Nachricht 09.10.2017

Die Zucker-Lobby macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt

Die Zucker-Lobby in Deutschland verbreitet systematisch Fehlinformationen zum Kalorienverbrauch und Ernährungsverhalten. Anstatt sich an die Fakten zu halten, versucht der Lobbyverband immer wieder zu manipulieren und zu täuschen – und schreckt auch nicht davor zurück, Politiker des Deutschen Bundestags anzulügen. Eine kleine Lügen-Chronologie der Zucker-Lobby.

Es beginnt mit einem Rundschreiben an die Mitglieder des Ernährungsausschusses im Bundestag im April 2017. Darin behauptet die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ): „Tatsächlich nehmen die Deutschen heute nicht mehr, sondern eher weniger Kalorien auf als früher.“ Dabei zeigen Daten aus sogenannten „food balance sheets“ der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) das genaue Gegenteil: Der Kalorienverbrauch von Erwachsenen in Deutschland hat seit 1961 deutlich zugenommen, von durchschnittlich 2885 Kilokalorien pro Tag (1961) auf durchschnittlich 3499 (2013). Sowohl die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als auch die EU-Kommission bestätigen diese Entwicklung.

foodwatch fragte nach

Als foodwatch daher bei der WVZ nachfragt, auf welcher Basis die Behauptung fußt, die Deutschen würde heute „eher weniger Kalorien auf als früher“ aufnehmen, antwortet der Lobbyverband mit dem Verweis auf eine im „British Journal of Nutrition“erschienene Studie – die allerdings im Gegensatz zur Aussage der WVZ steht. Dort heißt es nämlich, es wurden „keine Veränderungen“ bei der Kalorienaufnahme beobachtet. Zudem verglich die Studie lediglich Daten von 2006 mit Daten von 2012 – interessant, was die WVZ unter „früher“ versteht.

Ende August greift foodwatch in einer Veröffentlichung zu den „sieben größten Zuckermythen“ auch die Falschaussage der VWZ auf. Diese reagiert mit einer Pressemitteilung, in der sie die Falschaussage wiederholt. Als Beleg führt der Verband dieses Mal Zahlen der beiden „Nationalen Verzehrsstudien“ an, welche von der Universität Gießen und dem staatlichen Max Rubner-Institut (MRI) durchgeführt wurden. Blöd nur: Die Zahlen aus den beiden Studien sind aus methodischen Gründen überhaupt nicht miteinander vergleichbar, wie das MRI gegenüber foodwatch erklärt. „Die Schlussfolgerung (...) kann nicht aus den Ergebnissen gezogen werden“, so das Institut.

Zuckerwirtschaft versucht, Falschaussagen aufrecht zu erhalten

Doch damit nicht genug: In einem dritten Versuch, die Falschaussage zur angeblich gesunkenen Kalorienaufnahme zu verteidigen, veröffentlichte die WVZ  am 25. September eine weitere Pressemitteilung, in der sie „den Vorwurf der Lüge entschieden zurückweist“. In dieser Pressemitteilung mit dem Titel „Deutsche Zuckerwirtschaft stützt Aussagen zu Kalorien auf seriöse Quellen“ versucht der Lobbyverband, die von foodwatch herangezogenen „food balance sheets“ der FAO in Frage zu stellen. Die VWZ verweist auf eine Veröffentlichung der FAO, laut der Verzehrsstudien die „beste Möglichkeit“ seien die „tatsächliche Kalorienaufnahme“ zu ermitteln. „Im Gegensatz dazu“ böten „internationale Statistiken zum theoretischen Kalorienangebot kein klares Bild“.

Das klingt zunächst einleuchtend. Doch die WVZ verschweigt, dass die FAO in der von ihr selbst zitierten Veröffentlichung feststellt: Solange umfassenden Daten aus Verzehrsstudien fehlen, sind die Daten der „food balance sheets“ der FAO die einzige Quelle standardisierter Daten, die internationale Vergleiche über einen Zeitverlauf ermöglichen.

Und genau das ist der Fall: Es gibt schlichtweg keine vergleichbaren Daten aus Verzehrsstudien zum tatsächlichen Nahrungsmittelverzehr in Deutschland über einen langen Zeitverlauf. Daher lassen sich nur aus den Daten der FAO zum Nahrungsmittelangebot seriöse Rückschlüsse auf die Kalorienaufnahme der Deutschen im Zeitverlauf ziehen. Und diese Zahlen sind mehr als eindeutig: Die Kalorienaufnahme ist gestiegen und nicht gesunken. Von etwa 2900 kcal pro Kopf und Tag auf etwa 3500 kcal pro Kopf und Tag.

Fazit: Obwohl die Fakten eine eindeutige Sprache sprechen, versucht die Zuckerwirtschaft ihre Falschaussage aufrecht zu erhalten und damit die Bedeutung einer unausgewogenen Ernährung herunter zu spielen. Das zeigt, wie unseriös der Verband mit Zahlen und Studien umgeht, wenn es darum geht, die eigenen Interessen zu verteidigen.

Zucker-Cheflobbyist Günter Tissen. Karikatur: foodwatch

...und noch eine Täuschung (Nachtrag vom 9. Oktober 2017)

Die Deutschen essen mehr Zucker als die WHO empfiehlt. Dies hat das Max Rubner-Institut erst 2016 im Auftrag des Bundesernährungsministeriums eindeutig errechnet. Danach nehmen Männer hierzulande etwa 13 Prozent, Frauen etwa 14 Prozent ihres täglichen Energiebedarfs durch zugesetzte Zucker auf. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt dagegen maximal zehn Prozent, besser noch maximal fünf Prozent des täglichen Energiebedarfs durch zugesetzte Zucker zu decken.

Eine für die Zuckerlobby eher unbequeme Wahrheit, die Günter Tissen nun wieder mit einem geschickten Trick ins Gegenteil verkehrt. Gegenüber der Sendung 3sat-Makro sagte er am 29. September, das Max Rubner-Institut habe erhoben, wie viel Saccharose (Haushaltszucker) in Deutschland verzehrt wird und da „kommen wir in Größenordnungen rein, wie sie etwa auch die WHO etwa empfiehlt“.  Das ist eine dreiste Täuschung, denn auf diese Größenordnung kommt man nur, wenn man die WHO-Empfehlung falsch auslegt. Diese bezieht sich nämlich auf alle zugesetzten Zucker - also neben Saccharose auch Honig, Fruchtsaftkonzentrate, Sirup und viele andere. Herr Tissen hingegen pickt sich nur den Haushaltszucker heraus, um zu verschleiern, dass der Zuckerkonsum in Deutschland viel zu hoch ist. Hat ja auch keiner gemerkt den kleinen Trick, oder? Wir schon!