Test: Immer noch mehr Acrylamid in Weihnachtsgebäck als nötig – foodwatch fordert: Gute Herstellungspraxis muss Maßstab werden
Eine Reihe von Lebkuchen und Spekulatius sind wieder mit wesentlich mehr Acrylamid belastet als nötig. Die krebsverdächtige Substanz entsteht beim Backen und Braten und lässt sich durch gute Herstellungspraxis stark verringern. „Der Test zeigt, dass sich einige Hersteller für einen niedrigen Wert des Gefahrenstoffs einsetzen“, stellte Matthias Wolfschmidt, Kampagnenleiter der Verbraucherrechtsorganisation foodwatch, fest. „Diese Hersteller werden dafür jedoch im Markt nicht belohnt, weil der Verbraucher nicht erkennen kann, welche Produkte wenig Acrylamid enthalten.“ foodwatch fordert Bundesernährungsminister Horst Seehofer auf, eine Produktkennzeichnung für Acrylamid vorzuschreiben. Sie würde zu einem Wettbewerb um die niedrigste Belastung und zu besseren, gesünderen Produkten führen.
Insgesamt hat foodwatch elf Lebkuchen, fünf Butter-Spekulatius und zwei Gewürz-Spekulatius auf den Gehalt an Acrylamid in einem staatlich akkreditierten Labor untersuchen lassen. Dabei enthielten die Lebkuchen „Echte Pulsnitzer Delikatess Lebkuchen Neue Rezeptur“ des Herstellers Frenzel mit 470 Mikrogramm pro Kilogramm mehr als 20 Mal so viel Acrylamid wie der Testsieger „Weissella Feine weiche Oblaten-Lebkuchen“ mit 21 Mikrogramm pro Kilogramm. Verlierer bei den Butter-Spekulatius war „Feinster Spekulatius Butter“ des Herstellers Bahlsen (180 Mikrogramm/kg), bei den Gewürz-Spekulatius „Fin Carré Gewürz-Spekulatius“ von Lidl (340 Mikrogramm/kg). Vier der sieben Spekulatius-Produkte wiesen wesentlich höhere Acrylamid-Gehalte auf als vor einem Jahr.
Während Lebkuchen-Hersteller mit guter Herstellungspraxis Backwerk mit weniger als 50 Mikrogramm/kg anbieten können, liegt der Signalwert des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit seit fünf Jahren unverändert bei 1000 Mikrogramm/kg. Mit dem Signalwert sollen Hersteller dazu bewegt werden, die Acrylamid-Belastung zu senken. Wolfschmidt: „Das hat sich längst als untaugliches Mittel herausgestellt, weil sich der Signalwert an den höchsten Belastungen orientiert.“ Statt dessen müsse Seehofer die beste Praxis als Richtschnur festlegen.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll die Tagesdosis ein Mikrogramm Acrylamid pro Kilogramm Körpergewicht nicht überschreiten. Demnach darf ein 20 Kilogramm schweres Kind nicht mehr als eineinhalb Lebkuchen der getesteten Sorte „Echte Pulsnitzer Delikatess Lebkuchen Neue Rezeptur“ täglich essen und dürfte außerdem kein anderes Röstprodukt wie Toast oder Pommes Frites zu sich nehmen, in denen ebenfalls Acrylamid enthalten ist.
Redaktionelle Hinweise
Die vollständigen Acrylamid-Testergebnisse von foodwatch mit Produktfotos und Vergleichszahlen der Testreihen vergangener Jahre finden Sie in dem PDF-Dokument "Testergebnisse Acrylamid" unter "Dokumente & Links", ebenso freigestellte Fotos der einzelnen Produkte.
Statements und O-Töne in Radioqualität zur kostenlosen Verwendung können Sie ebenfalls unter "Dokumente & Links" herunterladen. Die Verwendung ist honorarfrei. Bitte informieren Sie foodwatch, wenn Sie O-Töne verwenden - am besten per E-Mail an presse@foodwatch.de. Vielen Dank!
