Pressemitteilung 28.06.2005

Nitrofen-Skandal: Biobauern und Andechser Molkerei klagen auf 250.000 Euro Schadensersatz. foodwatch fordert Verbesserung der Haftungsregelungen. Um die Gesundheit der Verbraucher zu schützen und öffentliche Kosten zu sparen.

Vom Nitrofenskandal geschädigte Biolandwirte und die Molkerei Andechs verlangen jetzt 250.000 Euro Schadensersatz. Dafür verklagen sie die Firma "Norddeutsche Saat- und Pflanzengut AG (NSP)" beim Landgericht Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Vor drei Jahren hatte der Fund des verbotenen Pflanzenschutzmittels Nitrofen in Geflügelfleisch einen der größten Lebensmittelskandale in der Geschichte der Bundesrepublik ausgelöst.

Die zivilrechtliche Klage reicht der Freiburger Rechtsanwalt Hanspeter Schmidt im Namen der betroffenen Biowirtschaft ein. Er führt an, dass die mit Nitrofen kontaminierten Futtermittel in Umlauf kommen konnten, weil die Firma NSP das Futtergetreide widerrechtlich in einer Halle im mecklenburgischen Malchin eingelagert hatte. Diese hatte zu DDR-Zeiten als Lager für Pflanzenschutzmittel gedient und war hochgradig mit dem verbotenen Pestizid Nitrofen belastet. Die Kläger hätten wegen der unwissentlichen Verwendung von nitrofenhaltigen Futtermitteln ihre Produkte wie Fleisch und Milch nicht mehr als Bioqualität absetzen können. Einkommensverluste seien die Folge gewesen.

Barbara Scheitz, Geschäftsführerin der Molkerei Scheitz aus Andechs: "Über die Verteilung nitrofenverseuchter Futtermittel in der Landwirtschaft sind damals auch die Biomilchbauern völlig zu Unrecht in Verdacht geraten, dass die Milch aus ihren Betrieben nitrofenverseucht sei. Aufgrund verunsicherter Verbraucher brach damals der Absatz der Andechser Molkerei dramatisch ein. Zusätzlicher Schaden entstand, weil wir daraufhin mit großem Aufwand Kunden und Handelspartnern erklären und beweisen mussten, dass die bei uns verarbeitete Milch vom Nitrofenskandal überhaupt nicht betroffen war!"

Vor einem Jahr wurden die strafrechtlichen Ermittlungen im Nitrofenskandal eingestellt. Die zuständige Staatsanwaltschaft Neubrandenburg gab an, weder eine konkrete Gesundheitsgefährdung von Verbrauchern noch Vorsätzlichkeit nachweisen zu können. Allerdings lägen Anhaltspunkte für fahrlässiges Verhalten vor. Im Widerspruch zu diesem Einstellungsbeschluss steht ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten, das foodwatch im April letzten Jahres öffentlicht gemacht hat. Darin heißt es unter anderem, dass der Verzehr eines nitrofenbelasteten Putenschnitzels oder mehrerer belasteter Hühnereier durch eine Schwangere ausgereicht haben könnte, um schwere Missbildungen beim Fötus hervorzurufen.

"Die geltenden straf- und zivilrechtlichen Bestimmungen laden zu fahrlässigem Umgang mit kontaminierten Futtermitteln geradezu ein", kritisiert Matthias Wolfschmidt von foodwatch. Die Futtermittelwirtschaft müsse mittels verschärfter Haftungsregelungen dazu gezwungen werden, jede vermeidbare Gesundheitsgefährdung auszuschließen. Dies habe foodwatch in dem jüngst veröffentlichten Futtermittel-Report "Lug- und Trog" an vielen Beispielen aufgezeigt. Die Bundesregierung habe seit dem Nitrofenskandal nichts unternommen, um die Zustände grundlegend zu ändern. "Nitrofen kann jeden Tag wieder passieren", so Wolfschmidt, studierter Veterinärmediziner und bei foodwatch verantwortlich für Kampagnen.

Die "Norddeutsche Saat- und Pflanzgut AG" (NSP) war Mieterin einer Lagerhalle in Malchin in Mecklenburg-Vorpommern, die zu DDR-Zeiten als Lager für Pflanzenschutzmittel diente. Mindestens 1.000 Tonnen Biogetreide wurden im Sommer 2001 in der Halle eingelagert und später an Mischfutterhersteller und Geflügelbetriebe ausgeliefert. Anfang 2002 fand das Labor des Babynahrungs-Herstellers "Hipp" in Fleischproben Nitrofenwerte, die bis zum 600-fachen über dem erlaubten Grenzwert lagen. Der Nitrofenskandal schädigte Dutzende von Biobetrieben, deren Erzeugnisse betroffen waren. Die Biobranche insgesamt erlitt einen beträchtlichen Vertrauensverlust. Das Pestizid Nitrofen wurde ursprünglich in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt, war jedoch wegen seiner krebserregender Wirkung bereits Mitte der 80er Jahre in den USA verboten und durfte auch in Deutschland nicht mehr verwendet werden.