Frage des Monats 01.07.2021

Ist Dicksein ungesund?

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Dicksein hat einen schlechten Ruf. Aber kann man Menschen tatsächlich am Körperumfang ansehen, ob sie gesundheitliche Probleme haben?

Oliver Huizinga von foodwatch antwortet:

Nein. Auf individueller Ebene kann man das so pauschal nicht sagen. Es gibt auch gesunde Dicke und kranke Schlanke. Auf Bevölkerungsebene ist der Anstieg von starkem Übergewicht tatsächlich ein großes Problem. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von einer „globalen Adipositas-Epidemie.“  In Deutschland gilt aktuell jeder vierte Erwachsene und jeder zehnte Jugendliche als stark übergewichtig beziehungsweise adipös.

Gesunde Speckröllchen?

Vor einigen Jahren machten Studien Schlagzeilen, die besagten, dass ein paar Kilo zuviel auf der Waage gesundheitliche Vorteile bringen könnten. Diese überraschende These wurde als „Adipositas-Paradoxon“ bezeichnet. Allerdings ließ die Kritik nicht lange auf sich warten: Zum Teil waren Raucher*innen und Menschen, bei denen eine Erkrankung zu Gewichtsverlust geführt hatte, nicht ausreichend berücksichtigt worden. Zudem untermauerten in der Folge zahlreiche Studien die negativen Auswirkungen von Übergewicht und Adipositas : So zeigte eine im European Heart Journal veröffentlichte Untersuchung, die die Daten von fast 300.000 Menschen auswertete, dass bereits geringes Übergewicht das Risiko einer Herz-Kreislauferkrankung erhöht. Gleichzeitig deuteten einige Forschungsergebnisse jedoch auf eine positive Wirkung von leichtem Übergewicht bei Patient*innen hin, die etwa an bestimmten Krebsarten erkrankt waren.  Während wissenschaftlich großer Konsens darüber besteht, dass Übergewicht das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes-Typ-2, Schlaganfall und bestimmte Krebsarten erhöht, wird noch darüber debattiert, inwieweit Übergewicht einen Schutz darstellen kann, nachdem eine Erkrankung eingetreten ist. Fest steht: Am besten ist es, das Krankheitsrisiko von vornherein zu senken, indem „Normalgewicht“ gehalten wird.

Eine Welt, die dick macht

Und das ist gar nicht so einfach: Denn wir leben in einer Welt, die eine gesunde Ernährung erschwert. Hochkalorische, stark verarbeitete und zuckerreiche Lebensmittel sind jederzeit im Übermaß verfügbar. Nach gesunden Lebensmitteln kann man am Bahnhof, im Snack-Automaten oder an der Tankstelle lange suchen. Auch das Angebot in Kantinen, Schulmensen oder Kitas ist häufig alles andere als ausgewogen. Die Industrie adressiert mit ausgeklügelten Marketingstrategien schon Kinder und Jugendliche – und wirbt dabei fast ausschließlich für zuckrige Limo, Snacks und Süßwaren. 

Fatshaming, nein danke!

Medizinische Fachgesellschaften fordern deshalb schon seit Langem wirksame politische Maßnahmen, um eine gesunde Ernährung zu fördern. Appelle an den Einzelnen lösen das Problem nachweislich nicht. Und erst recht kein „fat shaming“. Die Stigmatisierung von Übergewichtigen hilft niemandem dabei, abzunehmen. Im Gegenteil: Diskriminierung kann sehr negative gesundheitliche Folgen für die Betroffenen haben. Die frühere Generaldirektorin der WHO, Margaret Chan, hat es in einer Rede im Jahr 2013 auf den Punkt gebracht: „Kein einziger Staat hat es geschafft, die Adipositas-Epidemie in allen Altersgruppen zu stoppen. Hier mangelt es nicht an individueller Willenskraft. Hier mangelt es am politischen Willen, sich mit einer großen Industrie anzulegen.“