O-Ton 1: Wie sieht das Testergebnis aus? (mp3, 23 sek.)
Matthias Wolfschmidt: "Dieses Jahr Testsieger unter den Lebkuchen ist die Firma Weiss - mit "Weissella Feine weiche Oblaten-Lebkuchen". Die weisen 21 Mikrogramm je Kilogramm im Test auf. Also über 20 mal weniger Acrylamid als "Frenzel Pulsnitzer", und das zeigt eben, davon könnte ein Kind natürlich dann über 20 Lebkuchen essen und davon hätte es erstmal eher Magenschmerzen, als dass die kritische Acrylamid-Dosis erreicht worden wäre."
O-Ton 2: Welche Lebkuchen sind zu empfehlen? (mp3, 43 sek.)
Matthias Wolfschmidt: "Da gibt es zwei Lidl Produkte, "Feinste" und "Feine Nürnberger Elisen-Lebkuchen", das Bahlsen Produkt "Contessa", das Bahlsen Produkt "Grandessa", die liegen auch bei knapp 40 Mikrogramm pro Kilogramm, und die bei Aldi käuflichen "Nürnberger Oblaten-Lebkuchen" von Wolff liegen ebenfalls bei 40 Mikrogramm, und das zeigt, dass man eine große Auswahl inzwischen hat, so groß wie nie zuvor nach unseren Tests, an Lebkuchen, die unter oder bis zu 50 Mikrogramm Acrylamid enthalten. Das ist die eindeutig erfreuliche Nachricht und zeigt, es ist möglich seitens der Hersteller, gute und sehr wohlschmeckende Produkte zu erzeugen, die trotzdem wenig Acrylamid enthalten."
O-Ton 3: Wie kann der Verbraucher Acrylamid meiden? (mp3, 30 sek.)
Matthias Wolfschmidt: "Am allerbesten indem ich, wenn es um Weihnachtsgebäck geht, auf die Produkte, die bei uns im Test gut abgeschnitten haben, zugreife. Das führt dazu, dass man damit sehr wenig Acrylamid konsumiert und damit nur eine sehr geringe Gesundheitsgefahr in Kauf nehmen muss. Und darüber hinaus, wenn man selber backt bei der Weihnachtsbäckerei, zu vermeiden, dass zu hohe Temperaturen eingestellt werden und dass das Gebäck zu braun wird. Denn je brauner, das kann man sich als Faustregel merken, desto mehr Acrylamid ist mit hoher Wahrscheinlichkeit im Gebäck enthalten."
O-Ton 4: Warum sind Kinder besonders gefährdet? (mp3, 22 sek.)
Matthias Wolfschmidt: "Sehr viele Kinder essen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich viele hocherhitzte Lebensmittel: Pommes Frites, Chips, Toastbrot, und dann summiert sich natürlich die Acrylamidbelastung bei so einem kleinen Organismus, und deswegen ist es nach wie vor ein Gebot für die Hersteller, Produkte auf den Markt zu bringen, die so niedrig als möglich mit Acrylamid belastet sind."
O-Ton 5: Welche Gesundheitsgefahr geht von Acrylamid aus? (mp3, 28 sek.)
Matthias Wolfschmidt: "Man weiß aus Tierversuchen, dass es eine gewisse erbgutschädigende Wirkung haben kann. Vor dem Hintergrund handelt es sich um einen Gefahrenstoff, den man eliminieren muss, so gut es geht, und den man, so wie unsere Versuche über die Jahre hinweg gezeigt haben, auch eliminieren kann. Die Politik ist gefragt, dementsprechend offen aufzutreten gegenüber den Herstellern. Und die Hersteller und zwar alle Hersteller müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und müssen ihre besten Herstellungspraktiken einsetzen, damit so wenig wie möglich Acrylamid in Weihnachtbäckerei enthalten ist."
