Newsletter 18.11.2022

Bürgergeld: Zu wenig Geld für gesundes Essen

kuarmungadd von Getty Images

Bei der Debatte ums Bürgergeld ging es in den letzten Wochen hoch her – während SPD und Grüne das Konzept als großen Wurf feierten, tat insbesondere die CDU/CSU so, als gäbe es damit keinen Anreiz mehr zu arbeiten. In unserem Newsletter erklären wir, welche drei wichtigen Fakten in der Debatte jedoch außen vor blieben. Hier der Text für Sie:

Hallo,

Gurken 27 Prozent teurer, Paprika 29 Prozent, Joghurt 25 Prozent - wir alle starren gerade ungläubig auf den Kassenzettel im Supermarkt [1]. Viele gar: verzweifelt. Denn die Inflation verschärft gerade ein Problem, das schon vor der Krise bestand: Insbesondere Menschen in Grundsicherung können sich eine gesunde Ernährung mit viel frischem Obst und Gemüse schlicht nicht leisten – betroffen sind auch deren Kinder.

Wird das Bürgergeld diesen Menschen helfen? Tatsächlich, so sagen Expert:innen, würde die Reform viele Verbesserungen im Umgang mit Arbeitssuchenden bringen. Doch den Regelsatz um lediglich 53 Euro zu erhöhen, das ist keine „Abkehr vom Hartz IV-System“. Auch das Bürgergeld bedeutet weiterhin vor allem eins: staatlich verordnete Ernährungsarmut.

Im Folgenden haben wir Ihnen drei Fakten zusammengestellt, die diese Einschätzung untermauern – die aber in der aktuellen Debatte leider untergehen. Besonders pikant: Die Bundesregierung hat diese teils selbst erarbeiten lassen, ignoriert sie aber.

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1. Gesunde Ernährung ist mit dem Hartz-IV-Regelsatz nachweislich nicht finanzierbar.

Etliche wissenschaftliche Studien haben dies belegt [2]. Und auch der wissenschaftliche Beirat des Bundesernährungsministeriums hat in seinem Gutachten 2020 eindeutig festgestellt: „Die derzeitige Grundsicherung reicht ohne weitere Unterstützungsressourcen nicht aus, um eine gesundheitsförderliche Ernährung zu realisieren.“ In den Empfehlungen des Gutachtens rät der Beirat der Bundesregierung „die Berechnungsmethodik für die Bedarfsermittlung so anzupassen, dass die Grundsicherungsleistungen eine gesundheitsfördernde Ernährung ermöglichen“ [3]. Doch die Regierung ignoriert den Rat ihrer eigenen Expert:innen. Passiert ist bislang: nichts.

2. Die geplante Erhöhung gleicht nicht mal die Preissteigerungen aus.

Seit dem Oktober letzten Jahres sind Lebensmittel im Schnitt 20 Prozent teurer geworden [4]. Wenn der Regelsatz jetzt um 12 Prozent steigt, ist das schön. Aber es gleicht noch nicht einmal die aktuelle Teuerung aus. Die Ernährungsarmut wird sich also auch mit dem Bürgergeld weiter zuspitzen.

3. Ernährungsarmut hat besonders für Kinder und Jugendliche drastische und oft langwierige Folgen.

Preiswerte Lebensmittel sind meist reich an Kalorien, aber arm an wichtigen Nährstoffen, während energiearme und nährstoffreiche Lebensmittel teurer sind [5]. Die Ernährung mit billigen Lebensmitteln führt dazu, dass armutsbetroffene Kinder ein vierfach erhöhtes Risiko haben, an Adipositas zu erkranken. Gleichzeitig fehlt es ihnen oft an wichtigen Mikronährstoffen, was ein verzögertes Längenwachstum sowie kognitive und gesundheitliche Einschränkungen zur Folge haben kann [6]. Ernährungsarmut verringert somit die Chancen dieser Kinder, der Armut im späteren Leben wieder zu entkommen.

Auch mit dem Bürgergeld werden Millionen von Bundesbürger:innen und ihre Kinder also weiterhin nicht in der Lage sein, sich ausgewogen zu ernähren. Dies ist der eigentliche Skandal. Er geht unter, weil die Politiker:innen über Sanktionen und zu hohe Schonvermögen diskutieren. Statt Neid und Missgunst braucht es Solidarität mit den Kindern und den Schwächsten in der Gesellschaft. Gesunde Ernährung muss mit dem Regelsatz des Bürgergeldes bezahlbar sein. Dafür setzen wir uns ein. 

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Bild von Luise Molling

Vielen Dank und herzliche Grüße

Luise Molling, Kampagnen und Recherchen

P.S.: Wussten Sie, dass etwa eine von vier Personen, die ALG II bekommen, arbeitet -  aber so wenig verdient, dass das Gehalt mit Hartz IV aufgestockt wird [7]? Dass vom Regelsatz der Grundsicherung über eine halbe Million Alleinerziehende, fast 2 Millionen Kinder und über eine halbe Million Rentner:innen leben müssen [8]? All diese Menschen haben ein Recht auf gesunde Ernährung!