Nachricht 11.08.2020

Der 11. August ist „Kinder-Überzuckerungstag“

istock / Stocksnapper

Kinder und Jugendliche in Deutschland haben am 11. August rechnerisch bereits so viel Zucker zu sich genommen, wie eigentlich für ein ganzes Jahr empfohlen wird. Es ist Zeit für eine umfassende Werbebeschränkung für Kinderlebensmittel.

15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig oder fettleibig. Im Vergleich zu den 80er- und 90er-Jahren ist der Anteil übergewichtiger Kinder um 50 Prozent gestiegen. Zuletzt hat sich der Anteil auf dem hohen Niveau stabilisiert. Mit Fettleibigkeit einher gehen ernährungsbedingte Krankheiten wie Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ein Grund für diese besorgniserregende Entwicklung ist die Ernährung. Kinder und Jugendliche in Deutschland essen zum Beispiel deutlich mehr Zucker als von Fachorganisationen wie etwa der Weltgesundheitsorganisation, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Deutschen Diabetes Gesellschaft empfohlen.

63 Prozent mehr als empfohlen

Die Organisationen empfehlen, dass Minderjährige maximal 10 Prozent der täglich aufgenommen Kalorien durch sogenannte freie Zucker aufnehmen. Tatsächlich aber nehmen Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 18 Jahren in Deutschland 16,3 Prozent ihrer Tagesenergie aus freien Zuckern auf – also 63 Prozent mehr als empfohlen. Umgerechnet erreichen die jungen Menschen damit schon am 224. Tag im Jahr, also dem 11. August, ihr Zucker-Limit für ein ganzes Jahr. 

Konkret heißt das: Mädchen essen im Durchschnitt mehr als 60 Gramm freie Zucker pro Tag, obwohl sie maximal 38 Gramm zu sich nehmen sollten. Jungs essen im Schnitt mehr als 70 Gramm freie Zucker pro Tag, obwohl sie nicht mehr als 44 Gramm verzehren sollten. Als freie Zucker werden alle Zuckerarten bezeichnet, die zum Beispiel Lebensmittelhersteller ihren Produkten zusetzen, sowie der in Honig, Sirup, Fruchtsaftkonzentraten und Fruchtsäften natürlich enthaltene Zucker. Natürlicherweise in Früchten oder Milchprodukten vorkommender Zucker fällt nicht darunter.  

foodwatch fordert umfassende Beschränkung von Kinderwerbung

Die Lebensmittelindustrie trägt hier eine entscheidende Mitverantwortung. Hersteller und Handel vermarkten vor allem überzuckerte Lebensmittel aggressiv an Kinder. Ob mit Influencern über Soziale Medien, mit Comic-Figuren direkt auf den Verpackungen oder mit Werbung im Fernsehen. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner muss sich für Werbebeschränkungen auf allen Marketingkanälen einsetzen: Nur noch ausgewogene Produkte sollten an Kinder vermarktet werden dürfen. 

Süßwaren, Limo und Snacks bescheren der Lebensmittelindustrie besonders große Profite, daher fixt sie Kinder und Jugendliche auf allen Kanälen gezielt auf diese Produkte an. Bundesministerin Klöckner darf nicht länger tatenlos zusehen, wie die Konzerne mit perfiden Marketingtricks Kinder dick und krank machen.
Luise Molling Recherche & Kampagnen

Debatte um TV-Werbung greift zu kurz

Die Grünen hatten vergangene Woche nach einem entsprechenden Vorstoß Großbritanniens eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Fernsehwerbung in Deutschland gefordert. Bundesernährungsministerin Klöckner hatte sich offen für eine solche Regelung gezeigt. Doch Fernsehen ist nur einer von zahlreichen Marketingkanälen, der von der Industrie für Produktwerbung an Kinder genutzt wird. Eine Regulierung muss zum Beispiel auch Influencer-Marketing in Sozialen Medien, Gewinnspiele, Spielzeugbeigaben und Comicfiguren umfassen!

WHO-Modell macht konkrete Vorgaben

Das WHO-Regionalbüro für Europa hatte Anfang 2015 konkrete Vorgaben definiert, wonach nur noch ernährungsphysiologisch ausgewogene Produkte an Kinder vermarktet werden sollten. Dabei spielen unter anderem die Anteile von Fett, Zucker und Salz, aber auch der Kaloriengehalt oder zugefügte Süßstoffe eine Rolle.

Fachorganisationen fordern wirksame Maßnahmen

Seit Jahren schon fordern Fachgesellschaften und Ärzteverbände wirksame Maßnahmen gegen Fehlernährung. Neben Werbebeschränkungen fordern sie eine EU-weit verpflichtende Nährwert-Kennzeichnung in Ampelfarben, verbindliche Standards für die Schul- und Kitaverpflegung sowie steuerliche Anreize für die Lebensmittelindustrie, gesündere Rezepturen zu entwickeln – etwa durch eine Sonderabgabe auf Limonaden.