Pressemitteilung 11.12.2019

40 Prozent der Lebensmittelkontrollen in Niedersachsen fallen wegen Personalmangels aus

foodwatch kritisiert „Skandal-Erlass“ des Otte-Kinast-Ministeriums

  • Landesregierung macht Verstöße der Ämter gegen Verbraucherschutzvorgaben zu Regel 
  • foodwatch fordert eine unabhängige Landesanstalt für Lebensmittelüberwachung statt 40 kommunaler Behörden

Vier von zehn vorgeschriebene Lebensmittelkontrollen in Niedersachsen fallen aus – weil die Landkreise und kreisfreien Städte viel zu wenig Personal für den Verbraucherschutz haben. Keine der 40 kommunalen Lebensmittelbehörden des Bundeslandes schaffte es im Jahr 2018, die in einer bundesweiten Verwaltungsvorschrift verankerten Vorgaben für die Zahl der Betriebskontrollen einzuhalten. Während der Heidekreis und der Landkreis Diepholz ihr Soll nur knapp verfehlten, war die Lage in den Landkreisen Helmstedt, Celle und Gifhorn besonders prekär, wo die Lebensmittelämter noch nicht einmal ein Viertel der vorgeschriebenen Kontrollbesuche durchführen konnten. Insgesamt absolvierten 11 der 40 Behörden in Niedersachsen weniger als die Hälfte der vorgegebenen Inspektionen. Das sind die Ergebnisse einer umfassenden Datenrecherche von foodwatch.

Die Verbraucherorganisation wertete die katastrophale Bilanz der Ämter als  eklatantes Versagen der politisch Verantwortlichen in den Kommunen – und vor allem der Landesregierung. Als oberste Fachaufsicht müsste das Verbraucherschutzministerium unter Führung von Barbara Otte-Kinast darauf drängen, dass die kommunalen Ämter genügend Personal für ihre Aufgaben einstellen. Stattdessen gab das Ministerium am 25. Mai 2018 sogar einen Erlass heraus, demzufolge die Behörden grundsätzlich nur 55 Prozent ihres Solls bei den Betriebskontrollen durchzuführen haben, das eigentlich durch eine bundesweite Verwaltungsvorschrift (AVV Rahmen-Überwachung, kurz: AVV RÜb) zum Schutze der Verbraucherinnen und Verbraucher vorgegeben ist. 

„Wenn kommunale Verbraucherschutzämter gegen Verbraucherschutzvorgaben verstoßen, ist das inakzeptabel – wenn eine Landesregierung auch noch versucht, den systematischen Verstoß der Ämter als eine permanente Regel zu legitimieren, ist das ein echter politischer Skandal“, kommentierte foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. Die Verbraucherorganisation hat den – nach ihrer Kenntnis bundesweit einzigartigen – Erlass prüfen lassen und stuft ihn als rechtswidrig ein. Schließlich gilt die AVV RÜb, von der sich der Erlass abgrenzt, bundesweit und wurde unter Beteiligung Niedersachsens im Bundesrat verabschiedet. foodwatch forderte Landesverbraucherschutzministerin Barbara Otte-Kinast auf, den Erlass unverzüglich zurückzunehmen und eine ausreichende personelle Ausstattung der Kontrollbehörden in Niedersachsen durchzusetzen. 

Gleichzeitig verwies foodwatch darauf, dass die Probleme im Kontrollsystem mit mehr Personal allein nicht zu lösen sind. Erforderlich sei eine echte Strukturreform, die die Lebensmittelkontrolle dem politischen Einfluss entzieht. Dass Ämter eklatant gegen Verbraucherschutzvorgaben verstoßen liege daran, dass die verantwortlichen Politiker bei ihren Haushaltsentscheidungen dem Verbraucherschutz keine ausreichende Priorität einräumten. Ebenso gibt es immer wieder Interessenkonflikte bei behördlichen Maßnahmen gegen Lebensmittelbetriebe, weil die Behörden sowohl für Arbeitsplätze und Wirtschaftsförderung als auch für die Kontrolle der Unternehmen zuständig sind. „Lebensmittelsicherheit darf nicht von politischen Haushaltsentscheidungen abhängen und auch nicht davon, wie gerade das Pendel zwischen Wirtschaftsförderung und Verbraucherschutz ausschlägt“, sagte foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. „Anstelle von 40 kommunalen Ämtern sollte künftig in Niedersachsen nur noch eine Landesanstalt für Lebensmittelüberwachung zuständig sein – als politisch möglichst unabhängige Einrichtung.“ Eine solche Anstalt dürfe keinen politischen Weisungen unterliegen, sondern nur einer Rechtsaufsicht durch das Ministerium. Ihre personelle und finanzielle Ausstattung solle sich allen an den Zielen des Verbraucherschutzes ausrichten. 

foodwatch hat am Mittwoch in ihrem Report „Kontrolle ist besser“ Daten zur personellen Ausstattung sowie den Soll- und Ist-Zahlen für vorgeschriebene Betriebskontrollen aus den fast 400 Lebensmittelkontrollbehörden in Deutschland veröffentlicht. Bundesweit kann demnach etwa jede dritte vorgeschriebene Betriebskontrolle nicht durchgeführt werden.