foodwatch-Report: Radioaktivitäts-Grenzwerte in der EU und Japan zu lasch

Zu lasche Radioaktivitäts-Grenzwerte in EU und Japan

Die Strahlen-Grenzwerte für Lebensmittel in der EU und in Japan sind viel zu hoch, sie bieten keinen ausreichenden Gesundheitsschutz. Belastete Lebensmittel dürfen eingeführt und verkauft werden, obwohl genügend unbelastete Nahrungsmittel verfügbar sind.

„Sichere“ Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Lebensmitteln gibt es nicht. Jede noch so geringe radioaktive Strahlung bedeutet ein gesundheitliches Risiko, weil sie ausreicht, schwere Erkrankungen wie Krebs auszulösen. Damit ist jede Grenzwertfestsetzung eine Entscheidung über die Zahl von Todesfällen, die toleriert wird. Die derzeitigen Strahlengrenzwerte sind nach Auffassung von foodwatch und der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) viel zu hoch – beide Organisationen fordern eine drastische Absenkung.

foodwatch und IPPNW haben keine Hinweise darauf, dass hochbelastete Produkte aus Japan aktuell in Europa im Handel sind. Umso mehr stellt sich die Frage, weshalb die EU so großzügige Grenzwerte erlässt.

Theoretisch 150.000 Tote jährlich in Deutschland akzeptiert

Nach den Berechnungsgrundlagen der Internationalen Strahlenschutzkommission akzeptiert die EU mit ihren aktuellen Grenzwerten alleine für Deutschland eine Zahl von mindestens 150.000 zusätzliche Todesfällen pro Jahr durch Krebs in Folge der Strahlenbelastung von Lebensmitteln – dies gilt unter der theoretischen Annahme, dass die Bevölkerung sich ausschließlich von Produkten ernährt, die in Höhe der Grenzwerte belastet sind. Würden diese Grenzwerte lediglich zu fünf Prozent ausgeschöpft, bedeutete dies immer noch jährlich mindestens 7.700 zusätzliche Todesfälle in Deutschland.

Thilo Bode, foodwatch: „Die in EU und Japan geltenden Grenzwerte sind unzumutbar hoch, sie folgen wirtschaftlichen Interessen und setzen die Bevölkerungen unnötig massiven gesundheitlichen Risiken aus. Aus den europäischen Grundrechten, in denen das Vorsorgeprinzip und das Recht auf körperliche Unversehrtheit verankert sind, erwächst eine Handlungsverpflichtung für die europäische Politik: Sie muss die Grenzwerte drastisch senken, um ein angemessenes Schutzniveau für die Bürger zu gewährleisten."

Kinderarzt Dr. med. Winfrid Eisenberg (IPPNW): „Radioaktivität beeinträchtigt lebende Zellen. Selbst kleinste Strahlendosen können die Erbinformation verändern, das Immunsystem schädigen, Krebs auslösen – das gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche. Je jünger ein Kind, desto schneller wächst es, desto mehr Zellteilungen finden statt, desto größer ist die Gefahr von Strahlenschäden. Ein Embryo ist um ein Vielfaches strahlensensibler als jeder andere Mensch. Die EU-Strahlenschutzgrenzwerte sind aus ärztlicher Sicht nicht verantwortbar."

EU-Grenzwerte höher als in Tschernobyl-Regionen

Die aktuellen EU-Grenzwerte liegen zwischen 200 und 600 Becquerel Cäsium pro Kilogramm. Sie stehen im krassen Widerspruch zum Maßstab geltenden deutschen Rechts: Die deutsche Strahlenschutzverordnung lässt für den Normalbetrieb von Kernkraftwerken eine Gesamtbelastung für Einzelpersonen mit einer effektiven Jahresdosis von 1 Millisievert zu. Die EU-weiten Strahlen-Grenzwerte für Lebensmittel tolerieren dagegen eine Jahresdosis von mindestens 33 Millisievert bei Erwachsenen und 68 Millisievert bei Kindern und Jugendlichen. Selbst in den von Tschernobyl betroffenen Staaten Weißrussland und Ukraine gelten strengere Höchstgrenzen als in der Europäischen Union – folglich können Lebensmittel, die dort aufgrund der Strahlenbelastung nicht mehr gehandelt werden dürfen, legal in der EU vermarktet werden.

foodwatch und IPPNW fodern drastische Grenzwert-Senkung

Da ausreichend Lebensmittel mit erheblich geringerer radioaktiver Belastung verfügbar sind, besteht keine Notwendigkeit, den Menschen so hochbelastete Produkte zuzumuten. foodwatch und IPPNW fordern daher eine drastische Absenkung der Grenzwerte:

  • Von bisher 370 (für Japan-Importe derzeit 200) auf 8 Becquerel Cäsium pro Kilogramm für Säuglingsnahrung und Milchprodukte sowie
  • von 600 (für Japan-Importe derzeit 500) auf 16 Becquerel Cäsium pro Kilogramm für alle anderen Nahrungsmittel.

Diese Grenzwerte werden der Maßgabe der deutschen Strahlenschutzverordnung gerecht, nach der aus jedem Expositionspfad (d.h. für die Ableitung radioaktiver Stoffe aus Kraftwerken mit Luft oder Wasser) eine maximale jährliche Strahlendosis von 0,3 Millisievert resultieren darf (eine Nuklidzusammensetzung wie nach dem Fallout von Fukushima vorausgesetzt). Die Forderung erfolgt in dem Wissen, dass jede – also auch eine so niedrige – Grenzwertfestsetzung mit Strahlenopfern verbunden ist. Dies muss Anlass genug sein, den Weiterbetrieb und Neubau von Atomanlagen grundsätzlich in Frage zu stellen.

Null-Toleranz für Jod-131

foodwatch und die Deutsche Sektion der IPPNW legen auch der japanischen Regierung nahe, die Lebensmittel-Grenzwerte für die langlebigen Cäsium-Isotope erheblich zu senken. Für die Belastung mit Jod-131 fordern beide Organisationen Null-Toleranz: Wegen der relativ kurzen Halbwertszeit müssen und dürfen den Menschen keine mit Jod-131 belasteten Produkte zugemutet werden. Viele Nahrungsmittel können bis zum Zerfall der Isotope – ggf. tiefgefroren – gelagert werden und sind anschließend wieder für den Verzehr geeignet.

Grenzwerte brauchen parlamentarische Kontrolle

Zudem soll künftig nur noch ein Grenzwertregime gelten, für den Normal- und für den Katastrophenfall gleichermaßen. Heute kann die Europäische Kommission nach einem Atom-Unglück mit Hilfe der so genannten Tschernobyl-„Schubladenverordnung“ – wie nach Fukushima zunächst geschehen – ohne jede parlamentarische Kontrolle höhere, also weniger strenge Grenzwerte in Kraft setzen.