Nachricht 21.05.2010

Bakterien-Käse: foodwatch stellt Strafanzeige

Wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung hat foodwatch Strafanzeige gegen Lidl, die Firma Prolactal und das baden-württembergische Verbraucherministerium gestellt. Grund ist die Informationspolitik der Verantwortlichen im Falle des listerien-belasteten Harzer Käses.

Fünf Todesfälle in Österreich gelten als bestätigt, drei in Deutschland. Die Opfer hatten Käse des österreichischen Herstellers Prolactal gegessen, der Listerien enthielt – eine Bakterienart, die bekanntermaßen bei immungeschwächten Menschen tödliche Infektionen auslösen kann. In Deutschland wurde der Prolactal-Käse bei Lidl unter der Eigenmarke "Reinhardshof, Harzer Käse" verkauft. Nach Auffassung von foodwatch haben weder Lidl noch die zuständige Behörde, das baden-württembergische Verbraucherministerium, alles dafür getan, um die Bevölkerung vor der bekannten Gefahr für Leib und Leben zu warnen. foodwatch hat daher am 20. Mai 2010 Strafanzeige gegen die Verantwortlichen im Stuttgarter Mnisterium, bei Lidl und bei der Herstellerfirma Prolactal wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf Körperverletzung mit Todesfolge gestellt.

Todesfall in Hessen nach unzureichender Information

Eine foodwatch-Recherche zu den deutschen Todesfällen ergab: In Hessen verzehrte eine Person den belasteten Harzer Käse noch Ende Januar und damit nach einer völlig unzureichenden Information über die Gesundheitsgefahr durch Lidl. Das baden-württembergische Verbraucherministerium hatte die Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt mit eigenen Informationen vor dem Verzehr gewarnt. Die Person in Hessen wurde am 11. Februar in eine Klinik eingeliefert und verstarb später an den Folgen der Listeriose-Erkrankung. Damit steht die Frage im Raum, ob dieser Todesfall mit einer frühzeitigen und unmissverständlichen Warnung hätte verhindert werden können. Zumindest müssen sich Behörden und Lidl vorwerfen lassen, nicht alles für den Gesundheitsschutz der Bürger und Kunden getan zu haben.

Behörden wussten früh von Zusammenhang mit Todesfällen

Viel früher als zunächst berichtet war den Behörden in Deutschland und Österreich bekannt gewesen, dass die Listeriose-Erkrankungen mit Todesfolge eindeutig auf die Sauermilch-Käseprodukte von Prolactal zurückzuführen waren. Der österreichischen Agentur für Gesundheits- und Ernährungssicherheit (AGES) lag bereits am 20. Januar 2010 ein Bericht vor, der diesen Zusammenhang zweifelsfrei darstellt. Die deutschen Behörden wussten davon spätestens Anfang Februar. Erst am 16. Februar jedoch gab Lidl eine unmissverständliche Verzehrswarnung heraus. Zuvor hatte der Handelskonzern lediglich eine Empfehlung ausgesprochen, den Käse nicht zu verzehren, ohne Bezug auf die Todesfälle aus Österreich. Diese Meldung war nach Auffassung von foodwatch so formuliert, dass das tatsächliche Ausmaß der Gefahr durch den belasteten Käse nicht deutlich wurde. Denn Fachleute wissen, dass sich Listerien in Sauermilchkäse explosionsartig vermehren. Der Harzer Käse von Lidl, der bei Kunden zu diesem Zeitpunkt im Kühlschrank lag, stellte damit eine tickende Zeitbombe dar.

Der Ablauf der Geschehnisse nach foodwatch-Recherchen:

