Nachricht 07.08.2019

Meinung: „Einseitig verfehlt“

Darek Gontarski/foodwatch

Mit einer parlamentarischen Anfrage haben die Grünen an die Öffentlichkeit gebracht, wie einseitig und wirtschaftsnah Bundesernährungsministerin Julia Klöckner Lobbytermine gewährt. Die Debatte um die Terminlisten offenbart ein verfehltes Politikverständnis – von der Ministerin ebenso wie von den oppositionellen Fragestellern. 

Ein Kommentar von foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker zur Debatte um die Lobbytreffen von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner.

Nicht, dass die europäische Politik ein uneingeschränktes Vorbild in Sachen Lobby-Transparenz wäre. Aber mit wem sich EU-Kommissare treffen und worüber sie sprechen, das immerhin lässt sich für jeden im Internet nachvollziehen – hier zum Beispiel für den europäischen Lebensmittelkommissar. Anders bei den Mitgliedern der deutschen Bundesregierung. Welche Lobbygespräche Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) wahrnimmt, wem sie Einzelgespräche gewährt, erfährt die Öffentlichkeit üblicherweise nicht.  

Nur zwei parlamentarischen Anfragen aus der Grünen-Bundestagsfraktion ist es zu verdanken, dass gerade einmalig ein wenig Licht ins Dunkel gebracht wurde. Zunächst berichtete der Berliner „Tagesspiegel“ über „Klöckners Vorliebe für Treffen mit Nestlé und Co“, später ließ die Ministerin ihren Parlamentarischen Staatssekretär alle Kritik in einer Mitteilung als „ungerechtfertigt“ zurückweisen. 

Treffen vor allem mit den Wirtschaftslobbys

Interessant an dem Fall ist zweierlei: Erstens die durch die Anfrage erstmals ausgeleuchteten Fakten, die sonst im Dunkeln bleiben. Zweitens das Politikverständnis, das sich in der Diskussion offenbart. Es ist für die Verbraucherinnen und Verbrauchern hochproblematisch – und zwar sowohl das der konservativen Ministerin wie auch das der bündnisgrünen Fragesteller.

Zunächst die Fakten (nachzulesen in offiziellen Bundestagsdokumenten (auf S. 59 und 60f.): Mindestens 26 Mal hat sich Frau Klöckner seit Amtsantritt mit Vertretern von Großkonzernen und Wirtschaftsverbänden zu Einzelgesprächen getroffen. Der Süßwarenkonzern Mars erhielt zwei Audienzen, der Bauernverband sogar drei. Dazu kommen Bayer, Nestlé, Rewe, die Einzelhandels- und Gastrolobby, der Verband der Ernährungsindustrie und der der ökologischen Lebensmittelwirtschaft, die Fleischwirtschaft, der Zuckerverband etc. Mit wem es keine Einzelgespräche gab: Verbraucherorganisationen, Umwelt- und Naturschutzverbände. Diese dürfen allenfalls ab und an ins Ministerium kommen, wenn größere Runden tagen, Verbändegespräche oder Runde Tische. Die einseitige Ausrichtung der Klöcknerschen Politik lässt sich symptomatisch auch an ihrem Terminkalender ablesen. 

Ein Wirtschaftsförderministerium?

Vielsagend aber ist vor allem die Verteidigungslinie. „Absurd“ sei die Kritik, „die Bundesministerin würde sich als zuständige Ernährungsministerin zu viel mit Branchenvertretern der Erzeugersparte treffen und das sei Ausdruck eines Lobbyismus“, argumentierte Frau Klöckners Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel. „Umgekehrt wäre der Vorwurf genauso absurd, wenn dem Bundesumweltministerium angekreidet werden würde, es hätte sich zu viel mit Umwelt-, aber zu wenig mit Erzeugerverbänden getroffen.“ Das Zitat entlarvt, wie die Spitze des Ministeriums ihre Aufgabe versteht: Man will Ministerium „für“ – also: „zur Förderung von“ – Landwirtschaft und Ernährungsindustrie sein. Ein Klientelministerium, und keines, dessen Aufgabe in der Regulierung eben jener Branche und im sorgfältigen Abwägen von wirtschaftlichen Interessen zum Beispiel mit Verbraucherinteressen liegt. Das ist verfehlt. 

