Nachricht 22.07.2013

Irreführende Studie zu lebensmittelklarheit.de

Seit zwei Jahren gibt es das von der Bundesregierung geförderte Portal lebensmittelklarheit.de gegen Etikettenschwindel. Zu diesem Anlass die Justus-Liebig-Universität Gießen eine Kurz-Studie veröffentlicht, die ein vernichtendes Urteil über die Internetseite zum Thema Irreführung bei Lebensmitteln fällt. Doch bei genauem Hinsehen entpuppt sich vielmehr die wissenschaftliche Arbeit als irreführend.

„lebensmittelklarheit.de und Verbraucherpolitik – oder wie viel Schutz verdient Ignoranz?“, heißt die Gießener Studie. Die zentrale Schlussfolgerung, die Prof. Rainer Kühl und seine Co-Autoren darin ziehen:

„Eine Analyse der veröffentlichten Täuschungsvorwürfe zeigt, dass die (Ent)täuschung der Beschwerdeführer mehrheitlich durch eine genauere Betrachtung der Produktverpackung hätte verhindert werden können.“

Im Klartext: Die Verbraucher müssten nur besser hinschauen, dann werden sie auch nicht getäuscht. Wenig verwunderlich, dass Christoph Minhoff, Chef-Lobbyist der Lebensmittelwirtschaft, die Argumentation aus Gießen prompt übernimmt. In einer Stellungnahme des Spitzenverbandes der Lebensmittelwirtschaft BLL erklärte er: „70 Prozent der gemeldeten Täuschungsvorwürfe [hätten] verhindert werden können, wenn die betroffenen Verbraucher die Verpackung aufmerksam betrachtet hätten.“

Einfach nur besser hinsehen?

Mal davon abgesehen, dass sich offensichtlich zahlreiche Verbraucher davon getäuscht fühlen, wenn Werbeaussagen auf der Verpackungsvorderseite den Pflichtangaben im Kleingedruckten widersprechen (und davon, dass die „Auflösung“ hinten die Schwindeleien vorne nicht rechtfertigen): Es ist leicht zu erklären, weshalb vor allem Täuschungen auf dem Online-Portal zu finden sind, die die Verbraucher im Kleingedruckten auf den Wahrheitsgehalt überprüfen können (sogenannte Sucheigenschaften). Schließlich basieren die Veröffentlichungen auf Verbrauchermeldungen. Und die können eben nur Täuschungen melden, die sie auch entlarven können. Themen wie Tierhaltung, Gentechnik bei Milchprodukten oder regionale Herkunft – sogenannte Vertrauenseigenschaften also, die der einzelne Verbraucher kaum überprüfen kann – sind auf lebensmittelklarheit.de naturgemäß unterrepräsentiert. Anhand der Stichprobe auf dem Portal lässt sich keine Aussage über die Problematik der Verbrauchertäuschung insgesamt treffen.

Studie untersucht nur kleinen Teil der Wirklichkeit

Es ist also keine sonderlich große Überraschung, was Prof. Kühl und Kollegen in der wissenschaftlichen Untersuchung „herausgefunden“ haben. Den Chef-Lobbyisten Christoph Minhoff hat es offenbar dennoch überzeugt. Sicherlich nicht zuletzt, weil die Thesen der Wissenschaftler wunderbar in die politische Agenda der Lebensmittelhersteller passen, deren Meinung nach die aktuellen gesetzlichen Regeln vollkommen ausreichen, um vor Irreführung zu schützen. Die zahlreichen Produktbeispiele für Verbrauchertäuschung auf lebensmittelklarheit.de und abgespeist.de sprechen jedoch eine andere Sprache.

Schluss mit Etikettenschwindel im Supermarkt!

foodwatch fordert, endlich wirksame gesetzliche Maßnahmen umzusetzen, um Verbraucher vor Irreführung und legaler Täuschung zu schützen. Dazu gehören beispielsweise Vorschriften für eine umfassende Herkunftskennzeichnung, lesbare Angaben auf Lebensmittelverpackungen, verbindliche Mengenangaben für beworbene Zutaten, aber auch grundsätzliche Regelungen beispielsweise für Kinderlebensmittel oder zu Gesundheitsaussagen. 

15 Punkte für ehrlichere Etiketten