Nachricht 14.12.2012

Urteil: Irreführung bei Becel pro.activ darf weiter gehen

Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt darf Unilever umstrittene Aussagen über Produkt Becel pro.activ weiter verbreiten. Das Landgericht Hamburg unterzog die (nachweislich falsche) Behauptung, nach der es „aus wissenschaftlicher Sicht keinen Hinweis“ auf Nebenwirkungen der cholesterinsenkenden Margarine gebe, keinem Faktencheck.

foodwatch hatte Unilever verklagt, weil der Lebensmittel-Multi mögliche Risiken seiner cholesterinsenkenden Margarine Becel pro-activ abstreitet. Konkret hatte Unilever unter Verwendung eines Professoren-Zitats behauptet, es gebe bei Becel pro.activ. „aus wissenschaftlicher Sicht keinen Hinweis“ auf Nebenwirkungen. Dabei gibt sehr wohl eine Reihe von Studien, die „Hinweise“ auf Nebenwirkungen geliefert haben. Das staatliche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die europäischen Fachgesellschaften für Herz-Kreislauf-Krankheiten EAS (European Atherosclerosis Society) und ESC (European Society of Cardiology) äußerten sich entsprechend kritisch zur Sicherheit von Lebensmitteln mit zugesetzten Pflanzensterinen wie Becel pro.activ.

Verbraucher werden weiter getäuscht

Die Verbraucher müssen nach dem heutigen Urteil so viele Zweifel haben wie vorher: Unilever kann die Sicherheit seines Produktes nicht belegen, die von foodwatch kritisierte Aussage des Konzerns ist inhaltlich nicht haltbar und widerspricht dem Stand der Wissenschaft. Dennoch hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass der Becel-Hersteller die Aussage weiter verbreiten darf – und zwar unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Ausschlaggebend dafür: der juristisch wichtige Unterschied zwischen einer Tatsachenbehauptung und einer Meinungsäußerung. Aus Sicht der Richter stellte die Aussage keine Tatsachenbehauptung dar, die einem Faktencheck hätte standhalten müssen, sondern eine (zulässige) „Meinungsäußerung“, deren Wahrheitsgehalt im Laufe des Prozesses gar nicht erst überprüft wurde.

Das bedeutet: foodwatch konnte keinen Unterlassungsanspruch gegen Unilever geltend machen, obwohl die Aussage nachweislich falsch ist – an diesem Fakt ändert das Urteil nichts. foodwatch wird jetzt die Urteilsbegründung abwarten und eine Berufungsklage prüfen.

Unilever kann Sicherheit von Becel pro.activ nicht belegen

Unilever selbst hatte vor Gericht darauf gedrängt, das Abstreiten von Hinweisen auf Nebenwirkungen als Meinungsäußerung zu werten. Der Unilever-Anwalt erklärte bei der mündlichen Verhandlung im August, die von foodwatch kritisierte Aussage habe „keinen Tatsachenkern“. foodwatch meint: Es ist bemerkenswert, dass Unilever die Sicherheit von Becel pro.activ nicht tatsächlich belegen kann, sondern lediglich zweifelhafte Meinungen zu dieser für alle Kunden entscheidenden Frage verbreitet. Ebenso wenig wie die Sicherheit ist der gesundheitliche Nutzen des Cholesterinsenkers belegt.

Ein Urteil mit weitreichenden Folgen

Die Folgen des Urteils können weitreichend sein. Es öffnet einer Masche der Lebensmittelindustrie Tür und Tor, die die Verbraucher in Zukunft bei vielen angeblichen Gesundheitswunderprodukten in die Irre führen könnte: Die Unternehmen spannen unparteiisch und glaubwürdig erscheinende Wissenschaftler vor ihren Werbekarren – weil deren Aussagen aber als bloße Meinungsäußerung eingestuft werden, dürfen sie verbreitet werden, ob sie wahr sind oder nicht.

foodwatch für Verbot gesundheitsbezogener Werbung

foodwatch fordert daher ein grundsätzliches Verbot von gesundheitsbezogener Werbung für Lebensmittel. Produkte mit medizinischer Wirkung dagegen sollen ein arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren samt zugehörigen Langzeitstudien durchlaufen und – ggf. auf ärztliches Rezept – in der Apotheke verkauft werden.

Verbraucherprotest gegen Becel pro.activ

Für Becel pro.activ gilt: Die Margarine ist wie ein Medikament, mit dem Menschen unkontrolliert an ihren Blutwerten herumdoktern, gefährliche Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen. Das hat im Supermarkt nichts verloren. Bereits im November 2011 hatte foodwatch die Vermarktung der Margarine wegen des unbewiesenen gesundheitlichen Nutzens und der ungeklärten Nebenwirkungen als Verbrauchertäuschung kritisiert und auf abgespeist.de eine Beschwerde-E-Mail-Aktion an den Hersteller gestartet. foodwatch fordert Unilever auf, den Verkauf im Supermarkt unmittelbar einzustellen und eine Zulassung als Arzneimittel zu beantragen. Inklusive entsprechender Forschung, was Risiken und Nebenwirkungen angeht. Fast 18.000 Verbraucher unterstützen bereits unseren Protest. Unterzeichnen auch Sie unsere E-Mail-Aktion an Unilever!