O-Ton 6: Wie viel Acrylamid kann man bedenkenlos zu sich nehmen? (mp3, 33 sek.)
Matthias Wolfschmidt: "Die Weltgesundheitsorganisation geht ja davon aus, dass ein Mikrogramm Acrylamid pro Kilogramm Körpergewicht am Tag die noch gerade akzeptable Dosis ist. Und wenn man sich jetzt unser höchst belastetes Lebkuchenprodukt vor Augen führt, die "Echten Pulsnitzer von Frenzel", dann würde das für ein 20 Kilogramm schweres Kind bedeuten, dass es eigentlich nur 1,5 Lebkuchen essen dürfte am Tag und sonst auch keine erhitzte Speise, und schon hätte es die Tagesdosis aufgenommen, die gerade noch seitens der Weltgesundheitsbehörde als akzeptabel ausgerechnet wurde."
O-Ton 7: Wie entsteht Acrylamid? (mp3, 24 sek.)
Matthias Wolfschmidt: "Acrylamid entsteht ganz konkret, wenn die Aminosäure Asparaginsäure vorhanden ist, wenn ein ganz wesentlicher Wasserentzug stattfindet und wenn verschiedene Zucker vorhanden sind. Und aus dieser Gemengelage bildet sich dann mehr oder weniger Acrylamid, und die Hersteller haben die Möglichkeit, indem sie verschiedene Parameter beeinflussen, das ist einerseits die Temperaturführung beim Backvorgang und das ist die Auswahl der Zutaten."
O-Ton 8: Welche gesetzlichen Richtwerte fordert foodwatch? (mp3, 29 sek.)
Matthias Wolfschmidt: "Wenn man diese beiden Richtwerte, also 50 Mikrogramm für Lebkuchen und 100 Mikrogramm für Spekulatius als Richtschnur nimmt, hat man einen ganz signifikanten Fortschritt, was die potenzielle Gesundheitsgefährdung durch diese Substanz Acrylamid erreicht. Und zwar in der Gestalt, dass es ökonomisch machbar ist für die Hersteller, dass es gesundheitlich eine echte Entlastung ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher und dass es in sofern fair ist, als jeder Hersteller längst in der Lage sein müsste, diese Werte einzuhalten."
O-Ton 9: Wie hat sich die Acrylamidbelastung in den vergangenen Jahren verändert? (mp3, 1:17 min.)
Matthias Wolfschmidt: "Man kann sich unter foodwatch.de die Verlaufskurven der Acrylamidbelastungen jener Produkte, die wir seit Jahren testen, ansehen. Und dann kann man feststellen, dass tatsächlich im Vergleich zum Anfang das Gros der Lebkuchen heutzutage deutlich unter 100 Mikrogramm belastet ist. Am Anfang war das ganz anders, da hatten wir Belastungen, da lag das Gros um die 300 Mikrogramm. Bei den Spekulatius kann man auch eine positive Entwicklung beobachten, wobei allerdings im Vergleich zum sehr positivem Vorjahresergebnis in diesem Jahr wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen ist, und das weist auch darauf hin, was politisch schon längst überfällig ist.
Die Bundesregierung hätte längst den Herstellern vorschreiben müssen, die Belastung ihrer Produkte mit Acrylamid auf den Produkten anzugeben. foodwatch hat vor Jahren schon eine entsprechende farbliche Markierung vorgeschlagen. Also rot für hohe Belastung, gelb für mittlere und grün für niedrigere Belastungen. Auf diese Weise könnten die Konsumenten tatsächlich mit dem Einkauf Einfluss auf ihre Acrylamidbelastung nehmen, und es hätte weiterhin den entsprechenden marktwirtschaftlichen Effekt, dass diejenigen Hersteller, die sich am meisten angestrengt haben, die am meisten in Qualitätssicherung investieren, dass diese Hersteller belohnt werden könnten durch den Markt. Solange solche Informationen nicht auf der Packung stehen, wird man auch keine marktwirtschaftliche Steuerung haben."