die Wiwo mögliche Vorteile durch den Wegfall der Unterscheide bei technischen Standards ins Feld, um die These von Thilo Bode vermeintlich zu widerlegen. Das führt an der Sache vorbei: Thilo Bode argumentiert nicht gegen die Vereinheitlichung technischer Standards, die unbestritten unnötige Kosten senken könnte. Wir kritisieren aber, dass diese Harmonisierung technischer Standards sowie der Abbau von Zöllen vermengt werden mit gesellschaftspolitischen Standards und mit Instrumenten, die sich auf demokratische Prozesse auswirken. Zur Vereinheitlichung von technischen Standards mit dem Ziel der Kosteneinsparung bedarf es (wie auch zum Zollabbau) keines weitreichenden TTIP-Abkommens – hier wären nach Auffassung von foodwatch Branchenvereinbarungen oder Abkommen, die sich allein auf diese technischen Fragen beschränken, der einfachere und bessere Weg.

Fazit: Auch wenn die Wirtschaftswoche einen anderen Eindruck erweckt, nennt sie kein einziges Argument, um die These von Thilo Bode zu widerlegen. Es mag sein, dass die Redakteure die These nicht für überzeugend halten. Dann sollten sie das aber auch schreiben und nicht mit dem Begriff „Mythos“ den Eindruck erwecken, hier werde Unzutreffendes verbreitet.

Vermeintlicher Mythos 5: „Die Nationalstaaten werden von der EU übergangen“

Die Wiwo schreibt: „Weil es die EU-Kommission ist, die die Verhandlungen führt, kritisieren TTIP-Gegner, Europa entscheide einmal mehr über das Wohl und Wehe der Mitgliedsländer und ihrer Bürger. (…) Sollten die TTIP-Verhandlungen erfolgreich sein und es zu einem Vertragsentwurf kommen, muss das Europäische Parlament dem zustimmen – und höchstwahrscheinlich auch jedes der 28 nationalen Parlamente, da das Abkommen über reine Handelsfragen hinausgeht und in die Kompetenz der Mitgliedstaaten eingreift.“

Richtig ist: Thilo Bode hat zu keinem Zeitpunkt die Behauptung aufgestellt, dass die Nationalstaaten „von der EU übergangen“ würden oder den Eindruck erweckt, die Europäische Kommission könne hier über die Mitgliedstaaten hinweg entscheiden. Die Wirtschaftswoche nennt als Urheber nicht weiter konkretisierte „TTIP-Gegner“ – wer das sein soll, erfährt der Leser nicht.

Manipulativ ist es, dass eine solche angebliche Aussage von anderen, nicht spezifizierten „TTIP-Gegnern“ in den Kontext dieses Textes gestellt wird, der in seiner Gesamtanlage als Überprüfung von Thesen aus dem Buch Thilo Bodes daher kommt: Der Leser muss denken, diese Behauptung sei von Thilo Bode aufgestellt worden, was falsch ist.

Vielmehr stellt Thilo Bode dar, dass die Parlamente nur geringen Einfluss auf den Inhalt des TTIP-Abkommens haben. Das Europaparlament ist in die Verhandlungen selbst nicht eingebunden; lediglich einige Abgeordnete werden von der Kommission über den Stand „informiert“. Am Ende kann das Europaparlament zustimmen oder den Vertrag scheitern lassen, es kann aber keine Änderungen am Vertragstext beschließen. Gleiches gilt für die nationalen Parlamente, sollten diese einbezogen werden. Hinzu kommt, dass ein TTIP-Abkommen schon vor der Ratifizierung durch die Parlamente – theoretisch auch über Jahre hinweg – auf Beschluss des EU-Ministerrats vorläufig zur Anwendung gebracht werden kann. TTIP-Bestimmungen könnten also rechtskräftig Gültigkeit erlangen, ohne dass die Abgeordneten ihr Plazet gegeben haben. Obwohl diese vorläufige Anwendung bei internationalen Abkommen gang und gäbe ist, erwähnt die Wirtschaftswoche das nicht einmal.

Fazit: Erneut „widerlegt“ die Wirtschaftswoche eine These, die Thilo Bode überhaupt nicht aufgestellt hat. Der als „Mythos“ dargestellte Satz stammt weder wörtlich noch inhaltlich von ihm. Zudem erweckt die den Eindruck, als hätten Parlamente maßgeblichen Einfluss auf den Inhalt des Abkommens und nennt nicht, welche erheblichen Einschränkungen es beim Einfluss der Abgeordneten gibt.

