Hintergrund: Fleisch in Schutzatmossphäre

Innen zäh und ranzig – außen scheinbar frisch

In Sauerstoff-Atmosphäre erhält Fleisch eine hellrote Farbe – über die gesamte Haltbarkeitsdauer hinweg. Was auch nach Tagen noch frisch aussieht, kann qualitativ minderwertig sein. Denn Sauerstoff lässt Muskeleiweiß und Fett oxidieren und bewirkt so, dass das Fleisch schneller zäh und ranzig wird.

In den USA wurde Frischfleisch bereits Mitte der 1970er-Jahre in kontrollierter Atmosphäre verpackt. Seit Anfang der 1980er-Jahre befassten sich Fachhochschulen in Deutschland intensiv mit dem Thema „Modified Atmosphere Package“, kurz MAP. Ziel soll es zunächst gewesen sein, durch eine Schutzatmosphäre die Vermehrung von Milchsäurebakterien im Fleisch einzudämmen. Der große Durchbruch beim Einsatz von Gas-Atmosphären in Frischfleischverpackungen erfolgte in Deutschland 2003/2004 durch den Einstieg der beiden größten Lebensmitteldiscounter, Aldi und Lidl, ins Geschäft mit Frischfleisch in Selbstbedienungstheken.

Gasverpackungen befördern Absatz an Selbstbedienungstheken

Seitdem wird immer mehr Fleisch in Selbstbedientheken „unter Schutzatmosphäre“ verkauft. Viele Tage lang bleibt es damit scheinbar frisch – eine Revolution im Fleischhandel. Die neuen Verpackungen haben den Verkauf von Frischfleisch massiv verändert. Inzwischen wird rund die Hälfte des an die Verbraucher verkauften Frischfleischs in Deutschland über Selbstbedienungstheken abgesetzt – dank der kosmetischen Vorteile, die die Gas-Atmosphäre in den neuen Packungen bietet.

Von den 950.000 Tonnen Frischfleisch, die die Verbraucher im Jahr 2009 in Deutschlands Supermärkten, Fleischereifachgeschäften und Wochenmärkten kauften, macht der Absatz über Selbstbedienungs-Kühltheken mit rund 470.000 Tonnen (49,5 Prozent) bereits den größten Anteil aus. Etwa 440.000 Tonnen (46,5 Prozent) Frischfleisch wurden über Bedientheken angeboten, weitere vier Prozent (38.000 Tonnen) tiefgekühlt im Einzelhandel.

Real verzichtet auf Schutzatmosphäre-Packungen

Wie viel der jährlich rund 470.000 Tonnen Fleisch im Selbstbedienungs-Kühlregal unter Schutzatmosphäre verpackt wird, lässt sich nicht genau bestimmen. Von den großen Lebensmittelketten bieten nach foodwatch-Recherchen lediglich die zum Metro-Konzern gehörenden Real-Märkte Frischfleisch nicht „unter Schutzatmosphäre“ an, sondern in Packungen, die mit Stretchfolie überzogen werden. Aldi und Lidl dagegen setzten konsequent auf die Gas-Verpackungen. Der Anteil aller Discounter ingesamt am Frischfleischmarkt betrug 2009 nach Angaben der Agrarmarkt Informations-GmbH bereits 28 Prozent, was einer Menge von 266.000 Tonnen entspricht.

Stickstoff oder Sauerstoff?

Als „Schutzatmosphäre" in Frage kommen Gasgemische aus Kohlendioxid und Stickstoff oder Kohlendioxid und Sauerstoff. Kohlendioxid-Konzentrationen ab etwa 20 Prozent sorgen für eine Unterdrückung der aeroben Verderbnisflora, was etwa bei Schweinefleisch eine Verlängerung des Mindesthaltbarkeitsdatums auf bis zu zwölf Tage zur Folge hat. Aus mikrobiologischer Sicht ist es irrelevant, ob ein Stickstoff- oder Sauerstoff-Gemisch zum Einsatz kommt. Beide können die Bakterienbildung unterdrücken, auch bei den Kosten gibt es keine nennenswerten Unterschiede.

Der Einsatz von hochkonzentriertem Sauerstoff hat jedoch im Gegensatz zu Stickstoff einen für den Einzelhandel bedeutenden Vorteil. Denn ist nach dem Schlachten eines Tieres die Blutversorgung gestoppt, färbt sich Fleisch natürlicherweise zunehmend grau-braun. Hochkonzentrierter Sauerstoff jedoch färbt es anhaltend hellrot, so dass es auch nach Tagen für die Kunden noch „schlachtfrisch“ aussieht. Von diesem kosmetischen Effekt profitieren Fleischindustrie und Handel, die ihre Produkte leichter und länger verkaufen können.

