Wie die Bundesregierung beim Verbraucherschutz versagt

foodwatch bei der Anhörung im Bundestag zu Lebensmittelkontrollen

Hallo und guten Tag,

es ist ein Tag im März im Deutschen Bundestag, Sitzungssaal 4 900. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hat mich und andere Expert*innen eingeladen. Es geht um ein wichtiges Gesetz, das der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist: Das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – kurz: „LFGB“. Das Gesetz ist von großer Bedeutung, es ist das Kerngesetz im Lebensmittelbereich. Es soll Verbraucher*innen vor Täuschung und vor Gesundheitsgefahren schützen. Zumindest in der Theorie.


In der Praxis wird dieser Schutz viel zu oft nicht durchgesetzt, wie die immer wiederkehrenden Lebensmittelskandale zeigen: Pferdefleisch in der Lasagne,  gefährliche Listerien in der Wurst oder – wie wir aktuell enthüllt haben – massiver Schimmelbefall in einer großen Fabrik für Bayerisches Bier. Wir bei foodwatch kämpfen dafür, dass die Skandale ein Ende haben. Dafür habe ich mich auch in der Bundestagsanhörung stark gemacht – und in aller Deutlichkeit auf die Schwachstellen unserer Gesetze hingewiesen. Bitte unterstützen Sie diese wichtige Arbeit, die nur durch Unterstützung möglich ist: Werden Sie Fördermitglied von foodwatch!


Immer wieder, wenn Lebensmittelskandale das Land erschüttern, versprechen die zuständigen Politiker*innen Besserung. So war es auch 2019, als der Skandal um die hessischen Wurstfabrik Wilke wochenlang in den Medien war. Mindestens 37 Menschen waren durch Keime in der Wurst erkrankt und drei sind sogar gestorben. Eine Gesetzes-Reform wurde versprochen. Viele Monate später, an besagtem Tag im März, durfte ich nun in der Anhörung im Bundestag zur geplanten Reform Rede und Antwort stehen. Doch direkt zu Beginn, als der Vorsitzende des Ausschusses, Alois Gerig, die Anhörung eröffnete, wurde mir klar: Wir sind noch meilenweit von einem wirksamen Verbraucherschutz entfernt. Wie ich darauf komme? Nun ja…


Herr Gerig sitzt seit mehr als zehn Jahren im Bundestag, seit sechs Jahren ist er Vorsitzender des Ernährungsausschusses. Er ist einer der wichtigsten Ernährungspolitiker des Landes. Doch die Anhörung hat offenbart: Herr Gerig wusste nicht, wie das Gesetz eigentlich genau heißt, über das an diesem Tag beraten werden sollte. Beim ersten Mal, als Herr Gerig das „LFGB“ falsch benannte, dachte ich: Da muss ich mich verhört haben. Doch als er den Fehler ein zweites Mal beging, wurde mir klar: Das war definitiv kein Versprecher. Der Vorsitzende des Ernährungsausschusses wusste nicht, wie eines der wichtigsten Verbraucherschutzgesetze heißt. Kaum zu glauben, aber so war es – er konnte sich die Bezeichnung dieses zentralen Gesetzes einfach nicht merken. Und das ist aus meiner Sicht keine Kleinigkeit, sondern offenbart ein schwerwiegendes Problem: Der „Versprecher“ des Vorsitzenden zeigt, wie sehr führende Politiker der Regierungskoalition den Verbraucherschutz vernachlässigen. Wir bei foodwatch wollen das nicht länger hinnehmen! Sie auch nicht? Dann helfen Sie uns! Unterstützen Sie uns im Kampf für das Recht der Verbraucher*innen auf gute und sichere Lebensmittel: Werden Sie Fördermitglied von foodwatch!


