Geiz und Güte

Wer alles billig will, bekommt eben minderwertige Lebensmittel und hat Schuld an sämtlichen Missständen, von den untragbaren Zuständen in der Tierhaltung bis zu den Umwelt- und Klimafolgen der landwirtschaftlichen Produktion. So argumentieren einige Politiker und Lebensmittelhersteller. Doch der Schwarze Peter liegt zu Unrecht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Es war die vielleicht aufsehenerregendste Werbekampagne der vergangenen Jahre – „Geiz ist geil", trompetete eine Elektronik-Kette unüberhörbar. Ein Slogan, den so mancher zum Lebensgefühl einer ganzen Republik verklärte: die Deutschen, ein Volk der Billigheimer. Ganz besonders, wenn es um Lebensmittel geht.

Nur etwa 10 Prozent des Einkommens für Lebensmittel

Bild: sxc.hu

Ein Blick auf die Zahlen scheint das zu unterstreichen. Demnach entfallen bei deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern nur etwa zehn Prozent ihrer gesamten Konsumausgaben auf Lebensmittel– ein niedriger Wert im europäischen Vergleich. Die Französinnen und Franzosen beispielsweise liegen bei gut 13, die Italienerinnen und Italiener bei gut 14 Prozent. Mit solchen Zahlen hantiert die Industrielobby, um selbst diejenigen, die es sich leisten könnten, zu stigmatisieren: als Schnäppchenjägerinnen und Schnäppchenjäger mit Discounter-Mentalität, die mit dem nagelneuen Mercedes vom Reihenendhaus auf den Aldi-Parkplatz steuern, um dort kurz nach Ladenöffnung die jüngsten Sonderangebote abzugreifen.

Statistiken nicht hinterfragt

Da klingt es einleuchtend: Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher vor allem Billig-Preise wollen, bekommen sie eben auch Billig-Zutaten. Aroma statt Früchte, Geschmacksverstärker statt frische Zutaten, Milcheis-Imitat aus Pflanzenfett statt originial-italienischem Gelati. Doch logisch erscheint dieser Schritt nur dem, der die Statistiken nicht hinterfragt: Warum eigentlich geben die Deutschen so wenig für Lebensmittel aus? Wirklich nur, weil ihnen der Geiz in den Adern liegt?

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In erster Linie ist der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Gesamtausgaben ein Indikator für den Wohlstand eines Landes: Je weniger Geld Menschen insgesamt zur Verfügung steht, desto höher ist automatisch der Anteil für etwas so Notwendiges wie Lebensmittel. Entscheidend ist die Kaufkraft. So liegt im europäischen Vergleich der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel in Rumänien bei gut 26 Prozent, gefolgt von Litauen, Estland, Bulgarien und Kroatien.

Preisunterschiede werden verschwiegen

Wer nur den Anteil der Ausgaben für Lebensmittel europaweit vergleicht, verschweigt zudem die Preisunterschiede. In Deutschland sind Lebensmittel ganz einfach günstiger als etwa in Frankreich oder Italien. Das liegt nicht zuletzt am harten Preiskampf im deutschen Handel: Gibt es pro Million Einwohnerinnen und Einwohner in Deutschland 342 Filialen des Lebensmitteleinzelhandels, sind es in Frankreich nur 196 (Stand 2014).

Statt im Geiz eine Art deutsche Leitkultur zu sehen, ist es viel simpler: Wir geben deshalb anteilig relativ wenig für Lebensmittel aus, weil es uns im europaweiten Vergleich wirtschaftlich recht gut geht. Verglichen mit ähnlich situierten Ländern wie Frankreich oder Italien sind die Unterschiede dagegen gar nicht so groß und vor allem durch das in Deutschland niedrigere Preisniveau begründet.

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Handel treibt die Preise nach unten

Eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts Information Resources, Inc. (IRI) stützt das. IRI vergleicht regelmäßig das Preisniveau mehrer europäischer Länder sowie der USA für einen beispielhaften Warenkorb – Deutschland ist regelmäßig das günstigste Land. Dass der Handel dabei die entscheidende Rolle spielt, zeigt das Institut durch einen Vergleich des Preisunterschieds zwischen Handelsmarken und Markenprodukten. Der ist in Deutschland mit Abstand am größten: Während Handelsmarken in Italien noch drei Viertel des Preises von Markenprodukten kosten, verlangen deutsche Supermärkte für ihre Eigenprodukte nur die Hälfte im Vergleich zu den jeweiligen Markenkonkurrenten. „Der Preisabstand der jeweiligen Händler-Eigenmarken zu den nationalen Marken gibt einen Hinweis auf die für die Preisniveaus verantwortlichen Treiber“, schreibt IRI dazu.

Der Landliebe-Effekt

Natürlich gibt es Menschen, die vor allem auf den Preis achten müssen oder wollen – das ist auch legitim. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher jedoch sind nachweislich sogar bereit, mehr Geld auszugeben für Produkte, bei denen sie eine höhere Qualität auch nur vermuten. Statt ja!-Milch kaufen sie Landliebe mit dem schöneren Etikett, statt Naturjoghurt Actimel mit dem tolleren Gesundheitsversprechen. Das ist deutlich teurer. Dabei sind es nur Werbebotschaften, die eine höhere Qualität überzeugend (und irreführend) suggerieren.

Qualität nicht überprüfbar

Verlässliche Hinweise aber, die die Qualität für Verbrauchbar überprüfbar machen, gibt es in den seltensten Fällen. Wenn schon die Qualität nicht vergleichbar ist – der Preis ist es. Wem will man es da verdenken, wenn die Wahl zwischen zwei Produkten auf das billigere fällt? Wenn mit Geiz solche Kaufentscheidungen gemeint sind, dann ist das nicht unbedingt geil, aber doch: vernünftig. Vor allem aber taugt es nicht, den Kundinnen und Kunden die Schuld für Lebensmittelskandale in die Schuhe zu schieben. Denn sicher müssen alle Produkte sein, welchen Preis sie auch haben. Bei einem Auto würde schließlich auch niemand auf die Idee kommen, dass nur Luxuswagen über funktionierende Bremsen verfügen müssen – und ein Unfallfahrer selbst die Schuld an versagenden Bremsen trägt, weil er sich statt einem Porsche nur den Polo geleistet hat.