Listerien-Skandal Wilke: Deshalb kommt es immer wieder zu solchen Skandalen
Mindestens drei Menschen starben, mehrere Dutzend erkrankten: Der Skandal um mit Listerien belastete Wurst der Firma Wilke schreckte im Oktober die Menschen auf. Während die Behörden nur scheibchenweise informierten, hakte foodwatch nach - und deckte das miserable Krisenmanagement von Hersteller und Behörden auf. Das Schlimme ist: Ob Dioxin, Pferdefleisch oder Fipronil – es sind immer wieder die gleichen Probleme, die Lebensmittelskandale möglich machen:
1) Lieferketten können nicht rückverfolgt werden
Zum Start des Rückrufs warnte die zuständige Lebensmittelbehörde lediglich vor „Wilke“-Produkten. Dabei wurden Waren des Wurstherstellers auch unter anderem Namen verkauft, zum Beispiel als Eigenmarken von Metro. Und als lose Ware ausgegeben, etwa in Krankenhäusern oder in Restaurants von Ikea. Viele Fakten wurden erst durch Recherchen von foodwatch bekannt. Erst fünf Tage nach dem Rückruf veröffentlichten die hessischen Behörden eine Produktliste mit mehr als 1.100 Einträgen. War nun alles geklärt? Ganz und gar nicht.
Die hessische Verbraucherschutzministerin Priska Hinz räumte am 16. Oktober ein: „Wir können schlicht nicht nachvollziehen, in welchem Supermarkt und in welcher Kantine die Wilke-Wurst verkauft wurde.“ Und das, obwohl das europäische Lebensmittelrecht die lückenlose Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln entlang der Lieferkette vorschreibt. Auch bei früheren Lebensmittelskandalen wie dem Pferdefleisch-Betrug oder mit Fipronil belasteten Eiern tappten die Behörden im Dunkeln – die Verbraucherinnen und Verbraucher erfuhren viel zu spät, nur unvollständig oder gar nicht von den betroffenen Produkten. foodwatch fordert: Die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln muss endlich durchgesetzt werden.
Wir können schlicht nicht nachvollziehen, in welchem Supermarkt und in welcher Kantine die Wilke-Wurst verkauft wurde.
2) Ergebnisse von Hygienekontrollen bleiben geheim
Verschimmelte Waren und völlig verdreckte Produktionsstätten: Offenbar herrschten in der Wurstfirma Wilke schon lange ekelerregende hygienische Zustände. Lange erfuhr die Öffentlichkeit davon nichts – und der Betrieb arbeitete weiter. foodwatch fordert seit Jahren: Lebensmittelbehörden müssen per Gesetz verpflichtet werden, über alle Kontrollergebnisse und Laborbefunde zu informieren. Dann könnten Schmuddelbetriebe nicht unter dem Radar weiterarbeiten. Länder wie Dänemark machen es längt vor: Die konsequente Veröffentlichung aller amtlichen Kontrollergebnisse sorgt dort nachweislich für bessere Hygiene in Lebensmittelbetrieben.
3) Auf kommunaler Ebene bestehen Interessenkonflikte
Aktuell liegt die Zuständigkeit für die Überwachung von Lebensmittelbetrieben meist bei den Kommunen. Diese Nähe kann zu Interessenkonflikten führen zwischen einerseits Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen und andererseits dem Verbraucherschutz. Das zeigte auch der Fall Wilke: Der zuständige Dezernent war gleichzeitig sowohl für „Verbraucherschutz“ als auch für „Direktvermarktung“ im Landkreis zuständig. In einem Interview mit dem hessischen Fernsehen erweckte er den Eindruck, als liege das größte Problem beim Wilke-Skandal in der Schließung eines Unternehmens, in dem „Freunde und Bekannte arbeiten“ – und nicht in den Todes- und Krankheitsfällen. foodwatch fordert: Die Lebensmittelüberwachung muss von der kommunalen auf die Länderebene verlagert werden – und dort in eine unabhängige, keinen politischen Weisungen unterworfene Behörde.
Wenn man so einen Betrieb schließt mit 200 Mitarbeitern, dann glauben Sie mir - und ich bin heute Morgen da gewesen - das war einer der schwersten Gänge, die ich in meinem Leben durchgeführt habe, das ist schließlich ein Unternehmen, wo Freunde und Bekannte arbeiten.
4) Restaurants & Co. müssen Rückrufe nicht öffentlich machen
Bei einem Rückruf ist vor allem der Hersteller in der Pflicht. Supermärkte, Kantinen oder Restaurants, die die betroffenen Produkte abgegeben haben, müssen ihre Kundschaft dagegen überhaupt nicht informieren – dabei haben diese Unternehmen den direkten Kundenkontakt. Im Fall Wilke hat zum Beispiel Ikea erst dann aktiv über den Rückruf berichtet, als foodwatch diese Tatsache bereits öffentlich gemacht hatte. Händler und andere Abgabestellen müssen daher gesetzlich verpflichtet werden, ihre Kundinnen und Kunden vor bedenklichen Lebensmitteln zu warnen – direkt mit einem Aushang im Laden oder Lokal, aber auch über Newsletter oder Social-Media-Kanäle. Wenn wir nicht endlich die Lehren aus Fällen wie Wilke ziehen, ist der nächste Lebensmittelskandal nur eine Frage der Zeit. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner steht in der Pflicht, die längst bekannten Schwachstellen und Gesetzeslücken zu beseitigen. foodwatch bleibt dran!
Die Chronik des Wilke-Skandals
- 2018/2019: Bundesbehörden untersuchen einen Listeriose-Ausbruch mit mehreren Erkrankten und mindestens drei Toten – sie fahnden nach der Infektionsquelle.
- Seit Mai 2018 kommt es bei Eigenuntersuchungen des Unternehmens und bei amtlichen Proben immer wieder zum Nachweis von Listerien auf Wilke-Produkten. Öffentliche Rückrufe bleiben jeweils aus.
- Am 12. August 2019 wird das hessische Verbraucherministerium von Bundesbehörden informiert, wonach Wilke-Wurstprodukte im Verdacht stehen, Ursache des Listeriose-Ausbruchs zu sein.
- Erst acht Tage später, am 20. August, leitet das Ministerium die Informationen über den Listerien-Verdacht an den für die Kontrollen bei Wilke zuständigen Landkreis weiter.
- Weitere acht Tage später, am 28. August, kontrolliert die Landkreisbehörde die Wurstfabrik und stellt „nicht unerhebliche hygienische Mängel“ fest, die „eine nachteilige Beeinflussung der im Betrieb hergestellten, behandelten oder in Verkehr gebrachten Lebensmittel und Speisen darstellten“. Allein im Jahr 2019 ordnen die Behörden mehrfach Grundreinigungen an und verhängen Bußgelder.
- Am 16. September steht für die Bundesbehörden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest: Wilke-Produkte waren für den Listeriose-Ausbruch verantwortlich.
- Erst am 2. Oktober wird der Betrieb geschlossen und Wilke-Erzeugnisse öffentlich zurückgerufen.