Nachricht 26.06.2018

„Die Verantwortung wird auf uns abgeschoben“

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Greenwashing – das Bemühen von Konzernen, ihr schmutziges Kerngeschäft hinter schönen Öko- und Sozialversprechen zu verstecken, boomt. Die Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann erklärt, was hinter den grünen Lügen steckt, wieso sie so erfolgreich sind – und was wir Verbraucherinnen und Verbraucher tun können. 

Kathrin Hartmann ist Journalistin und Buchautorin in München. Zuletzt erschien "Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell" (Blessing), das Buch zum Film "Die grüne Lüge" des österreichischen Regisseurs Werner Boote ("Plastic Planet").

foodwatch: Frau Hartmann, was sind die drei größten „Grünen Lügen“ im Supermarkt?

Kathrin Hartmann: Auf Platz eins stehen Lebensmittel mit „nachhaltigem“ Palmöl. Die Wahrheit: eine nachhaltige Produktion von Palmöl, vor allem in den riesigen Mengen, wie es derzeit angebaut und hergestellt wird, ist unmöglich. Stattdessen zerstört der Palmöl-Anbau  Regenwald-Flächen und die Lebensgrundlage indigener Bevölkerungen – auch wenn die gleichen Unternehmen, die es anbauen oder importieren, etwa Unilever, sich damit brüsten, am Runden Tisch für Nachhaltiges Palmöl zu sitzen. Nummer zwei: Aquakulturen, die angeblich die Überfischung der Weltmeere verhindern. Doch Aquakulturen zerstören Mangrovenwälder sowie landwirtschaftliche Flächen und damit die Lebensgrundlage von Bäuerinnen und Bauern. Ein Drittel  der weltweit gefangenen Seefische werden zu Fischmehl verarbeitet, das wiederum an Fische und Garnelen in Aquakulturen verfüttert wird. Die Überfischung wird also nicht verhindert, sondern eher befördert. Auch ein Siegel wie das MSC-Siegel konnte an der die Überfischung bislang absolut nicht aufhalten. Es gibt ja sogar das MSC-Siegel für bedrohte Fischarten. Eine dritte grüne Lüge ist nachhaltige Schokolade: Es gibt zwar viele Siegel, aber die Situation für Kakaobauern in Westafrika, von wo ja der Großteil des Kakaos für unsere Schokolade herkommt, hat sich kaum verbessert. 

Also aufklären? Damit die Menschen die richtige Wahl treffen – und am Ende nur noch „gute“ Produkte im Regal stehen?

Ein so konzertiertes Kaufverhalten hat es noch nie gegeben. Der Markt funktioniert außerdem nicht so schlicht, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt. Als ich groß geworden bin, war es total verpönt, Plastikverpackungen und Alu-Papier  zu kaufen. Und wo stehen wir heute? Bei Nespresso-Kapseln aus Alu und einem nie da gewesenen Plastikverpackungs-Irrsinn. Warum haben wir überhaupt die Wahl zwischen einem Ausbeuter-Kaffee und einem Fairtrade-Kaffee? Warum müssen wir Umwelt- und Ernährungsexperte sein, um einkaufen zu gehen? Die Verantwortung wird auf uns abgeschoben. Dabei sollten wir uns darauf verlassen können, dass alle Produkte ökologisch und sozial gerecht hergestellt wurden.  

Gibt es wirklich kein Siegel, auf das wir uns verlassen können?

Siegel geben uns nur kurzfristig ein gutes Gewissen. Wenn man wirklich davon ausgeht, dass die Industrie mit nachhaltigen Produkten Profit machen kann – warum produziert sie denn nicht ausschließlich nachhaltig? Warum gibt es überhaupt diesen Siegelzirkus? Warum ist das Besondere nicht die Regel? 

Das heißt die Politik muss einschreiten?

Bisher setzt die Bundesregierung nur auf freiwillige Vereinbarungen. Statt die Konzerne in die Pflicht zu nehmen, unterstützt und entwickelt sie Siegel und zeigt mit dem Finger auf die Verbraucherinnen und Verbraucher. So macht es Entwicklungsminister Müller mit seinem „Grünen Knopf“ für angeblich faire Kleidung und so macht es Ernährungsministerin Klöckner mit dem geplanten „Tierwohl-Label“ für vermeintlich tierfreundliches Fleisch. 

Können wir Verbraucherinnen und Verbraucher also gar nichts bewirken?

Es passiert nichts von selbst! Wir müssen für Veränderungen kämpfen statt einzig im Supermarkt zu den vermeintlich „richtigen“ Produkten zu greifen: Etwa wenn wir uns in Bündnissen engagieren. Oder wenn wir gegen Freihandelsabkommen oder Mega-Konzernfusionen mobilisieren. Oder wenn wir lautstark dafür eintreten, dass die Bundesregierung endlich die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzt und damit Korruption und Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten eindämmt.