Oxidation von Myoglobin, aber auch von Fett und Eiweiß

Die Rot-Färbung des Fleisches in Sauerstoff resultiert aus der Oxidation des Muskelfarbstoffs Myoglobin zum kirschroten Oximyoglobin. „Schutzatmosphären“ enthalten bis zu 80 Prozent Sauerstoff. Zum Vergleich: In normaler Atemluft beträgt der Anteil nur etwa 21 Prozent. Neben dem kosmetischen hat eine hochgradig mit Sauerstoff angereicherte Atmosphäre jedoch weitere Effekte – für den Verbraucher nachteilige. Denn das „aufgehübschte“ Fleisch kann sich in Geschmack und Sensorik signifikant verschlechtern. Nicht ohne Grund schreibt der Gashersteller Air Liquide in einem Fachartikel über Sauerstoff: „Normalerweise ist das Gas in Lebensmittelpackungen unerwünscht.“

Denn nicht nur Myoglobin, sondern auch Muskeleiweiß und Fette oxidieren in der „Schutz“-Atmosphäre. Unter Sauerstoffeinfluss kommt es zu einer verstärkten Vernetzung der Proteine untereinander, die Fähigkeit zur Wasserbindung sinkt. Die Folge ist eine höhere Festigkeit des Fleisches, welches dann beim Verzehr als zäh erlebt wird. Durch die Fett-Oxidation kommt es außerdem zu einem Alt- oder Aufwärmgeschmack des zubereiteten Fleisches, was als ranzig wahrgenommen werden kann.

Außen rot, innen braun

Während das Fleisch von außen frisch-rot aussieht, findet an den Stellen, die keinen Kontakt zur Sauerstoff-Atmosphäre haben, der ganz normale Alterungsprozess statt. Innen verfärbt sich das Fleisch also braun-grau. Das staatliche Max-Rubner-Institut sieht darin ein Problem, weil die Verbraucher nicht mehr an der Färbung erkennen können, ob Fleisch durchgebraten ist – was gerade bei Hackfleisch zur Abtötung von Keimen dringend empfohlen wird: „Verbraucher benutzen bei der Zubereitung im Allgemeinen kein Thermometer, sondern gehen davon aus, dass die Braunfärbung im Inneren des Fleisches ein Indikator für eine ausreichende keimtötende Erhitzung ist. Beim Erhitzen von Rindfleisch kann es jedoch zur sogenannten frühzeitigen Bräunung kommen. Dabei tritt bereits bei niedrigeren Temperaturen, als sie für einen Pasteurisationseffekt notwendig sind, eine Denaturierung (Braunfärbung) des Myoglobins auf. Dies führt zur fälschlichen Annahme, dass eine thermische Keimabtötung stattgefunden hat.“

Gesundheitliche Risiken durch Sauerstoff-Atmosphäre?

Das Max-Rubner-Institut berichtet zudem über die Bildung von Cholesteroloxiden in der Sauerstoff-Atmosphäre. Diese seien „keine harmlosen Abbauprodukte“, sondern „anerkannt toxische Substanzen mit diversen biologischen Wirkungen, speziell auch im Zusammenhang mit degenerativen Erkrankungsgeschehen, wie Arterioskerose oder auch Krebs“. Ein Wissenschaftler des Max-Rubner-Instituts schrieb daher in der Branchenzeitschrift „Fleischwirtschaft“ (Heft 6/2009): „Allein schon aus Haftungsgründen ist es sehr riskant, Lebensmittel, die solche Stoffe enthalten in den Handel zu bringen oder Behandlungsverfahren anzuwenden, durch welche diese Stoffe in Lebensmitteln gebildet oder angereichert werden.“

Verwendung von Sauerstoff für Kunden nicht erkennbar

Trotz der bekannten Nachteile und Risiken haben Verbraucher keine Möglichkeit, die Verwendung von Sauerstoffatmosphäre zu erkennen. Sauerstoff (E 948) ist als Zusatzstoff EU-weit zugelassen. Allerdings muss er nicht auf der Fleischverpackung aufgeführt werden. Gesetzlich vorgeschrieben ist nur der Hinweis „unter Schutzatmosphäre verpackt“ – unabhängig davon, welches Gasgemisch verwendet wurde.

Das EU-Recht sieht es als hinreichende Voraussetzung für den Einsatz von Gasgemischen als „Schutzatmosphäre“ an, dass sie eine längere Haltbarkeit des Fleischproduktes erreichen (was im Falle eines Sauerstoff/Kohlendioxid-Gemisches allein das Kohlendioxid bewirkt). Der europäische Gesetzgeber hat es jedoch offen gelassen, wie die Gasgemische zusammengesetzt sein sollen. Damit besteht nationale Regelungskompetenz. Die Bundesregierung kann, ohne gegen EU-Recht zu verstoßen, einzelne Gase oder Gasgemische verbieten.