Nachricht 05.09.2022

Der Nutri-Score wird „gerechter“

Ungünstige Nährstoffe wertet der Nutri-Score künftig strenger. Dadurch werden Fertiglebensmittel, Tiefkühlpizzen oder Backwaren eine schlechtere Bewertung bekommen. Der Maßstab für den Zuckergehalt bleibt aber zu lasch.

Der Nutri-Score bewertet Produkte je nach ihrem Gehalt an Nährstoffen wie Fett, Zucker, Salz oder Ballaststoffen mit den Ampelfarben und den Buchstaben A (gut) bis E (ungünstig). Obwohl die Kennzeichnung - leider - noch nicht verpflichtend ist, findet man sie schon auf einigen Produkten im Supermarkt. Nun haben Wissenschaftler:innen Empfehlungen vorgelegt, um die Bewertung noch  schlüssiger zu machen. 

Beschlossen wurden folgende Anpassungen

  • Eine strengere Bewertung von Lebensmitteln mit hohem Zucker- und Salzgehalt;
  • Eine bessere Bewertung für (fetten) Fisch, solange keine anderen Nährstoffe wie Öl oder Salz zugesetzt sind;
  • Pflanzliche Öle werden künftig um eine Klasse besser bewertet. Öle mit einem geringen Gehalt an gesättigten Fettsäuren (Raps-, Walnuss-, ölsäurehaltiges Sonnenblumenöl) können so die Klasse B erreichen, ebenso wie Olivenöl. Sonnenblumenöl wird in die Kategorie C eingestuft;
  • Eine bessere Unterscheidung von Nüssen und Samen je nach Salz- oder Zuckerzusatz: Nüsse und Samen ohne Zusatz werden künftig meist in die Kategorie A oder B eingestuft, während gesalzene und/oder gesüßte Versionen im Durchschnitt in die Kategorie C oder sogar D fallen;
  • Eine bessere Unterscheidung zwischen Vollkornprodukten, die von Natur aus reich an Ballaststoffen sind, und verarbeiteten Lebensmitteln mit relativ wenig Ballaststoffen (Vollkornbrot vs. Weißbrot).

Durch diese Anpassungen werden Lebensmittel wie Tiefkühlpizza, Frühstückscerealien, süße Backwaren oder Fertiggerichte seltener eine grüne Bewertung bekommen. Wann wir die angepasste Kennzeichnung im Supermarkt finden werden, ist aber noch unklar - erst einmal steht noch die Überarbeitung weiterer Kategorien an (Getränke, angekündigt für Ende 2022; Obst, Gemüse und Nüsse, angekündigt für 2023) . 

Zucker muss dringend strenger bewertet werden. Denn laut EFSA ist es nicht möglich, eine sichere Aufnahmemenge für Zucker zu definieren.
Sarah Häuser foodwatch Deutschland

Referenzwert für Zucker ist zu hoch 

Der neue Algorithmus bewertet Zucker zwar strenger. Doch der Referenzwert von 90 Gramm ist immer noch deutlich zu hoch. Ein im Februar 2022 veröffentlichter Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zeigt, dass selbst kleine Mengen Zucker gesundheitsschädlich sein können. Daher sollte die Zucker-Aufnahme so gering wie möglich sein. Das Risiko zahlreicher Gesundheitsprobleme wie Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen steige mit zunehmendem Zuckerkonsum, so die EFSA.

Woher kommt der hohe Zucker-Referenzwert? 

„Freie Zucker“ sind raffinierte Zucker, die Lebensmitteln und Getränken zugesetzt werden, sowie Zucker, der von Natur aus in Honig und Sirup sowie in Obst- und Gemüsesäften und -konzentraten enthalten ist. „Gesamtzucker“ ist der gesamte in der Ernährung enthaltene Zucker, einschließlich des natürlichen Zuckers in Obst, Gemüse und Milch.

Die großzügige Bewertung von Zucker im Nutri-Score geht auf eine Europäische Verordnung zurück, die einen Referenzwert für Gesamtzucker von 90 Gramm pro Erwachsenem und Tag vorsieht (die Lebensmittel-Informationsverordnung, LMIV). Im Gegensatz dazu empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), maximal 10 Prozent der täglichen Kalorienzufuhr in Form von freiem Zucker aufzunehmen. Dies entspricht - je nach Land, Alter, Geschlecht und Ernährungsrichtlinien für die tägliche Kalorienzufuhr - etwa 50 Gramm Zucker maximal pro Tag.

Das Problem nach Ansicht des Wissenschaftlichen Ausschusses: Die Verordnung stellt den einzigen verfügbaren, international anerkannten Referenzwert für Gesamtzucker dar. Der Nutri-Score basiert auf den verpflichtenden Nährwertangaben auf der Packungsrückseite, die - neben anderen Nährstoffen - nur über den Gehalt an Gesamtzucker Auskunft geben. Der Nutri-Score in seiner aktuellen Version ist daher nicht in der Lage, freien, zugesetzten oder natürlich vorkommendem Zucker unterschiedlich zu bewerten.  

Der Wissenschaftliche Ausschuss betont in seinem Bericht: „Der Wissenschaftliche Beirat erkennt an, dass die Aufnahme von freiem oder zugesetztem Zucker anstelle des Gesamtzuckers in den Algorithmus aus wissenschaftlicher Sicht durchaus relevant wäre, ist jedoch der Ansicht, dass zunächst eine Änderung der Lebensmittelinformations-Verordnung erforderlich ist.“ Die Wissenschaftler rufen also letztlich dazu auf, die EU-Gesetzgebung zu ändern. foodwatch fordert die Europäische Kommission und das Europäische Parlament auf, diese Gesetzgebung dringend zu ändern. 

Nutri-Score muss verpflichtend werden

Der Nutri-Score ist das verbraucherfreundlichste Modell zur Nährwertkennzeichnung. Die Kennzeichnung mit den Ampelfarben ermutigt die Menschen nachweislich, gesündere Produkte zu wählen. Aber der Nutri-Score kann nur  richtig wirken, wenn wirklich alle Produkte ihn tragen und dadurch auf einen Blick vergleichbar sind. 

Die Europäische Kommission wird bis Ende 2022 einen Vorschlag für eine europäische Nährwertkennzeichnung veröffentlichen. foodwatch fordert die Kommission auf, den wissenschaftlich überprüften und nachweislich wirksamen Nutri-Score EU-weit verpflichtend einzuführen.