Report „Rechtlos im Supermarkt“

Fipronil-Eier, Pferdefleisch-Lasagne, Babymilch mit Salmonellen – regelmäßig wird Europa von Lebensmittelskandalen erschüttert. Denn die Lebensmittelgesetze in Deutschland und der EU schützen die Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend vor Gesundheitsgefahren und Täuschung. Zu diesem Ergebnis kommt eine umfassende foodwatch-Analyse des europäischen und nationalen Lebensmittelrechts.

Der mehr als 50-seitige Report „Rechtlos im Supermarkt“ zeigt auf, wie entgegen dem Vorsorgeprinzip Grenzwerte gelockert oder umstrittene Zusatzstoffe und Pestizide zugelassen werden. Und wie die Kontrollbehörden regelmäßig im Dunkeln tappen, wohin welche Lebensmittel geliefert werden – obwohl die Rückverfolgbarkeit  der Lieferwege eigentlich vorgeschrieben ist. Verantwortlich dafür sind erhebliche Schwächen des Lebensmittelrechts. foodwatch warf Julia Klöckner Versagen beimVerbraucherschutz vor: Obwohl die eklatanten Schwachstellen im Lebensmittelrecht bekannt und für alle größeren Lebensmittelskandale der jüngeren Vergangenheit verantwortlich sind, arbeitet die Bundesernährungsministerin nicht daran, diese zu beseitigen.

Wenn die verantwortliche Ministerin keine substanzielle Reform des Lebensmittelrechts angeht, macht sie ihren Job nicht.
Martin Rücker foodwatch-Geschäftsführer

foodwatch fordert Ministerin Julia Klöckner auf, auf EU-Ebene eine Generalreform des europäischen Lebensmittelrechts anzustoßen und auf nationaler Ebene umgehend gesetzliche Änderungen anzugehen. 

foodwatch kritisiert unter anderem drei Punkte:

Obwohl im EU-Recht die lückenlose Rückverfolgbarkeit in der Lebensmittelkette eindeutig vorgeschrieben ist, wurde diese Vorgabe nicht durchgesetzt. So sind bei vielen Lebensmittelskandalen der letzten Jahre – von Salmonellen in Babymilch des französischen Herstellers Lactalis bis zu mit dem Insektengift Fipronil belasteten Eiern – jeweils Millionen Produkte auf den Markt gelangt, ohne dass Unternehmen und Behörden die Warenströme nachverfolgen und betroffene Produkte schnell aus dem Markt nehmen konnten. Rückverfolgbarkeit sicherzustellen ist Aufgabe der Lebensmittelbehörden in Deutschland.

Verbraucherinnen und Verbraucher werden bei Verstößen gegen das Lebensmittelrecht häufig entweder zu spät, nur unzureichend oder gar nicht gewarnt, kritisierte foodwatch. Bei Betrug und Täuschung sieht das EU-Recht überhaupt keine Verpflichtung für die Behörden vor, die Öffentlichkeit zu informieren. Aus diesem Grund ist zum Beispiel bis heute unbekannt, in welchen Produkten beim Pferdefleisch-Skandal statt Rindfleisch Pferdefleisch verarbeitet wurde. Auch Hygieneverstöße bleiben in aller Regel geheim. Das Lebensmittelrecht entfaltet daher kaum präventive Wirkung.

foodwatch fordert: Behörden müssen die Öffentlichkeit immer schnell und umfassend informieren!  Und zwar unter Nennung der Namen der Hersteller und Produkte sowohl in Fällen, in denen Gesundheitsgefahr besteht, wie auch bei Betrug. Erst wenn Lebensmittelunternehmen befürchten müssten, dass Verstöße öffentlich werden, haben die Firmen einen Anreiz, sich an alle lebensmittelrechtlichen Vorgaben zu halten. Aktive Informationspflichten für die Behörden könnte die Bundesernährungsministerin sofort auf nationaler Ebene umsetzen, ohne auf eine Einigung in Brüssel zu warten.

Verbraucherinnen und Verbraucher haben kaum Möglichkeiten, sich juristisch zur Wehr zu setzen. Zum einen müssten Kläger nachweisen, dass etwa Gesundheitsschäden durch den Verzehr eines bestimmten Lebensmittels ausgelöst wurden. Ein solcher direkter Kausalzusammenhang ist aber bei Lebensmitteln fast unmöglich zu beweisen. Zum anderen könnten bei Täuschung und Betrug Verbraucherinnen und Verbraucher maximal eine Rückerstattung des Kaufpreises verlangen – ein kaum lohnenswerter Aufwand.

foodwatch fordert: Stattdessen müssen Verbraucherinnen und Verbraucher sich zu Sammelklagen gegen Unternehmen zusammenschließen können. Nötig ist zudem ein Verbandsklagerecht, wie es im Umweltbereich längst etabliert ist: Verbraucherverbände müssen gegen ungesetzliche Praktiken von Unternehmen klagen können. Sie sollten auch die rechtliche Möglichkeit bekommen, Behörden zu verklagen, wenn diese ihre Verpflichtungen im Rahmen des EU-Rechts missachten. Erst das würde das nötige Druckmittel und „Waffengleichheit“ schaffen – denn Unternehmen können bereits heute vor Gericht ziehen, wenn der Gesetzgeber oder Behörden in ihre Rechte eingreifen.

EU-Basisverordnung muss überarbeitet werden

Die meisten Bestimmungen im Lebensmittelrecht sind auf europäischer Ebene geregelt, einige fallen unter die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Maßgeblich auf europäischer Ebene ist die sogenannte EU-Basisverordnung, die vor rund 15 Jahren als Antwort auf die BSE-Krise („Rinderwahnsinn“) beschlossen wurde. Im Rahmen des „REFIT-Prozesses“ (Regulatory Fitness and Performance Programme) der Europäischen Kommission soll die EU-Basisverordnung jetzt überarbeitet werden. Die EU-Kommission hat dazu im April 2018 einen Reformvorschlag vorgelegt, der vor allem die Risikobewertung verbessern soll. So sollen etwa Studien zur Sicherheit von Unkrautvernichtungsmitteln wie Glyphosat zukünftig besser öffentlich zugänglich sein. Aus Sicht von foodwatch ist der Vorschlag unzureichend. Vielmehr müssten die grundlegenden Schwachstellen behoben werden.