Nachricht 15.01.2011

Spurensuche nach der Dioxinquelle

Dass die Dioxinbelastung von Eiern und Fleisch auf kontaminierte Futtermittel zurückgeht, steht fest. Doch wie kam das Gift ins Futter – und wer ist dafür verantwortlich? Der Stand der Spurensuche.

Wenn tierische Lebensmittel zu hoch mit Dioxin belastet sind, ist dies in den meisten Fällen auf kontaminierte Futtermittel zurückzuführen. Diese werden von den Herstellern aus vielen verschiedenen Komponenten zusammengesetzt, die aus aller Welt kommen können – um die tatsächliche Quelle der Belastung zu finden, ist eine aufwändige Spurensuche erforderlich.

Hohe Dioxinwerte in Futterfett

Im aktuellen Skandal ist die hochbelastete Komponente bekannt: Futterfette, die von der zu dem Unternehmen Harles & Jentzsch gehörenden Spedition Lübbe im niedersächsischen Bösel vertrieben wurden. Am 28. Dezember 2010 verbreitete das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) in Oldenburg die Nachricht über hohe Dioxinwerte in dem Fett über das behördeninterne, europäische Schnellwarnsystem RASFF. In dieser Meldung mit der Ordnungsnummer 2010/1771 verbreitete das Landesamt auch das so genannte Dioxin-Kongenerenmuster einer hoch belasteten Probe – eine Art „chemischen Fingerabdruck“, der die Häufigkeit verschiedener chemischer Verbindungen darstellt.

Das Häufigkeitsmuster stammt aus der Rückstellprobe einer Partie von 26 Tonnen Fettsäure, die ursprünglich von der Firma Petrotec an die Firma Lübbe geliefert worden waren. Diese 26 wurden dann mit weiteren Partien Fettsäuren zu insgesamt 526 Tonnen Futterfett vermischt.

Grenzwert für Zutat 164-fach überschritten

Insgesamt wurde in der Probe ein Wert von 123 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm (TEQ WHO ng/kg) ermittelt. All diese Informationen verbreitete das niedersächsische Landesamt in seiner Meldung, einsehbar jedoch nur für andere Behörden, nicht für die Öffentlichkeit. Zur Einordnung: Für die Fettsäure als eine von mehreren Komponenten für Futtermittel sind maximal 0,75 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm (TEQ WHO ng/kg) zulässig – dieser Grenzwert wurde also 164-fach überschritten.

Am 5. Januar 2011 wurde foodwatch das Kongenerenmuster aus der Analyse zugespielt. Wir legten es mehreren Wissenschaftlern mit der Bitte um Einschätzungen vor, so auch Dr. Roland Weber, einem renommierten Dioxin-Experten, der u.a. an der Universität Tübingen und in der Industrie zu diesem Thema geforscht hat und seit acht Jahren als Berater primär für UN-Organisationen und Umweltministerien tätig ist.

Rückschluss auf Chlorphenolverbindungen

Aus dem Kongenerenmuster lassen sich Rückschlüsse auf die Bildung von Dioxin ziehen. Haben sich bei thermischen Vorgängen Dioxine gebildet – wie das zum Beispiel durch belasteten Brennstoff beim Trocknen von Getreide geschehen kann –, sehen die „chemischen Fingerabdrücke“ typischerweise anders aus als bei der vorliegenden Analyse. Die von foodwatch konsultierten Wissenschaftler halten eine thermische Ursache für die Bildung der Giftstoffe daher für unwahrscheinlich. Bei dem Kongenerenmuster handele es sich „eindeutig um ein Chlorphenolmuster“, erklärte Dr. Roland Weber. Chlorphenolverbindungen sind Ausgangsstoffe für Pflanzenschutzmittel. Am 10. Januar veröffentlichte foodwatch die Einschätzungen der Wissenschaftler in einer Pressemitteilung und erklärte, dass die Dioxinbelastung wahrscheinlich auf Rückstände aus Pflanzenschutzmitteln zurückgehe. Dafür spreche das gefundene Pentachlorphenolmuster. Am selben Tag präzisierten wir diese Angabe und verwendeten stattdessen seither den „Oberbegriff“ Chlorphenolverbindungen, um dem Umstand Genüge zu leisten, dass die Dioxinverteilung auf „eine Mischung aus Tetra- und Pentachlorphenol“ hinweist, wie Dr. Weber erklärt. Seit den 80er-Jahren ist Pentachlorphenol und sind andere hochchlorierte Pestizide in Europa verboten, nicht jedoch in vielen Ländern Asiens und Südamerikas.

Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Münsterland-Emscher-Lippe (CVUA-MEL) in Münster analysiert ebenfalls Proben belastetet Futtermittel. Gegenüber der Presse erklärte es, dass seine Befunde nicht für die Verbindung Pentachlorphenol sprechen würden. An der Tatsache, dass das Dioxin aus Chlorphenolverbindungen entstanden ist, ändert dies nach Auffassung von Dr. Weber nichts. Unabhängig davon, welche chlororganischen Verbindungen für die Kontamination verantwortlich sind, ändert das nichts an der Giftigkeit der gefundenen Dioxine.

Kontamination über Pflanzenschutzmittel „am wahrscheinlichsten“

Was genau bedeutet diese Erkenntnis nun für die Spurensuche im aktuellen Dioxin-Skandal? Ein Dioxinmuster, wie es bei  Pflanzenschutzmitteln herstellungsbedingt vorkommen kann, wurde entdeckt – dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass Zutaten für die Futtermittel beim Anbau auf dem Acker mit Pestiziden behandelt worden sind. Eine Kontamination mit Giftstoffen kann ebenso bei Anwendung von Pilzschutzmitteln bei der Lagerung oder durch verunreinigte Lagerhallen oder Transportbehälter erfolgt sein. An welcher Stelle der Produktionskette Dioxine in die Fette gelangten, ist also noch unklar – und damit auch die Frage, wer dafür Verantwortung trägt.

Petrotec, der Lieferant der Firma Lübbe, verarbeitet Altspeisefette aus Raps, Sojaöl und Palmöl zu Bio-Brennstoffen. Dr. Weber hält die Kontamination über einen Pflanzenschutzmitteleinsatz beim Anbau oder Lagerung solcher Ölrohstoffe für „am wahrscheinlichsten“. Auch aktuell verwendete Pestizide enthalten Dioxine, zum Teil in hoher Konzentration. Unwahrscheinlicher, aber nicht auszuschließen sei, dass Dioxine aus recycelten Abfallstoffen zum Beispiel der Chlor/Organochlorindustrie in die Futtermittel gelangten oder durch den Anbau der Bio-Brennstoffe auf mit Chlorphenol/Dioxin kontaminierten Böden.

foodwatch fordert Pflicht-Tests auf Dioxin

Die aufwändige Spurensuche, die vielen potenziellen Eintragswege für Dioxine in Futter- und damit in Lebensmittel zeigen: Anstelle von maßgeschneiderten Lösungen für den aktuell diskutierten Fall bedarf es Maßnahmen, die die Problematik grundsätzlich angehen. Um zu verhindern, dass Giftstoffe in hohen Konzentrationen in Lebensmittel gelangen, müssen Dioxin-kontaminierte Futtermittel oder Futterzusätze aus der Kette genommen und dürfen nicht verdünnt in die Futtermittel gemischt werden. Hier gilt es, Zutaten wie die Futterfette genau zu kontrollieren. foodwatch fordert daher eine Test-Pflicht auf Dioxin: Futtermittelhersteller müssen jede Charge einer jeden Futtermittelkomponente beproben, bevor sie sie verarbeiten – und entsorgen, wenn die Dioxinwerte zu hoch sind.