Die 7 größten Mythen über Zucker und Übergewicht

In der Debatte um Übergewicht und Zucker werden zahlreiche Mythen verbreitet. Das trifft sowohl auf führende Vertreter der Lebensmittelwirtschaft als auch auf Spitzenpolitiker wie Bundesernährungsminister Christian Schmidt zu. Das sind die sieben größten „Zucker-Mythen“:

Bundesernährungsminister Christian Schmidt behauptete in einer ARD-Talkshow, dass „jeder Mensch Zucker“ brauche.

Tatsache ist: Es gibt keinen Bedarf, Zucker als Lebensmittel aufzunehmen. Das menschliche Gehirn benötigt zwar eine bestimmte Menge an Glukose am Tag. Der Körper ist jedoch in der Lage, diese Glukose beispielsweise aus Stärke aufzuspalten, die etwa in Brot und Nudeln enthalten ist. 

Zwischen dem Konsum zuckergesüßter Erfrischungsgetränke und Übergewicht „besteht keine Kausalität“, sagt die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke (wafg).

Das ist falsch: Es herrscht ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, dass ein erhöhter Konsum zuckergesüßter Getränke die Entstehung von Übergewicht fördert – sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Zahlreiche medizinische Fachgesellschaften teilen diese Auffassung, darunter die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die British Medical Association und die internationale Adipositas Gesellschaft „World Obesity“.

Die Lebensmittellobby behauptet, dass die Absatzzahlen für Zucker seit Jahrzehnten konstant seien. Deshalb könne Zucker gar keine wesentliche Ursache für den Anstieg von Übergewicht sein.

Doch das ist nicht richtig: Zwar ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Haushaltszucker (Saccharose) seit etwa 1985 konstant bei 30 bis 35 kg im Jahr. Doch diese Statistik lässt andere Zuckerarten außen vor, darunter Glukose, deren Verbrauch sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten mehr als versechsfacht hat. Insgesamt ist der Pro-Kopf-Verbrauch der Zuckerarten Saccharose, Isoglukose, Glukose und Honig im Zeitraum von 1960 bis 2012 um mehr als 30 Prozent gestiegen.  

Ernährungsbildung „schon im Kindesalter“ sei „das beste Gegenmittel“ gegen Fehlernährung und die gesundheitlichen Folgen, so der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Ähnlich äußerte sich auch Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbands der Lebensmittelwirtschaft (BLL).

Fakt ist: Nach Auswertung zahlreicher Studien kommt Professor Manfred James Müller, einer der Vorstandssprecher des staatlich geförderten Kompetenznetzes Adipositas, zu dem Schluss, dass mit Ernährungsbildung die Häufigkeit von Übergewicht bei Kindern lediglich um ein Prozent gesenkt werden kann. „Diese Strategie ist gescheitert, die steigende Zahl chronisch Kranker zeigt dies deutlich“, folgert die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), ein Zusammenschluss aus 17 medizinisch-wissenschaftlichen Fachorganisationen. Sie fordert stattdessen, eine gesunde Lebensweise zu erleichtern, beispielsweise durch eine Änderung des Lebensmittelangebots, der Kennzeichnung oder des Marketings an Kinder.

„Die Deutschen nehmen heute nachweislich nicht mehr Kalorien auf als früher“, so Günter Tissen, Geschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker (WVZ).

Daten der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zeigen allerdings: Die Kalorienaufnahme in Deutschland ist seit den 1960er-Jahren deutlich angestiegen. Zu diesem Schluss kommen auch die EU-Kommission und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Ist eine Zuckersteuer oder eine Hersteller-Abgabe auf überzuckerte Getränke ein Mittel gegen Übergewicht? Führende Politiker meinen „Nein“. Die „Erfahrungen in anderen Ländern“ zeigten, dass „Strafsteuern auf zucker-, fett- und salzhaltige Produkte bzw. Verbote keinen nachhaltigen Erfolg“ hätten, so Gitta Connemann, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Doch das Gegenteil stimmt: In Mexiko, Finnland, Berkeley oder auch Frankreich ging der Zuckergetränke-Konsum nach Einführung einer Limo-Steuer zurück. In Ungarn änderten 40 Prozent der Hersteller nach Einführung einer Steuer ihre Rezepturen. Es sei bewiesen, so die WHO, dass eine 20-prozentige Sondersteuer einen etwa 20-prozentigen Rückgang im Konsum zur Folge hat. 

„Verantwortung für seine Gesundheit hat jeder selbst“, sagt Bundesernährungsminister Christian Schmidt.

Was logisch klingt, hat einen Haken: Wir leben in einer Welt, die dick macht. Es wird uns erschwert, die gesunde Wahl zu treffen. Die frühere Generaldirektorin der WHO, Margaret Chan, hat dies in einer Rede im Jahr 2013 auf den Punkt gebracht: „Kein einziger Staat hat es geschafft, die Fettleibigkeits-Epidemie in allen Altersgruppen zu stoppen. Hier mangelt es nicht an individueller Willenskraft. Hier mangelt es am politischen Willen, sich mit einer großen Industrie anzulegen.“