„Natürlich“, heißt es in der Ministeriummitteilung weiter, seien Treffen mit dem Bauernverband „unerlässlich“, vertrete dieser doch die Betroffenen etwa der europäischen Agrarpolitik. Niemand kann da widersprechen. Nur: Das vollständige Bild entsteht, weil es Frau Klöckner eben nicht für gleichermaßen „unerlässlich“, ja noch nicht einmal für nötig hält, aus denselben Gründen mit Verbraucher- oder Umweltverbänden zu sprechen. Sind die Verbraucherinnen und Verbraucher etwa nicht betroffen, wenn die Ministerin über ihre Pestizidpolitik entscheidet, über Nährwertkennzeichnung oder Tierhaltungssiegel? 

Gut-Böse-Schema

Doch auch die Anfrage der Grünen zeigt ein problematisches Bild. Sie ist zweigeteilt: Eine erste Anfrage zielt auf ministerielle Treffen mit den Lobbys „der Lebensmittelwirtschaft und des Deutschen Bauernverbandes“. Diese werden einer anderen Gruppe entgegengestellt und sind Inhalt einer zweiten Anfrage: Umweltschutzorganisationen, Interessenvertretungen des Ökolandbaus und Nicht-Regierungsorganisationen aus dem Lebensmittelbereich. 

Das von den Anfragen gezeichnete Bild ist klar: Hier die Bösen – da die Guten. Die Wirtschaft ist demnach böse. Es sei denn, es steht Bio drauf, dann gehört sie zu den Guten. Dann kann man die Verbände der Öko-Branche schon mal mit unabhängigen, zivilgesellschaftlichen Organisationen in einen Topf werfen.

Interessensunterschiede

Für die Verbraucherpolitik (aber nicht nur) ist auch dies ein fataler Ansatz. Denn selbstredend hat auch die Öko-Branche wirtschaftliche Interessen – und die sind keineswegs identisch mit denen von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Eine kritische Begleitung wäre hier ebenso angemessen wie beim konventionellen Sektor. 
Ändern muss sich das Verhältnis zu Interessen. Jedes Unternehmen, jeder Verband, jede Organisation vertritt Interessen. Das ist so legitim wie notwendig. Politik sollte nicht so tun, als gäbe es keine Interessen, sondern alle Interessen gegeneinander wägen und im Sinne des Allgemeinwohls entscheiden. Wie gut das gelingt, muss die Öffentlichkeit prüfen können. Das erfordert Transparenz. Eine Offenlegung von Lobby-Terminen – grundsätzlich, nicht erst auf Anfrage – muss daher Standard sein. 

Verzerrte Information

Julia Klöckner und ihrem Stab war die ganze Sache mit den Anfragen offenbar unangenehm. Schließlich ist es nur wenige Wochen her, dass die Ministerin für ein werbliches Video mit dem Nestlé-Deutschland-Chef kritisiert wurde, das sie selbst über ihren Twitter-Kanal verbreitet und das eine arge Distanzlosigkeit zu dem Unternehmen offenbart hatte. Das Ministerium versuchte bei den Antworten noch zu tricksen: Während es sich bei der Liste der Termine mit (konventioneller) Bauernlobby, Mars & Co. strikt auf die angefragten Einzelgespräche beschränkte, damit sie nicht noch länger wurde, füllte es die kurze Reihung anderer Einzeltreffen (Öko-Branche, Tafeln, Deutsche Gesellschaft für Ernährung) auf mit allerlei Runder-Tisch-Veranstaltungen. Dass bei solchen Anlässen zu Hauf auch Vertreter der konventionellen Lebensmittelwirtschaft ins Ministerium kamen, ließ Frau Klöckner unter den Tisch fallen. Warum nur, wenn es hier doch gar keinen Anlass für Kritik gibt?