Aber natürlich geht es hier nicht „nur“ um die Unfähigkeit des Vorsitzenden sich den Namen eines – wenn auch sehr wichtigen – Gesetzes zu merken. Und natürlich sitzen im Ernährungsausschuss auch andere Köpfe – die wissen, worüber sie reden und die sich für uns Bürger*innen stark machen. Doch wir haben ein ernsthaftes Problem, wenn die Bundesregierung selbst nach einem der schwerwiegendsten Lebensmittelskandale der letzten Jahre, der die Schwachstellen in unseren Gesetzen eindrücklich offenbart, die Ereignisse nicht zum Anlass nimmt, die Schwachstellen zu beheben. Zwei der Hauptprobleme, die der Skandal verdeutlicht hat, sind:


1: Intransparenz 


Die Lebensmittelbehörden wissen oft längst Bescheid, wenn es schwerwiegende Skandale gibt, aber die Öffentlichkeit wird nicht informiert. So war es auch beim Fall Wilke mit der Listerien-Wurst. Die Lösung ist einfach: Alle Kontrollergebnisse müssten veröffentlicht werden, so wie das in anderen Ländern längst der Fall ist (Beispiel Dänemark, Beispiel Norwegen, Beispiel Wales). Doch die Bundesregierung weigert sich bis heute, für diese Transparenz zu sorgen – stattdessen möchte sie am derzeitigen System der Geheimniskrämerei festhalten. An einem System, bei dem die Verbraucher*innen und die sauber arbeitenden Betriebe die Dummen sind! 

2: Schlechter Schutz für „Whistleblower“


Sogenannte „Whistleblower“, also Hinweisgeber*innen, sind von großer Bedeutung. Oft kommen Missstände – wie weiß verschimmelt Würste – überhaupt erst durch solche Hinweisgeber ans Tageslicht. So war es auch im aktuellen Fall, bei dem eine bayerische Malzfabrik von oben bis unten verschimmelt war, und die Behörde die Mängel verschwiegen hat. Wir alle sind darauf angewiesen, dass solche couragierten Menschen geschützt werden. Doch in Deutschland werden sie im Regen stehen gelassen, denn es gibt keine bundesweit einheitlichen Regeln. Das ist vollkommen inakzeptabel. Heutzutage müssten sich LKW-Fahrer*innen, die ihre verschimmelte Ladung von Bayern nach Schleswig-Holstein fahren sollen und diese anzeigen möchten, erstmal erkundigen, wie denn die Regelung in den verschiedenen Bundesländern ist. Jeder und jede, der sich das auch nur einen kurzen Moment vorstellt, weiß auf Anhieb, dass das völlig weltfremd ist. Der Schutz muss einheitlich, eindeutig und möglichst weitreichend sein, damit sich Hinweisgeber*innen überhaupt trauen, wichtige Informationen zu Missständen weiter zu geben. Doch die Bundesregierung möchte sich aus der Verantwortung ziehen – obwohl die Mitgliedstaaten der EU dazu verpflichtet sind, den Whistleblower-Schutz zu regeln!

Das sind nur zwei Beispiele, an denen wir sehen: Ein Lebensmittelskandal jagt den Nächsten, aber die Große Koalition ficht das nicht an. Sie lässt die Schwachstellen in unseren Gesetzen bestehen, anstatt sie zu lösen. Damit ist der nächste Lebensmittelskandal nur eine Frage der Zeit! Wir müssen es leider sagen: Die Regierung erfüllt ihre elementare Pflicht nicht, nämlich die körperliche Unversehrtheit von uns Verbraucher*innen zu schützen! Wir von foodwatch wollen dies nicht länger mit ansehen, sondern selber aktiv mit allen unseren Mitteln dafür kämpfen, dass – wie im Fall Wilke geschehen – unschuldige Menschen wegen dieses unakzeptablen Politikversagens nicht mehr sterben müssen.  Unterstützen Sie uns bitte dabei: Werden Sie Fördermitglied von foodwatch!
 
Vielen Dank und herzliche Grüße

Oliver Huizinga 

Leiter Recherche und Kampagnen