Vermeintlicher Mythos 6: „Unsere Lebensmittel werden schlechter“

Die Wiwo schreibt:Bode und die TTIP-Kritiker schüren die Angst vor einer Marktöffnung; sie könne zu einem ‚Waterloo für die Verbraucher‘ werden. Wird sie aber nicht. Die EU-Kommission betont, dass sie von ihren Standards nicht abrücken wird. Weder hat sie das Mandat dazu noch den Willen. ‚Hormonbehandeltes Fleisch etwa bleibt in Europa verboten. Da werden wir uns nicht mit den USA auf gemeinsame Standards einigen‘, unterstrich die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in kleiner Runde in Brüssel.“

Richtig ist: Thilo Bode hat an keiner Stelle die „Marktöffnung“ als „Waterloo für Verbraucher“ bezeichnet. Hier ist ein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen und einem neuen Zusammenhang zugeordnet worden.

Die Wirtschaftswoche hätte es durchaus nachlesen können: Auch Thilo Bode hält es für eher unwahrscheinlich, dass gegenwärtige gesetzliche Standards durch TTIP direkt gesenkt werden oder „Hormonfleisch“ etc. aus den USA in Europa auf den Markt kommen könnten. Dies ist aus Sicht von foodwatch auch gar nicht das Problem von TTIP. Vielmehr kritisiert Thilo Bode in seinem Buch, dass im Rahmen von TTIP gegenwärtige Standards durch eine gegenseitige Anerkennung zwischen EU und USA festgeschrieben werden – und dann nicht mehr einseitig, also ohne Zustimmung des Handelspartners, geändert werden können. Diese Selbstbeschränkung bei einer – aus Sicht von foodwatch notwendigen – Verbesserung mancher Standards kritisiert Thilo Bode als „Waterloo für die Verbraucher“.

Fazit: Die Wirtschaftswoche argumentiert vollständig an der These Thilo Bodes vorbei. Sie unterstellt ihm Aussagen, die er nicht getroffen hat und ordnet ein Zitat einem völlig neuen Kontext zu, in dem es nicht gefallen ist. Das ist manipulativ und unseriös.

Vermeintlicher Mythos 7: „TTIP schafft eine Paralleljustiz“

Die Wiwo schreibt: Investitionsschutzabkommen sollen Unternehmen vor staatlicher Willkür, etwa vor Enteignungen, schützen. Kritiker fürchten eine Paralleljustiz zugunsten von Konzernen. Oder, wie Thilo Bode sagt: ‚Es droht nichts weniger als die Verrechtlichung von Konzerninteressen.‘ Die Kritiker tun so, als seien Investitionsschutzabkommen eine neue Erfindung. (…) Vielmehr ist es also so, dass das transatlantische Freihandelsabkommen keine Paralleljustiz schafft, sondern ihr bisheriges Ausmaß einschränkt.“

Richtig ist: Es hätte der Wirtschaftswoche auffallen können, dass sich der zitierte Satz von Thilo Bode im Buch nicht auf die Schiedsgerichte bezieht, sondern auf die – vom Kanzleramt bestätigte – Möglichkeit einer Einschränkung der Gesetzgebungsspielräume für EU und Mitgliedstaaten durch TTIP. Falsch ist ebenso, dass Investitionsschutzabkommen als „eine neue Erfindung“ dargestellt würden – Thilo Bode und foodwatch tun dies nicht, die Wiwo bleibt hierfür auch jeden Beleg schuldig.

Unsinnig ist es zu behaupten, dass TTIP „keine Paralleljustiz schafft, sondern ihr bisheriges Ausmaß einschränkt“: TTIP würde nicht zur Abschaffung von bisher bereits eingerichteten Klagemöglichkeiten führen, sondern könnte allenfalls neue Schiedsgerichte einrichten, die von

US-amerikanische Investoren für Klagen gegen die EU oder EU-Mitgliedstaaten genutzt werden können. Selbst wenn diese sich entscheiden müssten, ob sie vor ein staatliches oder ein privates Gericht zögen, bliebe unter dem Strich: Sie hätten dann eine neu geschaffene Möglichkeit für private Schiedsverfahren, die sie zuvor noch nicht hatten.

Fazit: Erneut hat die Wirtschaftswoche ein Zitat aus dem eigentlichen Zusammenhang gerissen und einem anderen Kontext zugeordnet. Die vermeintlichen Gegenargumente halten einer Überprüfung nicht stand.