  • Am Mittwoch, den 20. Januar 2010, liegt der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) der Endbericht zum Ausbruch einer weltweit neuartigen Listeriose in Österreich vor, erstellt von dem auch in Deutschland staatlich anerkannten Referenzlabor für Listerien in Wien. Als eindeutige Ursache der Erkrankung, an deren Folgen bis zu diesem Zeitpunkt in Österreich schon vier Menschen gestorben waren, wird der Verzehr von Käse des Herstellers Prolactal benannt. In Deutschland wird diese Käsesorte von Lidl vertrieben.
  • Am Freitag, den 22. Januar, stellt die AGES eine Meldung ins Schnellwarnsystem der EU, mit der vor den listerienbelasteten Produkten gewarnt wird. Dass diese Produkte eindeutig Ursache für die Todesfälle in Österreich waren, geht daraus nach Angaben aus deutschen Behörden nicht hervor. Zudem wurde die Keimbelastung der Lebensmittel in der AGES-Meldung offenbar fälschlicherweise als extrem niedrig angegeben. Für Verbraucher ist in den Warnmeldungen auf der Internetseite des deutschen Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) lediglich die Formulierung nachzulesen "Listeria monocytogenes in Sauermilchkäse (Quargel-Käse) aus Österreich". Doch welches Produkt von welchem Hersteller war betroffen? Das erfuhren weder Verbraucher noch Presse.
  • Am Samstag, den 23. Januar, veröffentlicht Lidl eine Erklärung, in der Käufern der Produkte "Reinhardshof, Harzer Käse, 200 g" und "Reinhardshof, Bauernkäse mit Edelschimmel, 200 g" lediglich empfohlen wird, diese "aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes" nicht zu verzehren. Am Montag, 25. Januar, erscheinen daraufhin einzelne Meldungen zu dem Rückruf in Tageszeitungen.
  • Am Donnerstag, den 4. Februar, wird der Endbericht der österreichischen AGES im Wissenschaftsjournal "Eurosurveillance" veröffentlicht und ist damit im Internet für jeden einsehbar – die Namen von Hersteller und Käsesorte werden allerdings auch dort nicht genannt.
  • Am Dienstag, den 9. Februar, gibt das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Informationen aus dem Artikel in "Eurosurveillance" nach Angaben aus dem Ministerium selbst an das zuständige baden-württembergische Landesministerium weiter. Eine Weitergabe der Erkenntnisse durch das Ministerium an Lidl unterbleibt.
  • Am 11. Februar wird eine Person in Hessen mit Listeriose in eine Klinik eingewiesen – und verstirbt später. Nach Angaben hessischer Behörden gegenüber foodwatch hatte die Person den Harzer Käse in Kalenderwoche 4 und damit nach der ersten Information durch Lidl verzehrt.
  • Nachdem bekannt wird, dass das Robert-Koch-Institut auch die beiden deutschen Todesfälle aus Baden-Württemberg von Ende 2009 eindeutig auf den Verzehr des Harzer Käses zurückführt, veröffentlicht Lidl am Dienstag, den 16. Februar, eine verschärfte, eindeutige "Warnung" vor dem Verzehr der Produkte.

EU-Warnsystem: Wertlose Meldungen ohne Produktnamen

Dieses Beispiel zeigt einmal mehr die Mängel unserer rechtlichen Vorschriften: Im Gegensatz zu Großbritannien werden in Deutschland Meldungen im Europäischen Schnellwarnsystem ohne die Namen der Hersteller und Produkte veröffentlicht. So sind sie für Verbraucher wertlos.

Behörden sind „Beschützergaranten“

Zwar regelt Paragraf 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzes (LFGB), dass Behörden vor Sicherheitsgefahren warnen „sollen“. Dies legen diese so aus, dass sie nicht warnen „müssen“. Und sie gehen in der Regel dann nicht selbst an die Öffentlichkeit, wenn die beteiligten Unternehmen dies tun. Im konkreten Fall hat Lidl zwar informiert, aber eben nicht wirksam, sondern völlig unzureichend: Verbraucher wurden nicht ausdrücklich vor dem Verzehr gewarnt. Das hätte die zuständige Behörde, das baden-württembergische Verbraucherministerium, aufgrund seines Expertenwissens um die Gefährlichkeit des Lidl-Käses zum Anlass nehmen müssen, selbst aktiv zu werden. Das Stuttgarter Ministerium ging aber seinerseits zu keinem Zeitpunkt mit einer eigenen Verzehrswarnung an die Öffentlichkeit, obwohl es über die Todesopfer Bescheid wusste. foodwatch wirft dem Ministerium vor, die Informationsarbeit einem befangenen Unternehmen überlassen und seine Pflicht als "Beschützergarant" für die Gesundheit der Bürger in fahrlässiger Weise verletzt zu haben.

Deutliche Warnung erst zum Ablauf der Mindesthaltbarkeit

Die Folge dieses Verhaltens: Erst am 16. Februar, mehr als drei Wochen nach der Meldung im Schnellwarnsystem, wurden Verbraucher eindringlich vor dem Verzehr von Käse der Firma Prolactal gewarnt. Drei Wochen, in denen sich die gefährlichen Listerien ungebremst in dem Käse vermehren konnten, der noch in den Kühlschränken unzähliger Verbraucher lag. Der Mindesthaltbarkeitszeitraum der bakterienhaltigen Produkte lief genau an diesem Tag ab, die Produkte waren vermutlich bereits verzehrt.