Frage des Monats 01.02.2023

Landwirtschaft ohne Pestizide – geht das überhaupt?

Albinivik / Shutterstock

Annemarie Botzki von foodwatch antwortet: 

In der modernen Landwirtschaft sind Pestizide allgegenwärtig. Ihr Einsatz ist in der EU heute sogar deutlich höher als in den 1990er Jahren – mit fatalen Folgen für Artenvielfalt, Klimaschutz, Bodenqualität und Gesundheit.  

Bisher sind alle Versuche gescheitert, weniger Pestizide auf die Felder zu bringen. Kein Wunder: Immer wenn der Gesetzgeber Pläne verkündet, den Einsatz der Ackergifte einzuschränken, entwerfen Bauernverbände und Industrievertreter:innen Schreckenszenarien. Die sichere Versorgung der Verbraucher:innen mit Lebensmitteln sei gefährdet, eine Ernährungskrise drohe. Aber stimmt das? Riskieren wir Hungersnöte, wenn wir ohne Pestizide anbauen?

foodwatch / Sabrina Weniger

Resistente Schädlinge

Ursprünglich schienen die chemisch-synthetischen Mittel ein nützliches Instrument zur Bekämpfung von Insekten, Krankheiten und Unkräutern zu sein. Doch schon bald wurden Schädlinge resistent. Nützlinge wie Marienkäfer, die zuvor Schädlinge gefressen hatten, wurden vernichtet, wodurch wiederum noch mehr Pestizide eingesetzt werden mussten – ein Teufelskreis. Tatsächlich sind Pestizide das am wenigsten wirksame Mittel zur Bekämpfung von Schädlingen & Co. – denn diese kommen immer wieder zurück, wenn keine anderen Maßnahmen ergriffen werden. 

Nahrungskrise wegen Pestiziden

Die Folgen des hohen Pestizideinsatzes sind immens – nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Ernährungssicherheit. Denn ganz anders als von Großkonzernen wie Bayer behauptet, droht uns nicht ohne Pestizide, sondern genau wegen des hohen Pestizidgebrauchs eine Nahrungskrise. Frans Timmermans, der Vizechef der EU-Kommission, geht davon aus, dass das derzeitige Niveau beim Gebrauch der „Pflanzenschutzmittel“ die biologische Vielfalt in zehn bis 15 Jahren derart gefährden werde, dass die Landwirtschaft in Europa nicht mehr aufrechterhalten werden könne. 

Was die Chemie-Lobby gerne ignoriert: Betrachtet man das Verhältnis zwischen Input und Output, so stellen afrikanische und asiatische Kleinbäuer:innen Lebensmittel wesentlich effizienter her als europäische Landwirt:innen. Betriebe, die auf vielfältigen Anbau setzen, übertreffen Monokulturen in Sachen Ertrag und Rentabilität deutlich. Großbetriebe sind zudem stärker auf Subventionen angewiesen als kleinere Betriebe.

Doch wie soll das gelingen, eine Landwirtschaft ohne Pestizide? foodwatch hat eine konkrete Strategie für eine pestizidfreie EU-Landwirtschaft bis 2035 vorgelegt.

Vielfalt statt Monokultur

Eine pestizidfreie Landwirtschaft erfordert große Veränderungen auf dem Feld. Wo im Moment auf riesigen Flächen die immergleichen Pflanzen wachsen, muss mehr Abwechslung her – denn in Monokulturen können sich Krankheiten rasend schnell ausbreiten. Wir brauchen eine vielfältigere Bewirtschaftung: Würden zum Beispiel streifenweise unterschiedliche Pflanzen angebaut, könnten Schädlinge nicht so schnell von einem Streifen auf den nächsten übergreifen. Auch die Auswahl von schädlings- und krankheitstoleranten Sorten ist ein wichtiger Schlüssel für natürlichen Pflanzenschutz. Abwechslungsreiche Fruchtfolgen sind eine der ältesten und effektivsten Methoden für gesunde Böden. Populationen von schädlichen Krankheiten, Schädlingen und Unkräutern entwickeln sich viel langsamer, denn die Fruchtfolge unterbricht Wechselwirkungen zwischen Feldfrüchten und ihren Widersachern. Vögel wiederum spielen eine wichtige Rolle bei der Insektenbekämpfung in Obstgärten und anderen Anbaugebieten. 

Systemwechsel nötig

Ein Systemwechsel ist nötig – und der braucht einen Anreiz. Der Verzicht auf Pestizide muss sich für Landwirt:innen auszahlen. Dafür sind Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene nötig, die eine umweltschädliche Landwirtschaft verteuern und dafür sorgen, dass es sich für Landwirt:innen finanziell lohnt, wenn sie auf Pestizide verzichten. Ein erster, wichtiger Schritt wäre die Einführung einer EU-weiten Pestizidsteuer. Dass eine solche Steuer wirkt, zeigt das Beispiel Dänemark: Eine Studie der Universität Aarhus hat gezeigt, dass sie ein wirksamer Anreiz ist für Landwirte, weniger schädliche Produkte zu verwenden.

Lebensmittel statt Tierfutter!

Ein weiterer entscheidender Punkt in der irreführenden Diskussion um Nahrungssicherheit: Nur ein Bruchteil der für den Ackerbau geeigneten Flächen werden derzeit für die Produktion von Lebensmitteln genutzt. Große Mengen an Land und anderen Ressourcen werden für den Anbau von Tierfutter verschwendet. Die Landwirtschaft in der EU ernährt sieben Milliarden Nutztiere pro Jahr – aber „nur“ etwa 0,45 Milliarden Menschen. Hinzu kommt, dass Millionen von Tonnen an Lebensmitteln im Müll landen. 

Fazit: Eine Landwirtschaft ohne Pestizide ist möglich – und nötig!

Alle notwendigen Instrumente stehen bereits zur Verfügung. Eine Ernährungskrise ist nicht zu befürchten. Klar ist aber: Die landwirtschaftliche Produktion muss sich in den kommenden Jahrzehnten enorm verändern – nicht nur, um Umwelt, Klima und Artenvielfalt zu schützen, sondern auch, um unsere Ernährungssicherheit zu gewährleisten!