Pressemitteilung 02.07.2020

Berlin: Kein einziger Fall von schweren Hygiene-Mängeln in Restaurants, Bäckereien & Co. im Internet abrufbar

foodwatch: Berliner Bezirke verhöhnen Bürgerrechte

  • Nicht nur bei Bürger-Anfragen über Plattform „Topf Secret“ mauern Berliner Behörden
  • Auch aktive Informationspflichten setzen die Ämter vollkommen unzureichend um
  • foodwatch: Meldungen zu schweren Hygiene-Mängeln müssen online publiziert werden

Die Verbraucherorganisation foodwatch hat die Berliner Bezirke wegen mangelnder Transparenz bei der Lebensmittelüberwachung kritisiert. Laut einer Abfrage durch die Verbraucherorganisation publiziert kein einziger der zwölf Bezirke schwere Hygienemängel bei Lebensmittelbetrieben im Internet. Ein Großteil der Bezirke gab gegenüber foodwatch an, die Informationen stattdessen in den Dienstgebäuden oder den Rathäusern auszuhängen. foodwatch bezeichnete diese Praxis als absurd: Wenn ein Bäcker, Supermarkt oder Restaurant wegen Kakerlaken-Befall oder anderer Missstände auffalle, dürfe die Information darüber nicht nur im Gang eines Dienstgebäudes hängen. 

„Die Berliner Behörden verhöhnen die Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Wer geht schon vorm Brötchenkauf aufs Amt und sucht nach einem Schaukasten, um sich über mögliche Hygiene-Mängel zu informieren? Das ist lebensfern!“, kritisierte Oliver Huizinga, Leiter Recherche und Kampagnen bei foodwatch. „Die Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeister müssen ihre Läden in den Griff bekommen. Wir schreiben das Jahr 2020 – das Internet ist die mit Abstand wichtigste Informationsquelle – Aushänge im Dienstgebäude sind in diesen Zeiten keine geeignete ‚Information der Öffentlichkeit‘!“

Gemäß § 40 Abs. 1a des Lebensmittel und Futtergesetzbuchs (LFGB) müssen die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Bezirke bei schweren Hygienemängeln oder Grenzwertverstößen „unverzüglich“ die „Öffentlichkeit“ informieren und dabei den Namen des Betriebs nennen. Diese aktiven Informationspflichten sind nicht zu verwechseln mit Auskunftspflichten auf Nachfrage: Bürgerinnen und Bürger können auf Grundlage des Verbraucherinformationsgesetzes über die Online-Plattform „Topf Secret“ auch solche Kontroll-Ergebnisse abfragen, welche nicht von den Behörden aktiv veröffentlicht werden müssen.  

foodwatch hatte eine Abfrage unter den Berliner Bezirken gemacht, auf welche Weise sie den Meldepflichten über schwere Hygienemängel nachkommen. In Steglitz-Zehlendorf, Lichtenberg oder auch Treptow-Köpenick finden sich die Informationen für die „Öffentlichkeit“ lediglich als Aushang im „Fachbereich“ der Lebensmittelüberwachung, in Neukölln im Erdgeschoss des Ordnungsamts, in Spandau im Rathaus, in Marzahn-Hellersdorf „im Eingangsbereich des Dienstgebäudes“. Mehrere Bezirke, darunter Friedrichshain-Kreuzberg und Treptow-Köpenick, gaben als Begründung für den Aushang an, dass die „Art der Veröffentlichung“ rechtlich nicht vorgeschrieben sei. Reinickendorf und Mitte kündigten an, die Informationen künftig im Internet veröffentlichen zu wollen. In Reinickendorf arbeite man aber noch am „Format“ – und das, obwohl die Pflicht zur Veröffentlichung spätestens seit 30. April 2019 zweifelsfrei besteht. 

Der Vollzug der Norm war zeitweise bundesweit aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel ausgesetzt. Im März 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht jedoch entschieden, dass die Regelung „grundsätzlich verfassungsgemäß“ ist. Lediglich das Fehlen einer einheitlichen Löschfrist hatte das Gericht moniert und dem Gesetzgeber hierfür eine Frist bis April 2019 gesetzt. Seit 30. April 2019 ist die um eine Löschfrist ergänzte, neue Fassung des LFGB in Kraft getreten. Spätestens seit diesem Tag müssen die für Lebensmittelüberwachung zuständigen Behörden schwere Hygiene-Mängel und Grenzwertverstöße wieder vermelden. 

Laut foodwatch habe die Geheimniskrämerei in der Lebensmittelüberwachung in Berlin offenbar System. „Nicht nur bei der Umsetzung der Meldepflichten über Hygienemängel ist Berlin ein Entwicklungs-Bundesland, auch auf Nachfragen von Bürgerinnen und Bürgern mauern die meisten Bezirke – das kann so nicht weitergehen.“, kritisierte Oliver Huizinga. Das habe der Umgang der Bezirke mit Anfragen über die Verbraucher-Plattform „Topf Secret“ gezeigt, welche foodwatch 2019 zusammen mit der Transparenzinitiative FragDenStaat ins Leben gerufen hatte. Das Online-Portal fußt auf dem Verbraucherinformationsgesetz und sieht – für eine Nachfrage von Verbraucherinnen und Verbrauchern – umfassende Auskunftspflichten für Behörden vor. Der Großteil der Berliner Bezirke lehnt jedoch entweder ab oder weigert sich, über die Anfragen zu entscheiden. Das Verbraucherinformationsgesetz und die Regelungen zu Meldepflichten bei schweren Hygienemängeln im LFGB, sollen sich gegenseitig ergänzen – und die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzen, informierte Kaufentscheidungen zu treffen. „Dieser Anspruch ist in Berlin jedenfalls krachend gescheitert, so viel ist klar“, so Huizinga.